Buchrezensionen

Baur, Eva Gesine und Klinger, Thomas: Venedig – Stadt der Frauen. Liebe, Macht und Intrige in der Serenissima, Knesebeck Verlag 2005.

Wieder ein Buch über den Mythos Venedig – so mögen die Leser beim flüchtigen Blick auf den Titel müde abwinken. Allerdings würde ihnen nicht nur ein wunderbar sinnlich fotografierter Bildband entgehen, der zum Schwelgen ebenso wie zum unverzüglichen Kofferpacken und Losfahren animiert, sondern auch überraschende, weibliche Perspektiven, die ein neues Licht auf die Lagunenstadt werfen.

Wenn man an Venedig denkt, fallen einem zunächst jede Menge berühmte Männer ein, die dort gewirkt haben, wie Casanova, Vivaldi, Monteverdi, Tizian, Tintoretto, Tiepolo, Canaletto, Hemingway, Ruskin und viele mehr. Dabei hat Vendig eine Vielzahl talentierter und außergewöhnlicher Frauen auf allen Gebieten vorzuweisen. Sogar in sportlicher Hinsicht: Wie selbstverständlich gab es etwa vom 14. bis ins 18. Jahrhundert eine „regatta delle donne“ auf dem Canale Grande. Maria Boscolo gewann viermal hintereinander das Wettrudern – dieser Rekord wurde von keinem Mann je gebrochen.

Eva Gesine Baur – Kunsthistorikerin, Literatur- und Musikwissenschaftlerin – hatte die eigentlich längst überfällige Idee, auf den Spuren beeindruckender Frauen durch Venedig zu spazieren und dabei einen ganz anderen, ebenso interessanten wie amüsanten literarischen Reiseführer zu entwerfen.

Der Untertitel „Stadt der Frauen“ spielt auf „Das Buch von der Stadt der Frauen“ an, das die gebürtige Venezianerin und Literatin Christine de Pizan alias Cristiane Pisan – sie gab sich später einen französischen Namen, weil sie in Frankreich lebte und auf Französisch schrieb – um 1405 verfasste. Darin entwickelt sie die Utopie einer Stadt, die von einer Königin regiert wird. Hier geben Frauen den Ton an, sorgen für Vernunft und Gerechtigkeit und schärfen den Blick für die Bedeutung des weiblichen Geschlechts. Daran knüpft ein Jahrhundert später die venezianische Autorin und fünffache Mutter Moderata Fonte an, die in ihrem Werk „Das Verdienst der Frauen“ der Frage nachgeht, „warum Frauen würdiger und vollkommener sind als Männer.“

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Christine de Pizan definiert ihre fiktive „città delle donne“ auch als „Ort der Zuflucht“, in dem sich Frauen vor frauenfeindlichen Denkweisen schützen und ihre eigenen Fähigkeiten ungehindert entfalten können. Diese Situation trifft in gewisser Weise auch auf die dreizehn teils vergnüglichen, teils tragischen Frauenschicksale zu, die sich alle in Venedig zugetragen haben und die Baur in ihrem Buch wieder zum Leben erweckt. Jede einzelne aus dieser illustren Runde hat auf eigene, subtile Art mit ihrem Gemälde, Gedicht oder einer anderen Darstellungskunst, mit ihrem musikalischen oder wissenschaftlichen Werk zu Glanz und Gloria der Serenissima beigetragen.

Hier begegnet die gefeierte Operndiva Anna Girò ihrem Geliebten, dem Komponisten und Priester Antonio Vivaldi, deren nichteheliches Verhältnis im Haus Vivaldis in der Calle di Sant’ Antonio auf wenig Verständnis stößt. Man erfährt, warum die Kurtisane Veronica Franco in ihrem prächtigen Haus am Campo San Giovanni Nuovo vergeblich auf den berühmten französischen Philosophen Michel de Montaigne wartet, wie die Schauspielerin Eleonora Duse im Hotel Danieli auf den selbstverliebten Dichterfürsten Gabriele D’Annunzio trifft und später fast an ihrer Liebe zerbricht, oder wie die Dichterin Sara Copio Sullam mitten im engen Ghetto Vecchio einen weltoffenen Salon ins Leben ruft. Legendär ist auch der Heiratsantrag des amerikanischen Schriftstellers Truman Capote in „Harry’s Bar“, den Peggy Guggenheim ablehnt, obwohl sie eine aufregende Zeit mit ihm in Venedig verbringt.

Die großen Künstlerinnen und weiblichen Gelehrten der Serenissima zeichnet – wie ihre männlichen Kollegen – aus, dass sie scharf beobachten und einen unbestechlichen Blick für Details haben. Auch Negatives wird nicht durch Gefälligkeit gemildert. Dieses venezianische Charakteristikum lässt sich besonders gut in der Malerei ablesen. So konnte sich nur eine Venezianerin derart schonungslos als alternde Frau porträtieren wie die Malerin Rosalba Carriera in ihrem Selbstbildnis von 1743 – mit schmalen Lippen, fahler Haut, aschgrauem Haar und enttäuschtem Blick –, mit dem sie auch ein Stück ihrer Verletzlichkeit preisgibt. Zu Lebezeiten war Carriera die begehrteste Pastellmalerin Europas und als Porträtistin beim Hochadel begehrt. Ihr Wohnhaus und Atelier hatte sie in der Casa Biondetti. Die meisten ihrer Werke sind heute in der Ca’ Rezzonico zu sehen, dem Museo del Settecento Veneziano (Museum des venezianischen 18. Jahrhunderts, in einer Bildunterschrift im Buch übrigens fehlerhaft mit 17. Jahrhundert übersetzt).

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Die übrigen Frauen, deren venezianisches Leben die Autorin im Buch schildert, sind Angela Zaffetta, ehrenhafte Kurtisane der oberen Kategorie, Caterina Cornaro, zeitweilige Königin von Zypern, Cassandra Fedele, Gelehrte und Wissenschaftlerin, Elena Lucrezia Cornaro Piscopia, erste promovierte Frau der Welt, Barbara Strozzi, Komponistin und Musikerin, Maria Taglioni, Ballerina und Erfinderin des Spitzentanzes sowie Cosima Wagner, Ehefrau von Richard Wagner und später langjährige Direktorin der Bayreuther Festspiele.

Der Bogen der dreizehn Porträts spannt sich vom 15. bis ins 20. Jahrhundert. Wie beiläufig verschränkt Eva Gesine Baur die Psychogramme der Frauen mit ihren Wirkungsstätten – etwa das Café „Florian“ oder das Ristorante „All’ Angelo“, Dreh- und Angelpunkte im Leben von Peggy Guggenheim und ihren Künstlerfreunden – und mit dem Zauber und der Morbidität der Serenissima. Fasziniert betreten wir Plätze, Gassen, Häuser und Paläste, die uns vorher entgangen sind und die der mehrfach ausgezeichnete Fotograf Thomas Klinger in seinen Bildern stimmungsvoll einfängt. Ob die Pescaria im Nebel, verlassene Plätze und Gassen im Schneetreiben oder bei Nacht, faszinierende Wasser- und Lichtspiegelungen, historische Regatten und Fassaden oder die vielen herrlichen Detailaufnahmen – bekannte und unbekannte Motive in reizvollem Blickwinkel: Balustraden, Gesimse, Skulpturen, Gemälde. Die meisten Bilder nehmen eine Viertel- oder Ganzseite ein, aber es gibt auch viele doppelseitige Panoramaformate. Größtenteils spiegeln sie den venezianischen Alltag der Protagonisten, die im Bildnis oder in Fotografien jedem Kapitel vorangestellt sind.

Die Geschichten sind spannend und aufschlussreich zu lesen, der Schreibstil ist sehr kurzweilig, der anekdotenhafte Plauderton allerdings stellenweise ein wenig übertrieben. Etwas mehr Textstraffung und Sorgfalt im Lektorat hätten nicht geschadet. Dennoch sind der Autorin und dem Verlag ein bemerkenswertes und hinreißendes Buch gelungen, das neue Erkenntnisse über Venedig präsentiert.

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Bibliographische Angaben

Eva Gesine Baur/Thomas Klinger: Venedig – Stadt der Frauen. Liebe, Macht und Intrige in der Serenissima, Knesebeck Verlag 2005.
240 Seiten, 120 Farbabbildungen
Preis: € 39,95

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