Buchrezensionen

Bernhart-Königstein, Gregor: Raffaels Weltverklärung. Das berühmteste Gemälde der Welt, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2007; De Vecchi, Pierluigi: Raffael, Hirmer Verlag, München 2002.

Der Autor des vom Optischen her sehr ansprechenden Bandes aus dem Imhof-Verlag will mit seinem Werk über die »Transfiguration«/»Verklärung Christi« nichts Geringeres geleistet haben als eine völlig neue, endgültige und erschöpfende Deutung des letzten Gemäldes Raffaels. Die Lösung eines Welträtsels!

Alles, was wir bis dato über das monumentale Ölbild in der Pinacoteca Vaticana wussten oder zu wissen glaubten, sollen wir, meint Bernhart-Königstein, getrost vergessen, um jetzt endlich in das von ihm enthüllte »Wahre Gesicht« des »berühmtesten Gemäldes der Welt« schauen zu können. Folglich arbeitet der von Selbstzweifeln und wissenschaftlichem Kleinmut offenbar kaum geplagte Wiener Kunsthistoriker ganz konsequent, wenn er die überaus reiche Rezeptionsgeschichte der »Transfiguration« auf ein paar Seiten eher abtut als abhandelt und alsbald beim Eigentlichen: bei seiner eigenen Sicht auf das Raffaelsche Werk, ankommt.

Die legt er in sieben »Büchern«, einem von ihm selbst so genannten »Heptameron« dar. Dessen Anlage wäre man ohne Zögern esoterisch zu nennen geneigt, wenn man nicht zuvor staunend zur Kenntnis genommen hätte, dass dieser kühne Wurf ins Ungeahnte die Barrieren einer universitären Prüfungskommission passiert hat. »Exorzismus« (1), »Petrus« (2), »Gloria« (3), »Morgenstern« (4), »Gerechtigkeit« (5), »Gnade« (6) und »Verkündigung« (7) sind die einzelnen »Bücher« überschrieben, denen er eine Art Leseanleitung vorausschickt. So zum Siebten, dem »Buch der Verkündigung«: »Es ist die vollendete Erleuchtung des Wahren Gesichts. Hier lernen wir Raffael nicht nur als ›Rhetor‹, sondern wieder von den Stanzen ausgehend auch als visionären ›Astronomen‹ kennen, der sogar dem in der modernen Physik gebildeten Menschen etwas ›Wahres‹ zu sagen hat.« (S. 39)

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Worum dreht es sich nun inhaltlich? Raffaels »Transfiguration« besteht aus zwei Szenen, die beide in den Evangelien erzählt werden. Die obere Hälfte des Gemäldes schildert die Verklärung des Heilands auf dem Berg Tabor, die untere die Heilung des Besessenen. Wie aber genau diese zwei Szenen in ihrem Zusammensein zu interpretieren wären, darüber haben sich die Betrachter in den fünf Jahrhunderten zwischen Raffaels Tod und Bernhart-Königsteins Promotion den Kopf zerbrochen und sind zu den unterschiedlichsten Resultaten gelangt. - Alles falsch, sagt unser Autor; denn das von niemandem bisher erkannte, wenngleich »erkennbare Ziel« Raffaels sei es gewesen, »die Wiederkehr Christi, allgemeines Gericht, allgemeine Auferstehung (nicht nur der uomi famosi), Heilsgeschichte, Schöpfung und Gnade in einem Gesamtprogramm zu vereinen.« (S. 75)

Um die apokalyptisch-eschatologische Theologie des Bildes zu ergründen, durchstreift Bernhart-Königstein die christliche Literatur des Mittelalters mit unbestreitbarer Belesenheit und Kombinationsgabe. Wenn es dann allerdings darum geht, die bis ins Mystische hineinreichenden Spekulationen ikonographisch dingfest zu machen, setzt der Autor mit seinem schweifenden Argumentationsgang eine schier unendliche Engelsgeduld aufseiten des Lesers voraus. 

Terminologische Schwächen (»mater misericordia« statt »mater misericordiae«) und begriffliche Eigenwilligkeiten (»Doppelzession« für einen Spezialtyp der Interzession (?)) lassen die Lektüre ebenso zu einem Würgekampf zwischen dem unerschütterlichen Selbstbehauptungswillen des Autors und der wachsenden Ratlosigkeit des Lesers werden wie syntaktische Stolpereien (»Die doppelte Fürbitte besteht darin, daß der am Kreuz gestorbene Sohn bei der Gottesgestalt Fürbitte leistet und bei der Knechtsgestalt dessen Mutter.«) und stilistische Bauchlandungen (»Die Leiden des Knaben haben es der selbstbewußten Gottesmutter offenbar besonders angetan.«). (alle S. 146) - Überraschende Deutungsangebote wie etwa die, es handele sich bei der schönen Knienden mit dem auffälligen Hinterteil im Bildvordergrund um die jungfräuliche Gottesmutter Maria oder beim nach oben weisenden, rotgekleideten Apostel um den herabgestiegenen Christus, gewinnen, indem sie in derart zerzaustem Sprachgewand daherkommen, keineswegs an Überzeugungskraft.

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Nimmt man schließlich die vielen Druckfehler und gebrauchswertmindernden Mängel (z. B. fehlendes Register und fehlende Seitenangaben bei dem »Detailierte[n] [sic] Inhaltsverzeichnis der Sieben Bücher«) hinzu, so muss man sagen, dass Gregor Bernhart-Königstein es selbst dem ihm guten Willens Entgegenkommenden nicht leicht macht, Gefallen an seiner exzentrischen Botschaft von der »Weltverklärung« zu finden.

Frischere Luft atmen wir, wenn wir Pierluigi De Vecchis prächtige Raffael-Monographie aus dem Hirmer-Verlag aufschlagen. Die Freude an diesem Werk rührt natürlich erst einmal her vom Reichtum der qualitätvollen, oft seitenfüllenden Abbildungen, welche die Malereien Raffaels in wunderbare Anschauungsnähe bringen – sofern man es denn irgend geschafft hat, einen Leseplatz zu finden, der eine entspannte Betrachtung der dreieinhalb Kilogramm Buch im Format von 34 x 29 cm erlaubt.

Wie schön dann aber: Viele (Vor-)Zeichnungen des Meisters lassen sich nun in Original- oder sogar Übergröße ansehen, und selbst die gewaltigen Stanzen des Vatikans sind noch so gut wiedergegeben, dass ein kommodes Studium auch kleinerer Details möglich ist. Nahezu im Verhältnis eins zu eins zeigt sich die »Madonna Aldobrandini« (Abb. 245; London, National Gallery). Und die Augen freuen sich, wenn sie ganz genau sehen, was der Autor so fein beschreibt: »Die Arme der Maria sind weit geöffnet: der linke umfaßt zart den kleinen Johannes; die rechte Hand drückt einen Mantelbausch zusammen, als wollte sie den Körper des nackten Kindes schützen und einhüllen. Ihr Ausdruck ist sinnend und leicht getrübt von der Vorahnung des Schicksals der spielenden Kinder. Aus zwei großen Fenstern, die den Blick auf eine in Abendlicht getauchte, leicht vom Nebel verschleierte Landschaft mit einsamen Häusern freigeben, dringt diffuses Licht in das Zimmer, in dem der fein abgestufte Farbakkord in reinem Einklang mit der zarten, leicht wehmütigen Stimmung steht.« (S. 256)

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Fraglos hat eine derart üppige Ausstattung ihren Preis, und so hat Hirmer die Kosten durch eine Lizenzvereinbarung mit einem französischen Verlag im betriebswirtschaftlichen Rahmen gehalten: Citadelles & Mazenod brachte – ebenfalls 2002 – die Originalausgabe heraus, zeitgleich mit der deutschen und der italienischen Version. Letztere ist von Annemarie Seling ganz hervorragend in ein präzises und flüssig lesbares Deutsch gebracht worden.

Einiges, nicht zuletzt die Tatsache, dass schon damals eine Neubearbeitung der Bibliographie (von Valeska Doll) erforderlich geworden war, spricht dafür, dass dieser Monographie ältere Texte des angesehenen italienischen Kunsthistorikers De Vecchi zugrunde gelegt wurden. Dies mag – erst recht fünf Jahre nach Erscheinen – den Aktualitätswert senken, kann jedoch die Substanz des Buches kaum schwächen.

Obschon der Darstellungsgang des aus neun weitgehend eigenständigen Kapiteln sich zusammensetzenden Textes keiner klar ersichtlichen Strukturlogik folgt, lässt sich doch ein Leitmotiv der Raffaeldeutung De Vecchis erkennen: das der »Assimilation«. (S. 30) Von Beginn an nämlich sei es das Besondere der Genialität Raffaels gewesen, Impulse seiner – nicht allein künstlerischen – Umgebung aufzunehmen, sie »der schärfsten kritischen Analyse« (S. 67) zu unterziehen, um sie seinen eigenen Intentionen anzuverwandeln. Vorbildlichkeit in diesem konkreten Verständnis kommt der Raum- und Figurenauffassung Peruginos ebenso zu wie etwa der ungestümen Skulpturalität Michelangelos, der illusionistisch-psychologisierenden Porträtkunst Leonardos oder den nun »klassisch« werdenden Monumenten der vorchristlichen Antike.

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De Vecchi gibt insgesamt einen luziden Überblick über die Entwicklung der malerischen (und architektonischen) Schöpfungen des Künstlers im Übergang von der Früh- zur Hochrenaissance. Dabei dürfte der Autor weniger ein an speziellen Einzelfragen interessiertes Publikum im Blick gehabt haben als vielmehr einen Leser, der auf solider Grundlage eine schöngeistig gestimmte Freundschaft mit dem Œuvre Raffaels schließen möchte. – Intimitätsstiftend mögen in dieser Hinsicht vornehmlich die Passagen über die Porträtmalerei und über die »himmlische Natürlichkeit« (S. 242 ff.) der Madonnenbilder wirken.

Das letzte Kapitel ist der »Transfiguration« gewidmet. De Vecchi stellt Raffaels gemaltes Testament überzeugend vor als ein Meisterstück der Zusammenführung von »Theophanie« (obere Hälfte) und dramatisch emotionalisierter Historienszene im »stile tragico« (untere Hälfte). Zwar entspricht diese Bildbeschreibung inzwischen nicht mehr ganz dem neuesten Stand der Forschung, gefällt jedoch nichtsdestoweniger in ihrer enthusiasmierten Sachlichkeit.

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