Buchrezensionen

Barbara Beuys: Helene Schjerfbeck - Die Malerin aus Finnland, Insel Verlag 2016

Eigentlich erst seit der großen Retrospektive in der Frankfurter Schirn ist der Name Helene Schjerfbeck in hiesigen Gefilden ein Begriff. Aber wer steckt hinter den wunderbaren Bildern, die dort zu sehen waren? Das kann man nun in der ersten umfassenden Biografie der Malerin erfahren. Stefanie Handke hat sie gelesen.

Es ist, so scheint es, oft genug so, dass der Autor einer Biografie, der sich mit einer bestimmten Person auseinandersetzt, fasziniert ist vom Objekt seiner Recherchen. Das kann auch Barbara Beuys nicht verhehlen, hat aber mit der Persönlichkeit Helene Schjerfbeck auch wirklich einen echten Charakter vor sich: Als Tochter eines einfachen Angestellten wurde ihr seitens der Familie die Förderung oder Anerkennung ihrer Arbeit versagt, musste seit einem Sturz mit einer Behinderung leben – und gleichzeitig erhielt sie noch als junges Mädchen kostenlosen Unterricht an der Zeichenschule des Finnischen Kunstvereins und später an der Akademie Adolf von Beckers.

1880 dann der erste große Erfolg: Mit ihrem Historienbild »Verwundeter Soldat im Schnee« begeisterte sie die Besucher und Rezensenten und konnte sich einen Traum erfüllen: Sie erhielt ein Reisestipendium und das erste Mal in ihrem Leben führte ihr Weg sie nach Paris – ein Ort, der in den nächsten zehn Lebensjahren ihre zweite Heimat werden sollte. Zwischen 1880 und 1890 verbrachte sie insgesamt sechs Jahre auf Reisen, vor allem in die französische Hauptstadt und fand in der modernen französischen Kunst vielfältige Inspiration. In den Folgejahren überzeugte sie auch das finnische Publikum von ihrem Können und konnte immer wieder nach Frankreich zurückkehren, aber auch die Künstlerkolonie St. Ives in Cornwall besuchen. Die Tatsache, dass sie seit einem Unfall in der Kindheit humpelte, behinderte sie dabei nicht: Schjerfbeck schnappte sich ihre Malutensilien und zog in die freie Natur, unternahm Ausflüge und tauschte sich vor allem mit gleichgesinnten Malerinnen wie Maria Wiik, Helena Westermarck oder Ada Thilén aus, mit denen sie sich auch oft Atelier und Wohnung teilte. Bis zum Alter von 27 Jahren waren ihre Bilder bereits dreimal im Pariser Salon ausgestellt.

Mit Schjerfbeck begegnet dem Leser eine faszinierende Persönlichkeit: Gemeinsam mit ihren »Malschwestern« setzte sie sich in einem Männerberuf durch, sie ließ sich nicht von ihrer Behinderung einschränken und traute sich auch, die Kritik ihrer Familie an ihrem nonkonformen Leben und natürlich dem fehlenden Verdienst, auszuhalten. Als Künstlerin war sie wenig zu Kompromissen bereit und nach und nach mischte sich Kritik in die Zeitschriftenartikel über ihre Bilder – weil sie, auf die die finnische Kunstwelt große Hoffnung setzte, zwar lieferte, aber nicht das, was von ihr erwartet wurde, sondern nur das, was ihrem Kunstverständnis entsprach. Ihr intimes Bild »Ein Junge füttert seine kleine Schwester« (1881) zeigte einen Realismus, mit dem sie sich Feinde macht und der Kunsthistoriker J.J. Tikkanen bezeichnete die Figuren Schjerfbecks und ihrer Malschwester Westermarcks als selten hässliche Wesen. Die Zeitungen griffen diese Kritik auf.

Auch dem aufkommenden finnischen Nationalismus verweigerte sich die Künstlerin und stand stets selbstbewusst zu ihrer Kunst. Zum Glück standen ihre Lehrer, Freunde und Kollegen ihr bei und Schjerfbeck trat eine Stelle als Lehrerin an der Zeichenschule in Helsinki an. In dieser Zeit tritt auch erstmals die Krankheit verstärkt in ihr Leben: 1895/96 ist sie erstmals für längere Zeit krank und muss einen Luftkurort aufsuchen. Das norwegische Gausdal wird ihr in den nächsten drei Jahren zum Lieblingsferienort, auch weil sie hier eine Beziehung zu ihrem Arzt beginnt. Doch nach wie vor ist Schjerfbeck nicht unabhängig: Sie lebt nach wie vor im Haus ihrer Mutter, ist von Zuwendungen der Familie abhängig und ihre Gesundheit macht ihr in den 1890er Jahren mehr und mehr zu schaffen. Das hindert sie freilich nicht an ihrer Arbeit und es entstehen weiter beeindruckende Werke, etwa »Die Kirchgängerinnen« (1900).

Sie bleibt aber eine Außenseiterin, wird nicht jünger, und entschließt sich 1902, von der finnischen Hauptstadt Helsinki Abschied zu nehmen und sich im ländlichen Hyvinkää niederzulassen. Das bedeutet einen Abschied von der Öffentlichkeit, aber auch eine Befreiung für die Künstlerin. Hier kann sie – abgesehen von den Pflichten des Haushalts – ihre Zeit ganz dem Malen widmen, neue Ideen ausprobieren und alte weiterführen. Und hier treten zwei junge Männer in ihr Leben, die ihren Anteil an Helene Schjerfbecks erneutem Erfolg haben sollten: Gösta Stenman, Redakteur und Kunsthändler, steht eines Tages im Jahr 1913 vor ihrer Tür und wird bald ihr Agent sein, ihre Bilder in Ausstellungen unterbringen und sie in ganz Skandinavien immer bekannter machen, sodass sie sich zehn Jahre später vor Aufträgen kaum retten kann – 1934 organisierte er die erste Einzelausstellung mit ihren Bildern. . Der Forstmeister Einar Reuter dagegen sollte ihr ein Freund werden, mit dem sie sich über ihre Kunst austauschte. In den fünfzehn Jahren in Hyvinkää soll Helene Schjerfbeck eine enorme künstlerische Entwicklung durchlaufen und bleibt am Puls der Zeit: Ihre Bilder werden immer moderner, ihre Bildsprache reduzierter und zugleich klarer. Mit dem Umzug nach Ekenäs wagt sie nach dem Tod ihrer Mutter noch einmal einen Neuanfang und genießt es schließlich, ihren Ruhm auszukosten in einer reizenden Wohnung mit eigenem Atelier, mit Haushälterin und viel Besuch. In ihren besten Jahren und im Alter wird dieser Ruhm konstant sein, sodass die Hufvudstadsbladet am Tag nach Helene Schjerfbecks Tod im schwedischen Saltsjöbaden ihrer mit einem ausführlichen Artikel gedenken wird.

Was bleibt also von dieser Persönlichkeit? Unmengen meisterlicher Bilder, zweifellos, war ihr Ruhm doch unbedingt gerechtfertigt – umso erfreulicher ist es, dass diese große Künstlerin jetzt auch in Deutschland mehr Aufmerksamkeit erfährt und spätestens seiter der großen Retrospektive der Schirn auf dem kunsthistorischen Tagesprogamm steht. Daneben bleiben wenige Selbstzeugnisse, denn die Schjerfbeck war durchaus gewillt, am eigenen Künstlermythos zu stricken: Sie bat ihre Freunde und Verwandten darum, ihre Briefe nach ihrem Tod zu vernichten, spielte aber selbst in genau diesen Briefen gern mit dem Bild des finanzschwachen, an Zeitnot leidenden Künstlers – und war gleichzeitig stets um Aufmerksamkeit bemüht, bewarb sich eifrig mit ihren Bildern und konnte sich auch mit diplomatischen Worten als Künstlerin empfehlen. Alles in allem scheint es, dass die Aufenthalte fern von Helsinki Schjerfbeck immer wieder die meiste Inspiration brachten, egal, ob sie in Paris unterwegs war oder sich im idyllischen Hyvinkää niederließ:Immer entdeckte sie gerade fern von Helsinki Modelle, die sie inspirierten und die sie zu neuen Höhen führten. Daneben schuf sie zahlreiche Selbstporträts, in denen stets eine selbstbewusste Frau dem Betrachter entgegenschaut.

Beuys' Biografie dieser großen Frau ist das, was sie sein soll: Das Porträt einer beeindruckenden Malerpersönlichkeit, die mehr Beachtung verdient und die vor allem durch ihren Ehrgeiz, gepaart mit künstlerischer Kompromisslosigkeit besticht. Daneben schafft es die Autorin, mit einem Vorurteil aufzuräumen: Helene Schjerfbeck war beileibe nicht ihren Lebtag lang leidend und krank, nein, erst in der zweiten Lebenshälfte sollte eine schwache Gesundheit längere Ruhephasen erfordern, sie aber ebensowenig einschränken wie ihr Humpeln von Kindheit an. In jungen Jahren aber, so beweisen es ihre Briefe, war sie rege, unternehmungslustig, arbeitete unentwegt ohne Einschränkung. Beuys' große Stärke ist dabei ihr genaues Studium der erhalten gebliebenen Briefe, aber auch ihre Kenntnis der gesellschaftlichen und politischen Umbrüche, die Schjerfbecks Leben mitbestimmten: Seien es die zwei Weltkriege oder die Einführung des Frauenwahlrechts in Finnland. Die Lektüre ist dabei jedem zu empfehlen, denn Beuys schreibt sachlich und zugleich mit viel Verständnis für die Malerin, und oft so mitreißend, dass man das Buch an einem ungemütlichen Herbsttag gar nicht mehr weglesen mag. 

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