Buchrezensionen

Beat Wismer / Dedo von Kerssenbrock-Krosigk / Sven Dupré (Hrsg.): Kunst und Alchemie. Das Geheimnis der Verwandlung, Hirmer 2014

Den vielfältigen Beziehungen zwischen Alchemie und Kunst geht in diesen Tagen eine große Düsseldorfer Ausstellung nach. Denn: Beide Künste verbindet der Wunsch, neues zu erschaffen und die Geheimnisse der Welt zu erkunden. Den Katalog, der in neun substantiellen Beiträgen Schlaglichter auf die Kulturgeschichte der Alchemie und auf ihre Verbindungen zur Kunst wirft, hat Stefan Diebitz mit Interesse gelesen.

Wer heute von Alchemie hört, der denkt selten an etwas anderes als an das Goldmachen, und in diese Richtung weist auch der golden leuchtende Bucheinband. Aber dieser Katalog demonstriert in fast allen seinen Beiträgen, dass Alchemie viel, viel mehr als bloßes Goldmachen (oder dessen Versuch) war, wenngleich sie sich in den Zeiten ihres Niedergangs selbst darauf verkürzte. Der Untertitel des Kataloges – »Die Kunst der Verwandlung« – trifft ihre Absichten eher, denn tatsächlich zielte die Alchemie generell auf die Verwandlung des Materials, wenngleich sie selten mehr als die Oberfläche verändern konnte. Sie ging von der zwar erwiesenermaßen grundverkehrten, aber keinesfalls irrationalen Voraussetzung aus, dass alles in der Welt sich aus nur vier Elementen zusammensetzt (Erde, Wasser, Luft und Feuer), deren Anteile über das Wesen eines Materials entscheiden. So kam es darauf an, das Mischungsverhältnis zu verändern, und das Goldmachen erschien wie jede andere Materialveränderung auch prinzipiell realistisch.

In seiner sehr instruktiven Geschichte der Alchemie nennt Lawrence M. Principe die Alchemie bereits im Titel eine Wissenschaft und macht in seinem Aufsatz deutlich, dass sie »keineswegs nur einseitig (und fruchtlos) auf das Gold« zielte, sondern durchaus auf eine sachliche Erkenntnis aus war. Deshalb gingen ihre Herstellungsverfahren »unbeirrt einher mit Ansätzen zum Verständnis der Welt, um deren versteckte Grundzüge wieder für praktische Zwecke zu nutzen.« Also nichts anderes als heutige Wissenschaft; also Chemie. So steckte der Grundgedanke, die Welt zu verwandeln, bereits in den antiken Ursprüngen, die in der Färbekunst lagen – eine Parallele zur heutigen Chemie. Aber auch die Herstellung von Arzneien, Kosmetika oder die Vortäuschung eines edleren Materials wurden von den Alchemisten angestrebt. Insbesondere letzteres trug dann zu ihrem schlechten Ruf bei.

In einem zweiten Aufsatz zeigt Principe, dass es einerseits Gold- und Silberschmiede, andererseits Apotheker waren, die sich um die Alchemie Verdienste erwarben. Ihre Labore mit den typischen Gerätschaften, etwa Destillierapparaten, kann man auf zahlreichen Genrebildern besonders des 17. Jahrhunderts finden. Viele dieser Bilder transportierten dazu eine moralische Botschaft, denn es ging den Künstlern sehr oft um die Zeit- und Ressourcenverschwendung, die der Hausherr betrieb, wenn er seinen Wohlstand dem vergeblichen Goldmachen opferte, während seine Familie hungerte. Ein sehr frühes dieser Bilder stammt von keinem Geringeren als Pieter Brueghel dem Älteren. Der produktivste unter den Genremalern, die sich diesem Thema widmeten, war aber David Tenniers der Jüngere (1610 – 1690). Im Unterschied zu Bruegel schilderte Tenniers den Alchemisten als einen fleißigen und erfolgreichen Mann, dem sogar ein praller Geldbeutel am Gürtel hängt; auch malte er ein Selbstporträt als Alchemist.

Jennifer Rampler erzählt die Geschichte der »Ripley-Bildrollen« (»Ripley Scrolls«), Lehrbüchern aus dem 15. Jahrhundert, die in esoterischen Symbolen und Allegorien dem Eingeweihten chemisches Fachwissen veranschaulichten. Die Autorin führt dieses mystische Brimborium darauf zurück, dass der Alchemie, da sie nicht an den Universitäten gelehrt wurde, die akademischen Weihen fehlten. Eben deshalb versuchte man, ihr künstlich das Ansehen einer uralten, dazu heiligen und nur wenigen Eingeweihten zugänglichen Kunst zu verleihen.

Im Ergebnis sind die auch damals schon altmodischen Bilderrollen, die im Katalog über Seiten hinweg abgebildet werden, ästhetisch äußerst reizvoll und lassen sich, wie die gelehrte Autorin demonstriert, Punkt für Punkt ausdeuten, wenn man ihre Symbolik versteht. Denn was bedeutet es, wenn ein Drache eine Kröte schluckt und ein Löwenpaar die Öffnung eines Ofens bewacht? »Ein harpyenartiges Geschöpf mit Menschenkopf und Vogelkörper hat sich auf einem Globus niedergelassen und verschlingt seine eigenen Schwingen, die mit goldenen Tropfen von der Sonne darüber benetzt werden. Noch weiter unten sitzt ein flügelloser Drache auf einem Globus, blutet heftig aus einer Wunde und windet sein Haupt empor, um eine stilisierte Mondsichel zu packen.« Es ist eine seltsame Welt, die sich dem Leser hier auftut.

Sven Dupré stellt »Die Feuerkünste« und damit die praktische Seite der Alchemie vor, in der sich oft nicht nur ein fließender Übergang von der Apotheke zum alchemistischen Laboratorium, sondern sogar von der Goldschmiedewerkstatt zur Feinbäckerei vollzog. Der Autor weiß von der Zubereitung von Marmeladen wie der Herstellung von Zuckerskulpturen zu berichten, aber natürlich auch von der Anfertigung von Glas und Feuerwerken, der epocheprägenden Kunst des Barockzeitalters. Nicht zuletzt der Übergang zu den schönen Künsten wurde hier vollzogen, besonders, wenn es um die Herstellung von Farben ging, bei deren Erforschung sich die Alchemisten bleibende Verdienste erwarben. Dupré demonstriert das an glastechnischen Rezepten, einmal an dem für Silbergelb, das andere Mal für Goldrubin. Für diese wirklich bemerkenswerte Farbe zeigt der Katalog ein Beispiel: ein Glas, das in einem spektakulär dunklen Rot schimmert, eingefasst von vergoldetem Silber.

Der Alchemie ging es zwar um die Um- und Verwandlung der Objekte, tatsächlich aber erreichte sie kaum jemals mehr als eine Manipulation der Oberflächen – das dürfte, wie William S. Newman in seinem Beitrag zeigt, niemandem klarer gewesen sein als den Alchemisten selbst. Aber eben in diesem Mangel lag für viele auch die Verwandtschaft zur bildenden Kunst, weil auch die Malerei den Erzeugnissen der Natur niemals gleichkam, sondern diese allenfalls an der Oberfläche nachahmen konnte. In Newmans Darstellung kulminiert der Wettstreit zwischen Alchemie und Kunst bereits in dem Werk Bernard Palissys (1510 – 1590), der sich nach Jahrzehnten der Hingabe an die Alchemie der Keramik und ihren leuchtenden Farben zuwandte.

Die weiteren Beiträge des Kataloges gehen bis in die Kunst der Gegenwart – es handelt sich schließlich um eine Düsseldorfer Ausstellung, und dass das Genie eines Josef Beuys dort eine gewisse Rolle spielen muss, ist wohl unvermeidlich. Aber hingewiesen sei auf zwei andere interessante Aufsätze, zunächst einen sehr kurzen, der unter dem Titel »Der Rotfärber« sich mit der Beziehung von Peter Paul Rubens zur Alchemie beschäftigt – natürlich waren es auch die Farben, die in seinem leider verlorenen Notizbuch eine große Rolle spielten, aber ebenso wesentlich scheinen die Beziehungen, die er zwischen dem menschlichen Körper und dem Kosmos fand.

Vielleicht war der Zusammenhang von Alchemie und Kunst nirgendwo enger und befruchtender als im Surrealismus, wie besonders die wunderbaren Bilder Max Ernsts demonstrieren. Ein eigentlich merkwürdiger Vorgang – erst als man definitiv um das Unhaltbare der alchemistischen Theorien wusste, erst in dem Augenblick, als diese endgültig in den Bereich des Obskuren abgeschoben worden waren, wandten sich ihnen einige kluge Geister zu, um aus ihren Blüten Honig zu saugen. Die Moderne und das Archaische begegnen einander etwa in dem merkwürdig poetischen Gemälde von Remedios Varo – »Erschaffung der Vögel« –, in dem sich neuzeitliche Gerätschaften und mythische Vorstellungen zu einem intensiven, traumartigen Bild verwoben sehen.

In seinem Beitrag »Surrealismus und Alchemie« zeigt M.E. Warlick einige Beispiele für das sich gegenseitig befruchtende und anregende Dreieck, das Kunst, Alchemie (oder auch Okkultismus) und Psychoanalyse bildeten. Die Parallelisierungen von alchemistischen Symbolen und psychischen Phasen oder Prozessen scheinen zwar meist extrem willkürlich (um sie nicht aus der Luft gegriffen zu nennen), aber die Symbole besitzen einen enormen ästhetischen Reiz, der natürlich auch mit ihrer Rätselhaftigkeit zu tun hat und überhaupt mit der Kombination dessen, was in der Natur oder im täglichen Leben keinesfalls zusammengehört. Eben diesen Vorgang kann man an Max Ernsts Gemälden oder an den ebenso schönen eines Victor Brauner studieren; es sind seltsame, oft sogar verstörende Bilder, die den Leser hier anblicken – Bilder die man nicht leicht vergisst. Allein Max Ernsts unfassbares Gemälde »Les Noces chimiques (Die chymische Hochzeit)« sollte den Besuch der Ausstellung wert sein. Seine Ausdeutung dürfte ein ganzes Buch füllen, angefangen mit seiner tief durchdachten Farbgebung.

Der Katalog ist ein höchst anregendes und empfehlenswertes, mit großer Sorgfalt ediertes Buch.

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