Buchrezensionen

Belting, Hans: Bild-Anthropologie. Entwürfe einer Bildwissenschaft

Hans Belting unternahm mit seinem Band, der jetzt in der Reihe "Bild und Text" des Wilhelm Fink Verlages erschien, den a priori als solchen ausgewiesenen Versuch einer Anthropologie des Bildes.

In seinem Vorwort betont er sehr zu Recht die "Notwendigkeit einer Bildgeschichte" (statt etwa einer sattsam etablierten Kunstgeschichte), denn es komme immer wieder zu "Unschärfen in der Rede über Bilder". Leider ist das auch bei Belting selbst der Fall, dessen Differenzierung von Bildern und ihren Medien nicht durchweg so nachvollziehbar und präzise gerät, wie es gerade für einen einführenden Text wünschenswert wäre. Dabei ist, wie Belting selbst einräumt, in der Tat die "Geschichte der Bilder immer auch eine Geschichte der Bildmedien gewesen", eine Geschichte, die gegenwärtig ohnehin in allzu mißverständlichen und zweifelhaften Terms so diskutiert werde, als existierten die Bilder medien- bzw. körperlos oder aber als seien das Bild und die Technologien seiner Herstellung identisch.
Belting unterscheidet grundlegend zwischen den "äußeren Bildern", die sich vermittelt durch technische Bildkörper dem Blick des Betrachters stellen und körpereigenen, endogenen Bildern (hier hätte ein Seitenblick auf therapeutische Traditionen, etwa des katatymen Bilderlebens, durchaus dienlich sein können).

Der Verfasser verknüpft, und das ist der entscheidende, gelungene anthropologische Ansatz seiner Erörterungen, die "Bildgeschichte" mit der "Körpergeschichte" im Sinne sowohl einer Kulturgeschichte des Körpers, seiner Inszenierung, Substituierung, Reproduktion und Repräsentation, aber auch im Sinne einer Geschichte der Wahrnehmung als einer körperlichen (und sozialen!) Aktivität, z.B. im Rahmen kultischer Handlungen. Mehrmals kommt er sehr einleuchtend vor allem auf das Totenbild als entscheidende Motivation der menschlichen Bildpraxis zu sprechen. Die Erfahrung des Todes von Mitmenschen habe eine wesentliche Voraussetzung für den Umgang mit und das Verständnis von Bildern geschaffen: "Man hat die Bilder vor Augen, so wie man Tote vor Augen hat, die dennoch nicht da sind." Genau dieser Widerspruch zwischen Anwesenheit und Abwesenheit kennzeichnete zu allen Zeiten das Verhältnis von Menschen zu Bildern, die etwas zeigen, das körperlich abwesend ist und nur im Bild (als Erscheinung) existieren kann.

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Treffend charakterisiert Belting die Bildwahrnehmung als einen Akt der Animation, den der Betrachter absolviert: er selbst muß natürlich in seiner Imagination das medial verkörperte Bild beleben, als spräche es zu ihm. So erscheinen vor allem die Visionen der MystikerInnen des Mittelalters untrennbar verbunden mit den in Kirchen ausgestellten Bildern: die historischen Bilderzählungen und die Berichte der vermeintlich persönlichen Ekstase-Erlebnisse gleichen einander in so auffälliger Weise, daß die Vermutung naheliegt, Altartafeln und Devotionsbilder seien die direkten Vorlagen für diese Texte gewesen.
Bilder, die einen Verstorbenen bzw. ehemals Gelebthabenden darstellten oder zeichenhaft auf ihn hinwiesen, standen jahrhundertelang im Mittelpunkt magischer Praktiken, ehe sie ihre Hauptaufgabe darin erhielten, Medien der Erinnerung zu sein.

Als "Medien" im buchstäblichen Sinne verstanden sich denn seit dem späten 19. Jahrhundert Personen, die sich in spiritistischen Sitzungen dafür zur Verfügung stellten, den Geist eines Verstorbenen durch ihren Mund sprechen zu lassen. In ähnlicher Weise hatten bereits die "Effigies" als künstliche Doppelgänger und Stellvertreter den noch oder nicht mehr lebenden Körper eines Menschen im Medium der Wachsfigur repräsentiert: Da niemand ununterbrochen am heiligen Geschehen des Gottesdienstes teilnehmen konnte, wurde ein wächsernes Ebenbild im Sakralraum platziert, das z.B. als Votivfigur ewigen Dank für überstandene Krankheit ableistete, aber auch die vom guten Christen erhoffte Auferstehung des unversehrten Leibes visualisierte. War der Dargestellte bereits verstorben, füllt sein Bild "das Intervall, das zwischen dem Tod der betreffenden Person und dem Jüngsten Gericht bestand."

Dabei ist bereits der Körper selbst ein Bild, in dem sich der Mensch zur Erscheinung bringt. Somit ist die Abbildung ebendieses Körpers nicht Reproduktion, sondern eigentlich Produktion des Körpers. Belting sieht das grundlegende Dreieck Mensch-Körper-Bild bedroht durch eine Krise der Referenz zwischen Bild und Körper und durch den Verlust von akzeptablen Körperbildern: "Eine seltsame Einmütigkeit besteht darin, daß wir ebenso dabei sind, das Bild vom Menschen zu verlieren, wie wir auch kein Bild mehr von unserem Körper haben, auf das wir uns noch verständigen könnten."

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Zwar haben sich die menschlichen Sinnesorgane im Verlauf der Evolution so gut wie nicht verändert, hingegen läßt sich am Rezeptionsverhalten ein kultureller Wandel beobachten. Neuartige Medien präsentieren Bilder so, als handele es sich tatsächlich um jeweils neue Bilder. Die Frage nach der Wirkung von Bildmedien ist dabei in der modernen Neurobiologie bestens aufgehoben, die sich mit den "internen Repräsentationen" beschäftigt, die von der neuronalen Funktionsweise des Hirns vorgegeben wird. Vor allem in den Naturwissenschaften kann berücksichtigt werden, daß auch kollektive, nicht individuelle "innere Bilder" doch so verarbeitet werden, für eigene Bilder halten können.

In jedem Fall erweist sich Beltings Plädoyer für einen anthropologischen Bild-Begriff als ebenso plausibel wie anregend. Insgesamt stimuliert die Lektüre seines "Entwurfs" zum Abschied von einer herkömmlichen Kunstgeschichte, die mit einem stilhistorischen Blick auf Bilder deren Entstehung und Wirkung kaum zu würdigen vermag.

Bibliographische Angaben

Belting, Hans: Bild-Anthropologie. Entwürfe einer Bildwissenschaft
 

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