Buchrezensionen

Beck, Rainer: Zwischen 'Sehnsucht' und 'schwangerem Weib'. 2002

Mit dem erstarkten Interesse an der Kultur der Weimarer Republik in den neunziger Jahren geriet auch der Geraer Maler Otto Dix (1891-1969) erneut ins Blickfeld.

Ausstellungsprojekte und Grundlagenforschung hielten sich dabei die Wage, sodaß die Bohrungen in Dix\' Werk und Wirken mittlerweile recht tief reichen. Das Frühwerk wurde in einer Geraer Ausstellung im Jahr 2000 aufgearbeitet, die zwanziger Jahre des Malers waren Gegenstand der bereits 1996 erschienenen Dissertation Andreas Strobls – die Lücke dazwischen versucht nun Rainer Beck zu schließen, indem er sich den „kosmischen Bildern“ nähert.

Es handelt sich dabei um einen Übergang im Dixschen Oeuvre, den Beck, wie der Untertitel des soeben im Verlag der Kunst erschienenen Bandes nahelegt, zwischen den Werken „Sehnsucht“ und „Schwangeres Weib“ ansetzt. Das, was sich in kaum einem Dutzend Arbeiten in Öl und einigen Zeichnungen Form verleiht, war bisher von der Forschung gründlich ausgeblendet worden: lediglich als Phase des „Experiments“ zwischen Dix\' Versuchen einer Nachfolge der Dresdner Brücke-Expressionisten und der Dada-Periode ab 1920 faßte etwa der Dix-Freundes und Kunsthistorikers Fritz Löffler die „kosmischen Bilder“ in seiner legendären Monographie des aus den 60er Jahren auf, ohne sich weiter groß darum zu kümmern. Zu stark und zu wichtig schienen wohl die sozialkritischen Werke oder die Auseinandersetzung mit der Altdeutschen Malerei, die Dix bereits vor dem Kriege für sich nutzbar gemacht hatte (vgl. das Selbstportrait mit Nelke 1912). So stehen, besser: standen die „kosmischen Bilder“ scheinbar isoliert im Werk des Malers Dix – was Beck, der 1985 den Katalog zur Dix-Ausstellung in der Münchner Villa Stuck betreute, auch ein wenig zur Selbstkritik Anlaß gab.

Somit handelt es sich bei dem vorliegenden Band um eine detailgenaue Untersuchung, mit der eine Forschungslücke geschlossen werden soll. Dennoch nähert sich der Autor seiner Problematik allgemein und bereitet für die nachvollziehbare Lektüre des bisher wenig mit Dix vertrauten Lesers zunächst die Grundlagen. Das beginnt damit, daß der Autor Dresden der ersten Nachkriegszeit schildert: das Jahr 1919, das ein Ende von Kriegswirren und Revolutionschaos brachte. Und einen künstlerischen Neuanfang für die heimgekehrten Soldaten, wie Dix. Im Januar gründete sich die „Gruppe 1919“, durch die Dix mit unterschiedlichsten Strömungen der nationalen und internationalen Szene vertraut wurde. Schon in den Jahren davor hatte der junge Künstler in einem wahrhaften Rausch sämtliche Perioden und -Ismen durchlaufen, sog Expressionismus, Futurismus, Kubismus in sich ein und ließ die Kunstgeschichte wie im Zeitraffer durch sich hindurchsickern. Innerhalb der neuen Gruppe, in welcher Conrad Felixmüller wichtigster Mitstreiter wird, sind es weitere Vorbilder, die Dix kennenlernt und die spätestens in der zweiten Jahreshälfte in sein Werk einfließen, wie Rainer Beck zeigt.

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Niemand anderes als Marc Chagall wird für Dix wichtig: dessen motivische „Überblendungstechnik“ in einem flachen Bildraum, der meist durch einen monochromen, dunklen Hintergrund abgeschlossen wird; Figuren, die über Dachlandschaften schweben und surreale Geschichten zu erzählen scheinen. Zur gleichen Zeit kommt Dix mit dem Werk des Dichters Theodor Däubler (1876-1934) in Verbindung, den er später auch porträtieren sollte. In dessen Werk, besonders seinem Hauptwerk „Das Nordlicht“ von 1910, steht eine eigene Mystik, eine Art Schöpfungslehre im Vordergrund, die Weltentstehen und Menschwerdung zu beschreiben sucht. Ein weiterer Dichter dieser Zeit, mit dem Dix und Felixmüller befreundet waren, ist Walter Rheiner, der von einem „in den Himmel geworfenen Menschen“ spricht (und im Kokainrausch aus dem Fenster sprang). Folgt man Rainer Beck, so scheint sich bei Dix die postnietzscheanische Däubler-Rheiner-Lektüre und die Auseinandersetzung mit Chagall noch mit einem dritten Erlebnis vermischt zu haben: Dix\' Beziehung zu Viola Schulhoff, der Schwester des Komponisten Erwin, der ebenfalls Mitglied der „Gruppe 1919“ war. Schulhoff war es auch, der Dix mit einem weiteren durch Kunst transzendierten Schöpfungsmythos bekannt machte, mit den synästhetsichen Versuchen Alexander Skrjabins und dem sogenannten Farbenklavier, das er in seiner Sinfonie „Prometheus“ zum Einsatz bringen wollte.

Beck klärt zunächst sehr genau diesen Kontext, der Dix in der unmittelbaren Nachkriegszeit umgab, ehe er sich dann dem kosmischen Werkkonglomerat nähert, das direkt daraus hervorging – wie Stil, Themen und Bedeutung in der Analyse des Autors überzeugend beweisen. Der dunkle Hintergrund dieser Werkgruppe verortet das Bildgeschehen in kosmischer Schwerelosigkeit; die Figuren, die zumeist aus blasenartigen Gebilden zusammengesetzt wurden, schweben im Raum, umringt von Sternen, die sich bisweilen in ihren Körper einschreiben. Bei den Personen, die gezeigt werden, handelt es sich vor allem um Paare, um Frauen und um Dix selbst. Diese Konstellation wird variiert und es wird bald deutlich, daß Dix hier verschiedene Aspekte seiner Beziehung zu Viola verarbeitet, die er sogleich ins allgemeine wendet: In Auseinandersetzung mit Theodor Däubler werden Motive der Erotik mit solchen des Todes gepaart (eines der Bilder ist der „Tod und das Mädchen“), gleichzeitig jedoch in einen übergreifenden Kosmos von Werden und Vergehen eingeordnet.

Die „penetrante Fleischlichkeit“, die Beck für Dix Periode der 20er Jahre konstatiert, erscheint in den kosmischen Bildern durch pseudophilosophische Sublimierung gemildert. Und dies, obwohl Beck auch in dieser Periode Dix\' Ringen mit den eigenen Sexualität, vielmehr seinen männlichen Trieb bloßlegt, mit dem der Maler kaum zurechtkam. War der Sex zunächst oft Fluchtbewegung („Laß mich mit deiner dämlichen Politik in Ruhe, ich geh in den Puff“), so muß er diese in seiner Beziehung zu Viola kanalisieren. Und tut ebendies auch in seiner Kunst dieser Periode, indem er die motivische Drastik nicht allein dämpft, sondern durch die neu eingeführten chagallesken Sujets völlig ausblendet. Rainer Beck deutet die kosmischen Bilder damit als äußerst persönliche Phase, in der Dix zwischen Eros und (Dichter)Religion pendelte. Vereinfacht ausgedrückt schien Viola Schulhoff auf den ungebildeten Rüpel und Bürgerschreck, als der Dix oft geschildert wird, mildernde Wirkung gehabt zu haben – die freilich schon bald nachlassen sollte.

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Trotz der analytischen Tiefe, die Beck in seinem Text erreicht und obwohl der Band durch eine äußerst spezielle Thematik gekennzeichnet ist, läßt sich der Argumentation leicht folgen. Diese Qualitäten werden zusätzlich durch ein stringentes, rasterartiges Layout, vor allem aber durch die üppige Bebilderung und eine gelungene Druckqualität unterstrichen. Gerade weil es sich um keinen Einführungsband handelt, sondern um eine spezielle Thematik ist diese gelungene Synthese aus Inhalt und Form besonders erfreulich – und ungewohnt. Becks Buch dürfte damit nicht allein weiteren Diskussionsstoff für die Dix-Forschung bieten, sondern auch als Beispiel fungieren, wie ansprechend Bücher über Kunst gestaltet werden können.

Datum der Rezension März 2003

Bibliographische Angaben

Beck, Rainer: Zwischen \'Sehnsucht\' und \'schwangerem Weib\'. 2002
Philo Verlagsges.; Auflage: 1 (September 2002)
ISBN-13: 978-3364003894

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