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Baselitz. 30 Jahre Skulptur. 50 Jahre Malerei, Museum Frieder Burda Baden Baden, bis 14. März 2010

Wo stünde die Malerei in Deutschland, wenn Georg Baselitz – neben Immendorf, Kiefer, Lüpertz u.a. – in den 1970ern und 1980ern nicht das Augenmerk der Weltöffentlichkeit auf sich gezogen hätte? Der Wahrnehmung des Documenta- und Biennale-Teilnehmers (1972 bzw. 1980) ging jedoch schon der Aufschrei einiger Kulturkonservativer im Jahr 1963 wie eine Bugwelle der Empörung voraus: Die erste Einzelausstellung rief bereits die Staatsanwaltschaft auf den Plan, die etwa das Onanie-Opus »Die große Nacht im Eimer« (1962) aus dem Verkehr zog. Die zurzeit in Baden-Baden laufende Doppelausstellung hat für uns Günter Baumann besucht.

Wenn auch dieses Skandalwerk nicht in der großen Baselitz-Retrospektive zu sehen ist, so nehmen die Arbeiten insgesamt kaum ein Blatt vor den Mund – sie sind nie nur Malerei, auch nicht nach 1969, als Baselitz seine Bildmotive auf den Kopf stellte. Sie sind allemal Meilensteine der ästhetischen und moralischen Grenzüberschreitung. Das war ein Stück weit Masche und Markenzeichen, ein Stück weit Provokation, die sich gegenseitig festhielten. Kaum drohte die Marotte, die Bilder kopfüber an die Wände zu hängen, routiniert zu wirken, wich Baselitz ab 1979 zur Skulptur aus und schlug sich mit seinen grobschlächtigen Holzrecken in die Herzen der Betrachter (nicht in alle, versteht sich).

Nicht weniger als 80 Gemälde sowie zahlreiche Plastiken verschaffen nun in der Doppelausstellung einen umfassenden Blick auf das Gesamtwerk des Meisters, fast ein halbes Hundert Arbeiten auf Papier ergänzen die Schau. Im Nachbarhaus warten schon die Skulpturen, die weit über eine Ergänzung hinaus gehen, obwohl Baselitz auch als Bildhauer nie vergisst, dass er eigentlich Maler ist. Dennoch ist es eine Sensation, beide Gattungen auf gleicher Höhe kennenzulernen. Der speziell für die Plastiken produzierte Katalog dient sogar als erstes umfassendes Werkverzeichnis. Das schmälert selbstverständlich nicht das beispielhafte malerische Werk. Seinen Remix-Bildern der jüngsten Phase wollten zwar nicht mehr alle Baselitz-Fans mittragen – zu sehr sprach aus ihnen auch die Kraftlosigkeit eines Alterswerks –, aber sie waren wiederum Ausdruck eines Befreiungsschlages am Ende eines beschrittenen Weges, einer möglichen Sackgasse. Immerhin spiegelten sich darin auch die Retro-Trends in der Kunst, ja sogar die Zitierpraxis der in der Postmoderne groß gewordenen jüngeren Kollegen wider. Ein gewitzter Schachzug: Der Künstler wurde zum Plagiator seiner eigenen Kunst.

Harmoniesucht kann man Georg Baselitz nicht nachsagen, auch im späten Werk nicht, im Gegenteil: eine eindimensionale Interpretation ist ihm genauso fremd wie die Einhaltung von Regeln. Man ist fast überrascht, wenn man hinter den – besonders in der Skulptur – malträtierten Menschendarstellungen einen milden, zurückhaltend wirkenden Schöpfer wahrnimmt. Die großen Pinselschläge und Kettensägenhiebe lassen einen verwundeten und verwundbaren Menschen hervortreten. Baden-Baden vermittelt einen außerordentlich vielschichtigen Künstler. Fast anrührend abgeklärt sind die jüngsten Arbeiten wie »Schlafzimmer« oder das erstmals öffentlich gezeigte »Volk Ding Zero«.

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