Wieder ein Buch über den Mythos Venedig – so mögen die Leser beim flüchtigen Blick auf den Titel müde abwinken. Allerdings würde ihnen nicht nur ein wunderbar sinnlich fotografierter Bildband entgehen, der zum Schwelgen ebenso wie zum unverzüglichen Kofferpacken und Losfahren animiert, sondern auch überraschende, weibliche Perspektiven, die ein neues Licht auf die Lagunenstadt werfen.
Wenn man an Venedig denkt, fallen einem zunächst jede Menge berühmte Männer ein, die dort gewirkt haben, wie Casanova, Vivaldi, Monteverdi, Tizian, Tintoretto, Tiepolo, Canaletto, Hemingway, Ruskin und viele mehr. Dabei hat Vendig eine Vielzahl talentierter und außergewöhnlicher Frauen auf allen Gebieten vorzuweisen. Sogar in sportlicher Hinsicht: Wie selbstverständlich gab es etwa vom 14. bis ins 18. Jahrhundert eine „regatta delle donne“ auf dem Canale Grande. Maria Boscolo gewann viermal hintereinander das Wettrudern – dieser Rekord wurde von keinem Mann je gebrochen.
Eva Gesine Baur – Kunsthistorikerin, Literatur- und Musikwissenschaftlerin – hatte die eigentlich längst überfällige Idee, auf den Spuren beeindruckender Frauen durch Venedig zu spazieren und dabei einen ganz anderen, ebenso interessanten wie amüsanten literarischen Reiseführer zu entwerfen.
Der Untertitel „Stadt der Frauen“ spielt auf „Das Buch von der Stadt der Frauen“ an, das die gebürtige Venezianerin und Literatin Christine de Pizan alias Cristiane Pisan – sie gab sich später einen französischen Namen, weil sie in Frankreich lebte und auf Französisch schrieb – um 1405 verfasste. Darin entwickelt sie die Utopie einer Stadt, die von einer Königin regiert wird. Hier geben Frauen den Ton an, sorgen für Vernunft und Gerechtigkeit und schärfen den Blick für die Bedeutung des weiblichen Geschlechts. Daran knüpft ein Jahrhundert später die venezianische Autorin und fünffache Mutter Moderata Fonte an, die in ihrem Werk „Das Verdienst der Frauen“ der Frage nachgeht, „warum Frauen würdiger und vollkommener sind als Männer.“
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Christine de Pizan definiert ihre fiktive „città delle donne“ auch als „Ort der Zuflucht“, in dem sich Frauen vor frauenfeindlichen Denkweisen schützen und ihre eigenen Fähigkeiten ungehindert entfalten können. Diese Situation trifft in gewisser Weise auch auf die dreizehn teils vergnüglichen, teils tragischen Frauenschicksale zu, die sich alle in Venedig zugetragen haben und die Baur in ihrem Buch wieder zum Leben erweckt. Jede einzelne aus dieser illustren Runde hat auf eigene, subtile Art mit ihrem Gemälde, Gedicht oder einer anderen Darstellungskunst, mit ihrem musikalischen oder wissenschaftlichen Werk zu Glanz und Gloria der Serenissima beigetragen.# Page Separator #
Die übrigen Frauen, deren venezianisches Leben die Autorin im Buch schildert, sind Angela Zaffetta, ehrenhafte Kurtisane der oberen Kategorie, Caterina Cornaro, zeitweilige Königin von Zypern, Cassandra Fedele, Gelehrte und Wissenschaftlerin, Elena Lucrezia Cornaro Piscopia, erste promovierte Frau der Welt, Barbara Strozzi, Komponistin und Musikerin, Maria Taglioni, Ballerina und Erfinderin des Spitzentanzes sowie Cosima Wagner, Ehefrau von Richard Wagner und später langjährige Direktorin der Bayreuther Festspiele.# Page Separator #
Eva Gesine Baur/Thomas Klinger: Venedig – Stadt der Frauen. Liebe, Macht und Intrige in der Serenissima, Knesebeck Verlag 2005.
240 Seiten, 120 Farbabbildungen
Preis: € 39,95