Ausstellungsbesprechungen

auto.Mobil, Peterskirche Erfurt, bis 9. Oktober 2011

Die Erfurter Schau bietet differenzierte Betrachtungsweisen darüber, was Mobilität heutzutage bedeutet. Rowena Fuß ist für Sie darauf eingestiegen.

Als erstes Werk der Ausstellung nimmt eine Pappkulisse des Papa-Mobils den Besucher mit auf die Gedankenreise. Das offizielle Gefährt des Papstes, der in diesem Herbst Erfurt besuchen wird, besitzt etwas Ironisches: Zwar in Originalgröße und detailliert wiedergegeben, steckt doch nichts dahinter. Dies wirft die Frage auf, ob die Kirche selbst nur noch aus Äußerlichkeiten, d.h. Zeremonien, besteht und nicht mehr aus einem religiösen Gefühl? Gleichgültig wie jeder diese Frage beantworten mag, steht das geländetaugliche, allradbetriebene Vehikel für eine hohe Flexibilität, die die Kirche im 21. Jahrhundert schließlich besitzen sollte und führt den Betrachter zum Fokus der Schau zurück.

Hinter der Kulisse an Stellwänden befinden sich auf der rechten Seite Fotografien von Hans-Christian Schink, die zwei ICE-Trassen zeigen und den Eingriff von Verkehrsprojekten in die Natur thematisieren, einmal in Zentralperspektive und einmal in Druntersicht. Auf der linken Seite finden sich zwei Gemälde von Verena Landau. Diese zeigen verschiedene Flughafensituationen. Gemeinsam haben sie den Blick auf das Geschehen um eine Rolltreppe. Dabei zeigt das rechte Bild einen ungewöhnlichen Ausschnitt: Durch das Glas einer erhöht liegenden Brüstung schaut der Betrachter auf zwei Polizisten, die von der Rolltreppe scheinbar verschluckt werden.

Im Gegensatz zur Hektik des Flughafens stehen mehrere Leuchtkästen mit Fotografien von dort beheimateten Gebetsräumen. Schnörkellos in die Zweckarchitektur des Gebäudes eingebunden, bilden sie abgeschlossene Ruhekapseln innerhalb des Gewimmels. Auf dem Foto, das den Raum im Flughafen Münster-Osnabrück zeigt, sieht man zwei V-förmig angeordnete Stuhlreihen, in deren Mitte ein rechteckiger Tisch steht. Sofort ist bei mir die Assoziation zu einer christlichen Kirche da, obwohl das Ensemble lediglich eine bestimmte Form aufweist: Der rechteckige Tisch wird automatisch zum Altar, die Stühle zu den Bänken fürs Gebet. In Singapur besteht der kleine Raum für Muslime lediglich aus einem Vorhang, der den Bereich für Frauen abgrenzt. Interessant ist, dass diese Räume, laut dem Fotografen Andreas Duscha, aus Kostengründen häufig u.a. im Keller oder neben Putzmittelräumen zu finden sind. Symbolisch gesehen bilden sie somit das Fundament für das moderne Gebäude. Ihre Position gerade neben Putz- und Abstellkammern deutet jedoch darauf hin, dass sie anschließend bedeutungslos geworden sind. Lediglich die Glühlampe hinter den Fotos gibt den Orten wieder etwas von ihrer Sakralität zurück.

Mit ausgedientem Material beschäftigt sich auch die Arbeit »Holiday Inn« von Tobias Köbsch. In einer Art geologischen Schnitt oder Steinbruch schaut man auf unzählige zu Schrott gepresste Matchboxautos. Nach oben hin wird das Ganze von einem asphaltierten Parkplatz begrenzt.

Von dieser automobilen Urzeit wendet man sich nun drei Abfalleimern mit Videoarbeiten aus der Hand Constantino Ciervos zu. Sie zeigen Menschen verschiedener Ethnien. Alle laufen unbekleidet auf einer Weltkarte, die ab und zu von Wasser überschwemmt wird. Sie suchen Freiheit aus dem Eimer, aber ihnen wird der Boden unter den Füßen weggezogen. Was dadurch entsteht, sieht man in einer zweiten Arbeit an der Stirnseite der Halle. Sie zeigt die 10 Begriffe Arbeit, Markt, Autorität, Respekt, Verdienst, Opferbereitschaft, Ordnung, Konkurrenz, Belohnung und Erziehung in Form einer roten Neonschrift neben dem Umriss eines menschlichen Läufers. Die Begriffe charakterisieren nach Ciervo das Wesen des zukünftigen Menschen in einer auf Sicherheitsdenken geprägten globalen Profitwirtschaft. Ihre Zusammenstellung führt zu einem dystopischen Geschöpf, das kein Wesen mehr hat, denn Liebe und Freundschaft sind beispielsweise nicht dabei. Die Wirkung wird durch den menschlichen Umriss verstärkt, der diesen zu etwas Gleichförmigen, Anonymen und Charakterlosen macht.

Eintönigkeit spiegeln auch die Fotografien von Oliver Tjaden gegenüber wider. Sie dokumentieren das Leben von Seeleuten auf Schiffen und in Häfen. Diese mit der größten Freiheit und Beweglichkeit konnotierte Berufsgruppe entpuppt sich auf den Bildern als Gefangene ihrer klaustrophobisch kleinen Welt und gleichförmigen Tagesverläufe, sie sind im wahrsten Sinn des Titels »Cargonauten«.

Ein wortwörtlich endloses Unterwegssein zeigt die Videoarbeit von Ulrike Nikutowski, welche sich im selben Raum befindet. Da wird eine Leiter zu einer Bahntrasse umgelegt, die nachfolgend zum Gartenzaun des Feriendomizils wird. Dieses wird wiederum von vielen Fußtapsen häufig frequentiert. Ein anderes Mal führt die Leiter zu einem Fenster, das sich für weitere Betrachtungen öffnet.

Fazit: Spannungsreich wird dem Betrachter Mobilität als Gefahr für die Natur, als fragwürdige Freiheit zwischen Hektik und Monotonie sowie Wesenslosigkeit präsentiert. Ebenso kritisch wird die Rolle der Religion im mobilen Zeitalter beleuchtet. Ich kann diese Ausstellung daher nur sehr empfehlen! Am Besten ist es, sich zu zweit die Arbeiten anzusehen und darüber auszutauschen, um den anregenden Dialog der Arbeiten fortzusetzen.

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