Ausstellungsbesprechungen

Besprechung im Doppelpack: Maarten Sleeuwits. Objects and Recordings / Jana Gunstheimer. Mentale Duelle, Kunsthalle Erfurt, bis 29. Juni 2014

Die beiden Erfurter Ausstellungen veranschaulichen die ganzen Palette an Fragestellungen zu Sichtbarkeitsphänomenen, Kommunikation, Identität und Anonymität im digitalen Zeitalter und stellen den Besucher vor eine echte Herausforderung. Dass sie trotzdem nicht theoretisch überfrachtet sind und auch eine spielerische Komponente besitzen, durfte Rowena Fuß selbst ausprobieren.

Datenpakete aus kleinen Nullen und Einsen, die lautlos und schnell um den Globus rasen kennzeichnen unseren Alltag, verbinden Rechner und Nutzer. Schon unheimlich, dass wir zwar nicht sehen, wie es geschieht, aber es passiert. Was würde wohl ein Herr aus dem mechanischen 19. Jahrhundert dazu sagen? Man weiß es nicht. Vielleicht wäre er über die hier wirkenden unsichtbaren Mächte entsetzt. Ein fotorealistisch gezeichnetes Porträt von Jana Gunstheimer kann hier jedenfalls nicht weiterhelfen. Denn das Antlitz des dargestellten Herrn steckt unter einer schwarzen Plastikmatte. Verbirgt er sich? Nein, er hat gar kein Gesicht! Das ist die Entdeckung, die der vorwitzige Besucher machen kann, wenn er hinter den Vorhang sieht.

Kein Ping. Keine Konnektivität. Auf der gegenüberliegenden Zeichnung fehlt es am Ball oder Lichtpunkt aus zwei Projektoren, die vor ein Spielfeld gestellt wurden. Was nun? Soll ich meine Fantasie bemühen und mir ein Match ausdenken? Mit diesem Gedanken kommt man der Intention Gunstheimers näher. In der oberen Etage der Kunsthalle hat sie sich nämlich selbst Geschichten zu verunstalteten Bildern ausgedacht. So etwa zum zerkratzen Bildnis von Iwan dem Schrecklichen und seinem ermordeten Sohn. Gunstheimer hat Ilja Repins Schilderung des dramatischen Moments detailgenau gezeichnet und dann – mit deutlichem Widerwillen, wie die Künstlerin verrät – mit drei großen Kratzern versehen. Angeblich sollen diese auf einen Geistesgestörten zurückgehen, der 1913 in der Moskauer Tretjakow-Galerie auf die Leinwand einstach. Doch ist der Angriff weder eine Attacke auf die akademische Malerei, noch ein später Racheakt, sondern pure Fiktion.

Deutlich greifbarer – und das ist wörtlich zu nehmen – sind die Arbeiten des Niederländers Maarten Sleeuwits, die parallel gezeigt werden. Blei und Ton, Porzellan und Bambus sind nur einige Rohstoffe und Mischsubstanzen, mit denen sich der Künstler beschäftigt und die er durch seine Arbeiten sinnlich vermittelt. »Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.« Dieser berühmt gewordene Satz von Schiller zum Menschen als Homo ludens gilt auch hier. Mit ernster, fast feierlicher Miene legt Sleeuwits mir eine kleine Puzzleschachtel aus Zahnkeramik in die Handfläche. Ich bin über das Gewicht erstaunt. Kein Wunder, im Innern befindet sich ein Kern aus 300 Gramm Gold! Verblüfft betrachte ich das Stück und probiere auch verschiedene Manöver mit der Schachtel. Am nächsten Tisch nehme ich verzückt ein Objekt aus Bambushalmen vom Künstler entgegen. Je nach Zugrichtung formen die Halme einmal Dreiecke, ein anderes Mal Rauten. Beim dritten Objekt, ein gläsernes Rechteck, benötige ich drei Anläufe, bis ich die richtigen Kanten erwische und es sich durch den Druck meiner Finger satellitenartig erweitert.

Sleeuwits ist die Kommunikation mit anderen wichtig. Ungewöhnlich ist dabei sein Ansatz. Statt zu sprechen, zeigt er dem Betrachter die Funktionsweise seiner Werke und gibt sie ihm dann in die Hand. Das kann er auch ohne Weiteres tun, denn die Stücke sind allesamt sehr filigran und klein. Falls dabei mal etwas kaputtgeht, war es das. Es gibt keinen Ersatz. Leider kann man die einzigartigen Erfahrungen mit den genannten Objekten nur während der Führungen machen. Außerhalb dieser Termine sind sie in Vitrinen untergebracht und können lediglich betrachtet werden. Dies geschieht aus sicherheitstechnischen Gründen, erklärt die Kuratorin Silke Opitz. Schade ist es trotzdem.

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