Ausstellungsbesprechungen

Basquiat, Fondation Beyeler, Riehen/Basel, bis 5. September 2010

Zum 50.Geburtstag von Jean-Michel Basquiat widmet ihm die Fondation Beyeler eine grosse Retrospektive mit über 100 Gemälden, Papierarbeiten und Objekten aus renommierten Museen und Privatsammlungen in aller Welt. Seine mit comicartigen Figuren, skeletthaften Silhouetten, kuriosen Alltagsobjekten und poetischen Slogans bevölkerten Werke sind farbenprächtig und kraftvoll. Sie vermischen Popkultur und Kulturgeschichte zu kritisch-ironischen Kommentaren über Konsumgesellschaft und soziale Ungerechtigkeit. Die Ausstellung vereint die wichtigen Werke Basquiats und zeigt die künstlerische Entwicklung des legendären Künstlerstars. Günter Baumann begutachtete sie genauer.

Man muss sich das vor Augen führen: In München und Leipzig begeht man 2010 großspurig den 50. Geburtstag von Neo Rauch, denselben Geburtstag feiert Basel mit einer fulminanten Schau mit Arbeiten von Jean-Michel Basquiat. Welten liegen da dazwischen. Auf der einen Seite Rauch mit seinem so auf- wie abgeklärten Schaffen, das man schon wie ein melancholisches Alterswerk betrachten kann, auf der anderen Seite das ungestüme Oeuvre eines Rebellen, dem man noch immer das Kind glaubt, das Basquiat immer bleiben wollte. Würde man die Bilder der beiden Maler unbedarft nebeneinander sehen, könnte man sich nicht dem Eindruck erwehren, als würde da ein junger Wilder gegen einen ›elder states painter‹ ankämpfen. Nur stimmen die Zeitfenster nicht: Neo Rauch nimmt 1981 sein Studium bei Arno Rink auf, ein Jahr später findet man Basquiat als jüngsten Teilnehmer auf der Documenta; 1986-90 ist Rauch Meisterschüler bei Heisig – es wird noch rund zehn Jahre dauern, bis man ihn als Leitfigur der Leipziger Schule öffentlich wahrnimmt. Basquiat ist da schon seit Jahren tot, er stirbt 1988 an einer Überdosis Rauschgift. Nicht nur inhaltlich liegen Welten zwischen den Werken. Weil sie gleichzeitig zu zirkulieren begannen, könnte man allenfalls theoretisch, wenn auch spaßhalber fragen, wo Basquiat heute stünde, wenn er noch leben würde – vielleicht ein verglühter Stern? Ein etablierter alter Wilder? Und was machte eigentlich Neo Rauch in seiner Welt, als sein Altersgenosse seine rund 1000 Gemälde und noch mal so viele Zeichnungen an die seine gehängt hatte? Doch das wäre müßig weiterzuspinnen.

Nun ist es nicht so, dass Jean-Michel Basquiat als eine Art James Dean der Malerei postum als tragischer Held gefeiert worden wäre, obwohl der Kunstmarkt ihn immer hoch gehandelt hat. Die Retrospektive in Basel ist die erste große Schau in Europa, zumindest dieses Ausmaßes mit über 100 Arbeiten, die so frisch, so jung, so frech wirken, als hätte jemand nach knapp mehr als zwanzig Jahren ein Licht angeknipst, Basquiat würde um die Ecke biegen und sagen, »war dann eben mal weg«. Irgendwie war er im Kunstrummel verschwunden, und die Fondation Beyeler, das heißt, ihr Direktor Sam Keller hat ihn ausgegraben, nein: Er hat – kuratorisch wohlpräpariert – einfach die Tür aufgemacht, die den Blick auf all die basquiatschen, farbenprächtigen Recken und Robots, Maskenträger und Sensenmänner freigibt, als wollte er fragen: Warum gibt es das erst jetzt in dieser Fülle zu sehen? Die Antwort weiß er freilich selbst, bei einem Interview sagte er, die vorwiegend privaten Sammler und auf den eigenen Bestand bedachten Kunsthändler hätten es bislang schwer gemacht, eine große öffentliche Ausstellung zusammenzustellen. Da kam es Keller zugute, dass er als Wanderer zwischen den Kunstinstitutionen bestens unterwegs ist. In Basel macht er aus dem Graffit-Künstler und Junkie einen Malerstar zwischen Picasso, Warhol und Madonna. »Ich fange ein Bild an und ich bringe es zu Ende«, schrieb Basquiat. »Ich mache mir keine Gedanken über Kunst, wenn ich arbeite. Ich versuche, über das Leben nachzudenken.« Sein Leben war kurz und intensiv, so schillernd, dass man allzu schnell seine Kunst hintanstellte. Doch ein Blick in die Schau macht deutlich, dass der Street-Art-Künstler und -Poet, der unter dem Pseudonym »SAMO©« die Hauswände unsicher gemacht hatte, ein erstklassiger Künstler neben Keith Haring, Francesco Clemente und anderen war, dessen Werk auch noch die nächsten Generationen beschäftigen wird, vielleicht mehr als das von Neo Rauch.

Ein Wort muss auch zum Katalog mit imposanten 334 Abbildungen gesagt werden, der nicht nur die gewohnte Gediegenheit vermittelt, die alle Titel aus dem Hause Hatje-Cantz auszeichnet, sondern auch nah ans Künstlerbuch heranreicht. Kein Wunder, denn die grafische Gestaltung lag in den Händen der einschlägig bekannten Marie Lusa, die hier ein Meisterwerk geschaffen hat. Das malerische Werk steht im Mittelpunkt, dass man lustvoll hin und her blättert, und immer wiederstößt man auf erhellende Legenden, die wie nebenbei Biographisches vermitteln. Die Texte inklusive einem Interview, die sich zunächst auch dem Bild unterordnen, sind so gestreut, dass man sie dankbar als theoretische Apercus mitnimmt, um sich intellektuell gestärkt wieder ins wilde Schaffen des Künstlers zu vertiefen. Ein Genuss, der noch gesteigert wird dadurch, dass die meiste Literatur zu Basquiat nur noch teuer im Antiquariat zu finden ist.

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