Ausstellungsbesprechungen

Barbara Hepworth. Sculpture for a Modern World, Arp Museum Bahnhof Rolandseck, bis 28. August 2016

Hierzulande gehört sie zu den großen Unbekannten der Bildhauerkunst des 20. Jahrhunderts, in England ist sie hingegen in jeder Kunstgeschichte der Moderne präsent: Barbara Hepworth. In den lichtdurchströmten Räumen des Neubaus des Arp Museums in Rolandseck bei Bonn ist nun eine großartige Hepworth-Retrospektive zu sehen, die in Kooperation mit der Tate Britain in London und dem Kröller-Müller Museum im niederländischen Otterlo erarbeitet wurde und hier ihre dritte und letzte Station erreicht hat. Nach einem Rundgang durch die Ausstellung zeigt sich Rainer K. Wick begeistert.

Nur wenige öffentliche Sammlungen in Deutschland besitzen Werke von Barbara Hepworth, so etwa das Hessische Landesmuseum in Darmstadt, das Lehmbruck-Museum in Duisburg, die Niedersächsische Landesgalerie in Hannover und die Kunsthalle in Mannheim, und es ist schon lange her, dass die Künstlerin nach Teilnahme an der ersten und zweiten Kasseler »documenta« (1955 und 1959) zuletzt vor fünfzig Jahren in Karlsruhe eine Einzelausstellung hatte. Höchste Zeit, dass ihr Name und Schaffen nach einem halben Jahrhundert endlich wieder einem breiteren Kunstpublikum vergegenwärtigt werden. Im Neubau des Arp Museums mit Blick auf den »romantischen Rhein« – der Rolandsbogen links- und der Drachenfels rechtsrheinisch sind nicht weit – hat das Ausstellungsteam um Sarah Schuster einen Parcours mit mehr als hundert Arbeiten der Künstlerin konzipiert, der unter dem Stichwort »direct carving« mit dem Frühwerk beginnt und bei repräsentativen Objekten aus Holz und Bronze aus den zwei letzten Lebensjahrzehnten der Bildhauerin endet. Kontinuität und Wandel im Œuvre der Künstlerin werden in überzeugender Weise nachvollziehbar, und circa dreißig Arbeiten von künstlerischen Wegbegleitern – Jacob Epstein, Henry Moore, Ben Nicholson und anderen – dienen der Einbettung des Werkschaffens von Barbara Hepworth in den Kontext der Moderne.

Früh zeigte sich das Talent der 1903 in Wakefield, Yorkshire, geborenen Barbara, die zunächst an der Leeds School of Art studierte, wo der einige Jahre ältere Henry Moore einer ihrer Mitstudenten war, dann von 1920 bis 1924 am Royal College of Art in London. Im Rahmen ihres Studiums eignete sie sich die Methode des »direct carving« (engl. direktes Schneiden) an, bei der im Unterschied zur akademischen Praxis ohne Bozzetto und vorbereitendes Ton- oder Gipsmodell die Form unmittelbar aus dem Material herausgearbeitet wird. Die zwar noch gegenständlichen, aber schon deutlich antinaturalistischen Arbeiten aus den späteren 1920er und frühen 1930er Jahren – Darstellungen von Mensch und Tier aus der Zeit, als sie in erster Ehe mit dem Bildhauer John Skeaping verheiratet war – lassen bereits den Formwillen zur Abstraktion erkennen, der sich bald noch in Richtung Gegenstandslosigkeit verstärkte.

In dem als »Atelier« betitelten Raum kann der Besucher der Ausstellung sehr gut den allmählichen Übergang von der figurativen zur gegenstandslosen Plastik im Œuvre der Barbara Hepworth erleben. 1931 hatte die Künstlerin den Maler Ben Nicholson kennen gelernt, ein Jahr später zog Nicholson in ihr Atelier im Norden Londons ein, das zu einem Ort des intensiven künstlerischen Austauschs wurde – ganz abgesehen davon, dass sie privat ein Paar wurden, das 1934 Drillinge bekam, 1938 heiratete, sich 1951 aber trennte. 1933 reiste das Künstlerpaar nach Frankreich und besuchte Sophie Taeuber-Arp in Meudon (Hans Arp war zum Bedauern von Barbara Hepworth nicht anwesend), auch kam es zu Begegnungen mit Constantin Brâncuşi und Pablo Picasso. Obwohl die Künstlerin Hans Arp nie persönlich begegnet ist, hat sie immer dessen Einfluss auf ihr eigenes Schaffen betont, und die Vorliebe beider Künstler für organoide Formen lässt sich geradezu als Seelenverwandtschaft deuten. Dies belegen Kleinplastiken wie etwa »Large and Small Form« und, inspiriert von der Mutterschaft der Künstlerin, »Mother and Child«, beide 1934. Signifikant sind hier nicht nur das rhythmische Fließen der Linien, sondern auch die durch Aussparungen in der Skulptur selbst entstehenden Zwischenraumformen, die übrigens auch für Arbeiten von Henry Moore typisch sind.

Im Jahr 1933 wurden Hepworth und Nicholson Mitglieder der 1931 von Georges Vantongerloo in Paris gegründeten Gruppe »Abstraction–Création«, in der sich bedeutende Vertreter des internationalen Konstruktivismus, der geometrischen Abstraktion und der konkreten Kunst formierten. Bald wurde London zur Drehscheibe der europäischen Avantgarde. Unter dem Eindruck der NS-Diktatur emigrierten Gropius, Moholy-Nagy, Breuer und Mendelsohn nach England, außerdem kamen Naum Gabo und Piet Mondrian. In ihrer »Pictorial Autobiography« bemerkt die Künstlerin, ihnen allen sei es damals um eine »echte Beziehung zwischen Architektur, Malerei und Skulptur« gegangen, also um eine Synthese der Künste, wie sie schon früher am Bauhaus angestrebt worden sei. Nicholson geriet mit seinen strengen, aus Rechtecken und Kreisen aufgebauten Reliefs unter den Einfluss des sogenannten Neoplastizismus, Barbara Hepworth gelang die fortschreitende Klärung und Reduktion ihrer Formensprache, aus der nun alles Gegenständliche ausgeschieden wurde. Und doch: obwohl es der Künstlerin nach eigener Aussage in erster Linie um formale Probleme ging, etwa Größenverhältnisse, Formspannungen und Raumbeziehungen, kann selbst in einer hochabstrakten Skulptur wie »Forms in Echelon« (1938) noch die Andeutung von im Dialog befindlichen, aufrecht stehenden menschlichen Figuren erkannt werden.

Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieg zog Barbara Hepworth mit ihrem Mann und ihren Kindern in den kleinen Küstenort St Ives in Cornwall. Ihr einstiges Atelier- und Wohnhaus wurde nach dem tragischen Tod der Künstlerin im Jahr 1975 – sie kam bei einem Brand ums Leben – zum »Barbara Hepworth Museum and Sculpture Garden«, ein bezaubernder Ort, reich an Erinnerungen an eine großartige Bildhauerin, dessen Besuch jedem an Kunst interessierten Südengland-Reisenden zu empfehlen ist. In St Ives gelangte das Œuvre der Barbara Hepworth zur Reife. Hier entstanden die charakteristischen, häufig aus Kugelformen oder Ellipsoiden entwickelten Holzskulpturen mit Durchbrüchen, die konkave Innenflächen bilden, die ihrerseits farbig gefasst und oft durch Schnüre artikuliert wurden. Diese straff gespannten »Strings«, die an Saiteninstrumente oder auch an moderne Brückenkonstruktionen erinnern, ergeben einen reizvollen Material- und Formkontrast zu den kompakten Partien aus massivem Holz.

1954 erreichte Barbara Hepworth eines Tages die Nachricht, im Hafen seien siebzehn Tonnen Holz angekommen, die sie bitte abholen möge. Es handelte sich um »Proben« des Tropenholzes Guarea, die ihr ein Bekannter aus Nigeria geschickt hatte. Fasziniert von der Härte des Materials, seiner Maserung und seiner intensiven, rotbraunen Farbigkeit schuf sie aus den mächtigen Baumstämmen großformatige gegenstandslose Holzskulpturen mit den für ihr Œuvre charakteristischen Höhlungen und Durchbrüchen und dem typischen »Spiel« mit geschlossenen und offenen Formen, mit Masse und Transparenz. Sie alle tragen Namen griechischer Orte, so etwa »Corinthos« (1954/55), »Delphi« oder »Delos« (beide 1955) – Reflexe ihrer Griechenland-Reise des Jahres 1954, die sie tief beeindruckt hatte. Doch es blieb nicht bei der Bearbeitung von Holz. Neben Stein- und Holzskulpturen traten vor allem bei größeren Formaten im Außenbereich Arbeiten in Bronze hinzu, so etwa die aus der Kugelform entwickelte Skulptur »Sphere with Inner Form« oder »Squares with Two Circles«, beide aus dem Jahr 1963. In ihrer formalen Reduktion auf Trapez und Kreis erscheint letztere wie ein später Nachhall der neoplastischen Kompositionen ihres zweiten Ehemannes Ben Nicholson aus den 1930er Jahren.

Das Arp Museum Bahnhof Rolandseck zeigt eine Reihe interessanter Fotomontagen von Barbara Hepworth aus dem Jahr 1938, die andeuten, wie sie sich idealerweise die Platzierung ihrer Skulpturen vorstellte, nämlich nicht als selbstbezügliche, isolierte Hervorbringungen, sondern in ganz spezifischen Kontexten, sei es in Gärten und Parks, sei es in architektonischen Zusammenhängen. So hat sie sehr geschickt ein Farbfoto ihrer Skulptur »Helicoids in Sphere« in eine Schwarzweißabbildung einmontiert, die einen vom Boden bis zur Decke verglasten Innenraum des Wohnkomplexes Doldertal in Zürich (1935/36) zeigt, eines der Schlüsselwerke des sog. Neuen Bauens in der Schweiz der Zwischenkriegszeit, entworfen von dem progressiven Architekten Alfred Roth und seinem Cousin Emil in Zusammenarbeit mit dem durch das Bauhaus geprägten Marcel Breuer. Was für die Künstlerin letztlich unrealisiertes Ziel blieb, nämlich das harmonische Zusammenspiel von Skulptur, moderner Architektur und Landschaft, ist in dem lichtdurchfluteten, sich der Landschaft öffnenden Museumsbau Richard Meiers in Remagen-Rolandseck für die Dauer dieser sehenswerten Ausstellung, die Barbara Hepworth »aus der zweiten Reihe ins Rampenlicht« katapultiert (Julia Voss in der FAZ), Wirklichkeit geworden.

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