Ausstellungsbesprechungen

Bella Italia – Fotografien und Gemälde 1815-1900, Von der Heydt-Museum Wuppertal, bis 2. September 2012

In 210 Originalfotografien und Gemälden gewährt die Ausstellung einen nostalgischen wie faszinierenden Blick auf das Italien des 19. Jahrhunderts. Gleichzeitig beschäftigt sie sich mit dem wechselvollen Verhältnis von Fotografie und Malerei. Rainer K. Wick hat es sich angeschaut.

„Auch ich in Arkadien“ lautete das Motto der ersten Ausgabe der »Italienischen Reise« Johann Wolfgang von Goethes, ein Motto, von dem selbst im Zeitalter des Massentourismus immer noch eine erhebliche Anziehungskraft ausgehen dürfte. Arkadien – das ist nicht nur eine Region in Griechenland, sondern auch und vor allem Synonym für das Sehnsuchtsland der Nordländer, nämlich „Bella Italia“.

Goethes Reisebeschreibung prägte einen Literaturtypus halb-autobiografischen Charakters, der das Reisen als maßgeblichen Faktor der Selbstfindung und der Persönlichkeitsbildung des Individuums stilisierte.

Eine Sonderform der Bildungs- und Studienreise war (und ist) der Künstleraufenthalt mit dem Ziel, sich durch Natur und Kultur, Landschaft und Geschichte Italiens inspirieren zu lassen, also das Land als Motivspender zu nutzen und zugleich das eigene Profil als Künstler zu schärfen bzw. die professionellen Kompetenzen angesichts der künstlerischen Höhe und der überreichen Kunstschätze des Landes zu erweitern. Das ist eine Traditionslinie, die auf Dürer zurückgeht und über Rubens, Poussin, Lorrain, Thorvaldsen, Schadow, Schinkel, Klenze, Ingres, Koch, Dahl, Carus, Tischbein, Cornelius, Carolsfeld, Pforr, Overbeck, Corot, Turner, Ruskin, Bonington, Monet, Böcklin, Marées, Thoma und Lenbach bis ins späte 19. Jahrhundert und darüber hinaus reicht.

Von der Italienbegeisterung der Maler zeugen derzeit in einer sehenswerten Ausstellung im Wuppertaler Von der Heydt-Museum einige schöne Landschafts- und Figurengemälde zwischen Romantik und Idealismus aus der eigenen Sammlung, so etwa von Carl Rottmann, Carl Blechen, Friedrich Overbeck, Oswald Achenbach, Anselm Feuerbach und Hans von Marées. Doch der Fokus der Ausstellung liegt nicht auf der Malerei, sondern auf jenem Medium, das seit den 1830er Jahren einen lang gehegten Menschheitstraum in Erfüllung gehen ließ, nämlich — wie Alexander von Humboldt schon 1839 formulierte — Bilder »in unnachahmlicher Treue« apparativ herstellen zu können, sprich: auf der Fotografie. Mit rasantem Tempo erschloss seit den 1840er Jahren ein neuer Berufsstand, der des Fotografen, alle nur erdenklichen Lebensbereiche. Dazu gehört auch, dass Berufsfotografen die Italienreisenden mit fotografischen Abzügen bedienten, die die landschaftlichen Schönheiten und die Kulturschätze dieses Landes dokumentierten: Bergpanoramen und Seeblicke, historische Stadtansichten, ganze Straßenzüge, Plätze, einzelne Gebäude, Gemälde und Skulpturen, archäologische Stätten, alles mit bestechender Schärfe und großem Detailreichtum.

Berühmt sind hierzulande vor allem die fotografischen Arbeiten der Florentiner Fratelli Alinari, drei Brüder, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts mehrere zehntausend fotografische Platten schufen, die heute unschätzbare Dokumente eines gigantischen, zum Teil schon verlorenen, zum Teil zwischenzeitlich veränderten historischen Erbes sind. (So zeigt die Aufnahme des Florentiner Doms mit Campanile noch den Zustand vor Ausführung der historisierenden Westfassade der Zeit um 1870.)

Neben den Alinari-Fotos präsentiert die Wuppertaler Ausstellung weiteres umfangreiches Bildmaterial aus der Privatsammlung Dietmar Siegert und der von Ulrich Pohlmann geleiteten Fotosammlung des Münchner Stadtmuseums und lenkt damit den Blick auf eine Fülle mehr oder weniger vergessener Fotografen des vorletzten Jahrhunderts, die ein Italien zeigen, das im heutigen Betrachter ohne Umwege nostalgische Gefühle auslösen kann.

Obwohl der Fotografie allgemein die besondere Befähigung zur „objektiven“ Wiedergabe der Wirklichkeit beigemessen wird, dürfen diese Bilder allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie mit den Realitäten des »Landes, wo die Zitronen blühn« (Goethe) oft nur bedingt übereinstimmen. Fotografische Abbildungen von Einheimischen in Folkloretrachten oder von Alltagsszenen – wie Giorgio Sommers »Makkaroniesser« oder Robert Rives Neapolitaner »Fischerfamilie« — befriedigten zweifellos die enorme Nachfrage der damaligen Reisenden, denen eher an der Bestätigung eines romantisch verklärten Italienklischees gelegen war und die es vorzogen, den krassen Pauperismus und das soziale Elend breiter Schichten auszublenden.

Es waren vor allem zwei deutsche Fotografen, Guglielmo Plüschow und Wilhelm von Gloeden, die mit ihren schwülstigen Aktaufnahmen meist junger Männer, so etwa in den Straßen Pompejis oder in der Landschaft Taorminas, ein antikisch grundiertes, arkadisches Idealbild Italiens zu beschwören suchten und sich damit weit von den Realitäten des Landes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entfernten. Neben derart idyllischen Inszenierungen gab es aber auch Fotosequenzen, die wie Vorwegnahmen der konzeptuellen Fotografie des letzten Jahrhunderts erscheinen. Erwähnt sei nur Giorgio Sommers eindrucksvolle Serie vom Ausbruch des Vesuvs am 26. April 1872, die in nüchterner, fast filmischer Manier im Abstand von genau 30 Minuten die Veränderungen der Aschenwolke über dem aktiven Vulkan am Golf von Neapel dokumentiert.

Begleitet wird die Ausstellung von einem großformatigen, reich bebilderten und gut gestalteten Katalogbuch, zu dem Ulrich Pohlmann unter dem Titel »Grand Tour« einen informativen Textbeitrag beigesteuert hat. Für die sicherlich nicht gerade kleine Gemeinde der Freunde Italiens dürfte das Buch ohne Zweifel ein Leckerbissen sein.

Weitere Informationen

Der Katalog zur Ausstellung kann im Museum erworben werden.

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