Ausstellungsbesprechungen

Besprechung im Doppelpack: »Glanz einer Epoche - Jugendstilschmuck aus Europa« (bis 22. Januar 2012) und »Ernst Ludwig Kirchner als Architekt« (bis 8. Januar 2012), Mathildenhöhe Darmstadt

Worin liegt die Gemeinsamkeit von Jugendstilschmuck und den architektonischen Entwürfen von Ernst Ludwig Kirchner? Günter Baumann hat die Verbindung in zwei Darmstädter Ausstellungen gefunden.

Das Streben der Jugendstil-Generation nach einem Gesamtkunstwerk fiel auf der Darmstädter Mathildenhöhe auf einen fruchtbaren Boden. Dass man bis heute noch gar nicht alle Facetten der Kunst um 1900 ausgeleuchtet hat, ist allerdings erstaunlich. So fiel das Schmuckschaffen der durchaus weltberühmten Künstlerkolonie in der Vergangenheit durch das grobmaschige Netz der Wahrnehmung, sprich: Das Thema Schmuck blieb meist außen vor oder eben Randthema. Die aktuelle Ausstellung in Darmstadt schließt die Lücke mit der Präsentation des »Schmuckschaffens der Darmstädter Künstlerkolonie« innerhalb der Schau »Glanz einer Epoche – Jugendstilschmuck aus Europa«. Wie rasch man damit an den gattungsumgreifenden Stil rührt, zeigen die bekannten Namen wie Peter Behrens, Rudolf Bosselt, Fabergé, Georges Fouquet, Joseph Maria Olbrich u.a.m., die den rund 150 Exponaten ein Gesicht geben. Ohne gleich von einer Schule zu reden – die Künstler kamen meist von anderen Disziplinen her, so war Olbrich eher als Architekt bekannt denn als Schmuckkünstler, bei der Arbeit mit den Edelmetallen waren sie oft Amateure –, entwickelte die Gemeinschaft eine florierende Schmuckkollektion. Sogar der Förderer der Kolonie, Großherzog Ernst Ludwig von Hessen-Rhein dilettierte als Schmuckkünstler. Überraschend ist die Vielfalt der Entwürfe, die die ganze Bandbreite zwischen Symbolismus (z. B. ein silberner Spiegelanhänger nach einem Entwurf von Hans Christiansen) und Geometrie (etwa eine sehr schöne, Olbrich zugeschriebene Brosche) abdecken, was kein Widerspruch darstellte, denkt man an den Werdegang eines Peter Behrens als Architekt.

Die hochkarätige Schau greift nicht allein auf Arbeiten der Mathildenhöhen- Bewohner zurück, sondern auch auf die Sammlung des Hessischen Landesmuseums, das auf den Fundus einschlägiger Werke im ehemaligen Besitz des niederländischen Juweliers Karel Citroen sowie auf das Schmuckmuseum in Pforzheim zurückgreifen kann. Erst dadurch gewinnt die Schmuckparade ihre internationale, zumindest europäische Ausrichtung. Neben dem schweren Katalog von Wolfgang Glüber zum »Jugendstilschmuck« (Schnell und Steiner) ist im Darmstädter Haus selber eine schmale Publikation zum Schmuckschaffen in der Künstlerkolonie erschienen, das die Highlights benennt, herausgegeben von dem Ausstellungskurator Ralf Beil.

Die Künstlerliste mit rund 50 Positionen insgesamt liest sich wie ein Who is Who der zu Unrecht wenig beachteten Schmuckdesigner: Josef Maria Auchentaller (Österreich), Max Benirschke (Deutschland), Franz Boeres (Deutschland), Rudolf Bosselt (Deutschland), Edgar Brandt (Frankreich), Paul Bürck (Deutschland), Hans Christiansen (Deutschland), Johann Vincenz Cissarz (Deutschland), Marie Alexandre Lucien Coudray (Frankreich), Joë Descomps (Frankreich), Julien Duval (Frankreich), Jan Eisenloeffel (Niederlande), Eugène Feuillâtre (Frankreich), Paul Follot (Frankreich), Georges Fouquet (Frankreich), Lucien Gaillard (Frankreich), Léopold A.M. Gautrait (Frankreich), Max Joseph Gradl (Deutschland), Ludwig Habich (Deutschland), Hermann Robert Catumby Hirzel (Deutschland), Josef Hoffmann (Österreich), Patritz Huber (Deutschland), Georg Arthur Jensen (Dänemark), Georg Kleemann (Deutschland), Archibald Knox (Großbritannien), Auguste Lacroix (Frankreich), René Jules Lalique (Frankreich), Landois (Frankreich), Johannes Ludovicus Mathieu Lauweriks (Niederlande), Hans Dietrich Leipheimer (Deutschland), Achille Eugène Alexis Leroy (Frankreich), Josef Emanuel Margold (Deutschland), Ferdinand Morawe (Deutschland), Albin Müller (Deutschland), Bert Nienhuis (Niederlande), Josef Maria Olbrich (Deutschland), Max Pfeiffer (Deutschland), Victor Prouvé (Frankreich), Ernst Riegel (Deutschland), Karl Rothmüller (Deutschland), Hugo Schaper (Deutschland), Ferdinand Semmelroth (Deutschland), André-Fernand Thesmar (Frankreich), Henry Wilson (Großbritannien), Philippe Wolfers (Belgien) sowie die Firmen Bolin, St. Petersburg und Moskau (Russland), Van den Eersten en Hofmeijer, Amsterdam (Niederlande), Karl Fabergé, St. Petersburg und Moskau (Russland), Theodor Fahrner, Pforzheim (Deutschland), Piel Frères, Paris (Frankreich), Carl Hermann, Pforzheim (Deutschland), Bernhard Hertz, Kopenhagen (Dänemark), André Kauffer, Nancy (Frankreich), Kirchgaessner & Kraft, Pforzheim (Deutschland), Heinrich Levinger, Pforzheim (Deutschland), Liberty & Co, London (Großbritannien), A. Odenwald, Pforzheim (Deutschland), Plisson & Hartz, Paris (Frankreich), Maurice Robin & Cie, Paris (Frankreich), Steinicken & Lohr, München (Deutschland), Vever, Paris (Frankreich), A. Volz-Bier, Hanau (Deutschland), Wild & Cie., Pforzheim (Deutschland), WMF, Geislingen (Deutschland)

Im Vorbeigehen liegen scheinbar Welten zwischen dieser jugendstilig-verspielten Schmuckschau und der Nachbarausstellung zu Ernst Ludwig Kirchner als Architekt. Bei näherer Betrachtung jedoch rücken beide Werkbereiche dichter aufeinander zu: Es geht auch hier um die Bekanntschaft mit einem weniger bekannten Schaffensbereich im Werk eines etablierten Künstlers. Der expressionistische Maler, der sich auch erfolgreich als Bildhauer äußerte und ein interessantes fotografisches Werk hinterlassen hat, war – wie so manche Brücke-Kollegen – von Hause aus Architekt. Wenn man rasch akzeptiert, dass Architekten wie Behrens oder Olbrich auch kunsthandwerklich tätig waren, so fällt es noch immer schwer, sich einen expressionistischen Maler vorzustellen, der die Konzeption eines Bauwerks meistert (dabei gibt es von Giotto über Michelangelo und Altdorfer bis hin zu Rubens genügend Beispiele in der Kunstgeschichte, wo die Grenzen fließen). Doch in der Tat: Kirchner war diplomierter Architekt, der an den TH Dresden und München studiert hatte, übrigens zu der Zeit, als die Künstlerkolonie auf der Darmstädter Höhe in voller Blüte stand. Freilich konnte der gänzlich zur bildenden Kunst übergewechselte Kirchner wohl keines seiner Bauten realisieren, aber die Gewissenhaftigkeit, mit der er sein Studium verfolgte – es liegen die Studienpläne vor –, geben einen Blick frei auf einen experimentierfreudigen, gewitzten und erstzunehmenden Planer. Davon zeugen die fast 100 Skizzen, Zeichnungen sowie Fotos, mit denen dieses Segment in Kirchners Schaffen vollständig dargestellt ist.

Mit bewunderndem Staunen stellt man fest, dass da nicht ein von den Eltern genötigter Scheinstudent am Werk ist, sondern ein fantasievoller Theoretiker und grandioser Zeichner. Ob Innenräume, die noch ein Auge für das Mobiliar übrig haben, ob ganze Hotels oder Friedhöfe – die Palette ist derart überwältigend, dass man es schon wieder bedauern mag, dass der Architekt in spe seine Berufung in der Malerei suchte und fand, die er immerhin zu einem Höhepunkt zu Beginn des 20. Jahrhunderts brachte. Es ist schon möglich, dass Kirchner als Architekt zwar schöne, aber weniger bahnbrechende Leistungen erbracht hätte. Dazu konnte er sich dann doch nicht ganz von älteren Vorbildern lösen, womit die Kirchner-Schau auch wieder eine gedankliche Wende nach Darmstadt schafft, denn in manchen Zeichnungen gibt sich Kirchner als stiller Beobachter des frühen Behrens. Dennoch ist es ein Erlebnis, diesen nahezu unbekannten Kirchner im Umfeld seiner akademischen Lehrer, insbesondere Paul Wallots, oder auch im Kontext seiner Malerfreunde und Kurzzeit-Kommilitonen (!) zu entdecken, die sich immerhin in den Räumen der Technischen Hochschule trafen: Fritz Bleyl, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff. Sie alle haben kein vergleichbares architekturbezogenes, zeichnerisches Werk hinterlassen.

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