Buchrezensionen

Bernard Andreae: Römische Kunst von Augustus bis Constantin, Zabern 2012

Der Zeitabschnitt zwischen den römischen Kaisern Augustus bis Konstantin markiert den Anfangs- und Endpunkt einer Epoche, die lange unter dem Verdikt der „Verfallszeit“ stand. Und obwohl dieses Vorurteil in der Fachwelt schon längst einer viel differenzierteren Einschätzung gewichen ist, besteht in dieser Hinsicht noch viel Nachholbedarf. Ulrike Schuster hat sich das Nachschlagewerk angesehen.

Bernard Andreae ist einer der profundesten Kenner der Antike, der im Laufe seiner langen wissenschaftlichen Laufbahn bereits mit zahlreichen Publikationen an die Öffentlichkeit getreten ist. Seine 1973 erstmals aufgelegte, und seitdem „in alle Weltsprachen“ übersetzte Geschichte der römischen Kunst, gilt nach wie vor als bedeutendes Standardwerk zum vielschichtigen Thema. Als langjähriger Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom zwischen 1984 und 1995 hatte er überdies einen unmittelbaren Zugang zu aktuellen Forschungsergebnissen vor Ort und weiß sachkundig über die neuesten Erkenntnisse zu berichten.

Die vorliegende Publikation gliedert sich in 48 Essays zu unterschiedlichen Aspekten: der politischen Geschichte des Kaiserreiches, den verschiedenen Kunstsparten, berühmten Gebäuden und Plastiken, Material und Technik, etc. Das Ziel ist es dabei, die römische Kunstproduktion der Spätzeit möglichst facettenreich zu beleuchten, und so etwas wie die Ansätze der römischen Weltanschauung sichtbar werden zu lassen. Diese offene Struktur des Textes erlaubt ein freies Durchblättern, ein Schmökern nach Belieben, da die einzelnen Module sowohl separat als auch in größeren Zusammenhängen mit anderen Kapiteln gelesen werden können.

Sofern man nicht ohnehin lieber bei der Betrachtung der großformatigen, atemberaubend fotografierten Bildtafeln verweilen möchte. Noch selten sah man Aufnahmen von einer solchen Farbbrillanz beziehungsweise einer plastischen Tiefenschärfe, die noch kleinste Details im Relief nachvollziehbar machen. Für die Erfassung von architektonischen Großanlagen werden zur besseren Anschaulichkeit noch Planaufnahmen, zuweilen auch Luftaufnahmen, hinzugefügt.

Bei der detaillierteren Vertiefung in die Lektüre kommt man dennoch nicht umhin zu konstatieren, dass das Geschichtsbild des Autors ein konservatives ist. Wie Andreae bereits eingangs hervorhebt, liegt sein Fokus auf dem römischen Zentrum, und dort wiederum am kaiserlichen Hof mit seiner Abfolge der regierenden Dynastien. Dagegen ist zwar grundsätzlich nichts einzuwenden, da unbestritten zuallererst der Princeps einen maßgeblichen Einfluss auf seine zeitgenössische Kunstproduktion ausübte. Andreae verweist in diesem Zusammenhang auf stilistisch markante Ausprägungen in der Darstellung der Physiognomien und prägt den Terminus des »jeweiligen Zeitgesichts«, das in der Frage der Datierung von römischen Kunstwerken oftmals wertvolle Hinweise liefert.

Doch nicht nur die Darstellung der Herrscherhäuser nimmt in seiner Publikation überproportional viel Raum ein, auch die Betrachtung der Kunstwerke selbst wirkt wie nach einem hierarchischen Ordnungsprinzip gegliedert auch wenn dies so nicht explizit ausgesprochen wird. Der dezidierte Vorzug gilt den großen imperialen Prachtbauten, beziehungsweise den damit in Verbindung stehenden Monumenten. Die reichhaltige Kleinproduktion, beispielsweise im Kunstgewerbe, kommt in diesem Zusammenhang keineswegs zu kurz, scheint aber dennoch eine nachrangige Stellung einzunehmen.

Andererseits geht Andreae immer wieder auf die zu beobachtenden Umbrüche in Stil, Komposition und Darstellungsmodi ein und betont die Notwendigkeit einer unbefangenen Sichtweise. Ausgehend von Alois Riegls Begriff des Kunstwollens, skizziert er eine kunsthistorische Entwicklung, die sich zunehmend vom Vorbild der griechischen Mimesis ablöst. Das Ideal der naturgetreuen Wiedergabe erfährt eine Übersteigerung durch eine expressive Formensprache und weicht schließlich einer neuen Kunstauffassung, die in symbolischer Verschlüsselung nach der „hinter den sichtbaren Dingen liegenden Wirklichkeit“ sucht. Die Phänomene dieses Stilwandels werden exakt erfasst, ihre Ausdeutung verbleibt aber zumeist auf einer rein deskriptiven Ebene.

Vehement nimmt Andreae dagegen die Römer vor dem weitverbreiteten Vorurteil in Schutz, diese hätten bloß die Kunst der Griechen imitiert und keine eigenständigen Leistungen hervorgebracht. Gerade die vielgescholtene Spätzeit habe großartige genuin-römische Kunstwerke hervorgebracht, so sein Resümee.

Dies untermauert er in einigen seiner Essays, die sich verblüffenden Einblicken hinter die Kulissen der römischen Kunstproduktion widmen und über Arbeitsweise, Material und Technik berichten. So erläutert er das Verfahren einer dreidimensionalen Kopie mit Hilfe der sogenannten Dreipunktmethode und identifiziert die Fragmente eines Papyrus als spätantikes Musterbuch für Figurenstudien. In anderen Kapiteln erfährt man von der Anwendung der Quadratur für die Übertragung von Vorzeichnungen in Wandmalerei, von der komplizierten Herstellung der kostbaren Überfanggläser oder der Verarbeitung von bunten Marmoren zu polychromen Statuen.

Dank der großen Bandbreite der angeschnittenen Themen bietet der prachtvolle Bildband eine Vielzahl an Anwendungsmöglichkeiten. Er eignet sich zur Einführung ebenso wie zur Vertiefung in einzelne Spezialgebiete. Und prädestiniert sich dadurch trotz der oben formulierten Vorbehalte als kompetentes Nachschlagewerk auf aktuellen Standard.

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