Ausstellungsbesprechungen

Besprechung im Doppelpack: Neue Sachlichkeit in Baden und Württemberg, Städtische Galerie Böblingen, bis 24. Februar 2013 und Otto Dix und die Neue Sachlichkeit, Kunstmuseum Stuttgart, bis 7. April 2013

»Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist fantasievoller als die Sachlichkeit«, sagte bereits der Schriftsteller Egon Erwin Kisch. So gestaltete sich die Neue Sachlichkeit Anfang des 20. Jahrhunderts als Strömung, die die Gesellschaft der Weimarer Republik analysierte. Günter Baumann hat zwei Ausstellungen in Böblingen und Stuttgart besucht.

Es ist ein Glücksfall in der Ausstellungslandschaft, wenn ein führendes Großstadtmuseum im Schulterschluss mit einem wichtigen Kunsthaus der Region ein Thema angeht, das offenbar in eine Lücke greift: Während etwa Mannheim und Karlsruhe in den vergangenen Jahrzehnten großangelegte Ausstellungen zur Neuen Sachlichkeit präsentieren konnten, ist dieser Stil, der besonders die Jahre der Weimarer Republik füllte, im Stuttgarter Raum allenfalls im Kleinen gezeigt worden.

Nun haben gleich zwei Häuser sich des Themas angenommen: das Stuttgarter Kunstmuseum mit dem bedeutenden Bestand an Dix-Werken sowie die Städtische Galerie mit einer brillanten Sammlung figurativer Arbeiten der klassischen Moderne mit Schwerpunkt auf der süddeutschen Tradition. Ein Jubiläum zur Neuen Sachlichkeit stand dabei gar nicht an. Vielmehr reifte der Ausstellungsplan in Stuttgart zunächst in Kooperation mit den Staatlichen Museen in Dresden und der Kunsthalle in Mannheim. »Gemeinsam«, so meint die Stuttgarter Kuratorin Simone Schimpf, »haben wir uns Ausstellungsprojekte zur neuen Sachlichkeit überlegt«. Die Städtische Galerie Böblingen kam im Laufe der Vorbereitungen als Partnerin dazu: Während das Stuttgarter Kunstmuseum seinen Schwerpunkt aus dem Bestand heraus gesetzt und den Veristen Otto Dix ins Zentrum gestellt hat, konzentriert sich die Böblinger Schau auf die neusachlichen Positionen in Baden und Württemberg.

Eva-Maria Froitzheim, Leiterin des Böblinger Museums, ging das Thema behutsam an und machte erst einmal den Mitarbeitertest. »Anders als die Kunst des Bauhauses ist die Neue Sachlichkeit schon begrifflich nicht im allgemeinen Bewusstsein verankert.« Ähnlich sieht es Simone Schimpf: »Tatsächlich ist der Begriff aus heutiger Sicht nicht einfach zu verstehen. Schaut man sich typische Werke an, dann sind diese selten ›sachlich‹, sondern im Fall von Dix sogar überzogen bis hin zur Karikatur.« Grund genug, in beiden Häusern Aufklärungsarbeit zu leisten. Mit über 200 Arbeiten ergeben beide Ausstellungen eine Megaschau zum Thema, das in dieser Breite noch nie im Stuttgarter Raum zu sehen war – die Neue Sachlichkeit fand bisher in Mannheim und Karlsruhe viel mehr Zuspruch.

Im Gegensatz zu deren Sicht auf diese Stilrichtung, die sich entschieden vom Expressionismus abwandte, können die Schwaben mit wichtigen Kurskorrekturen punkten. Auf der einen Seite wurde der Verismus von Otto Dix oder George Grosz eher als Seitenpfad der Neuen Sachlichkeit wahrgenommen – nun lesen wir als unbescheidenes Dix-Zitat: »Die Neue Sachlichkeit, das habe ich erfunden.« In Böblingen ist jene überzeichnete Sachlichkeit vertreten durch Georg Scholz und – in vielleicht weiblich gemäßigter Weise – Hanna Nagel.

Dabei stehen sich auch beide Museen in nichts nach, muss man sie doch gewinnbringend gemeinsam als gegenseitige Ergänzung besuchen: Dem großen Stuttgarter Überblick auf einen Nationalstil stehen sensationelle Entdeckungen in Böblingen gegenüber – allen voran den weit unterschätzten Jakob Bräckle, der im Kontext der Neuen Sachlichkeit kaum je genannt worden ist. Auch Volker Böhringer, der in Stuttgart mit einem faszinierenden Bild vorgestellt wird, ist in Böblingen mit einer Fülle von Arbeiten präsent. Man kann ihn erstmals auf Augenhöhe mit Kanoldt, Schlichter, Schad & Co. würdigen. Trotz unterschiedlicher Gewichtung gibt es auch schöne Korrespondenzen, beispielsweise ein Olevano-Gemälde von Alexander Kanoldt im Kunstmuseum, dessen zeichnerisches Gegenstück in Böblingen zu bewundern ist, oder andere Pendantbilder von Georg Scholz. Und ein eindrucksvolles Beispiel für einen kollegialen Umgang zwischen den Ausstellungspartnern mag sein, dass das Stuttgarter »Puppen«-Bild von Rudolf Dischinger (das allerdings im Besitz der Staatsgalerie und nicht des Kunstmuseums ist) nicht in Stuttgart, sondern in Böblingen zu sehen ist.

Der Reiz der Neuen Sachlichkeit liegt zudem in der Ambivalenz des Begriffs, die nicht ausgespart wird. In Reaktion auf den Expressionismus konnten sich die Vertreter auf eine sachlichen Ebene treffen, auch wenn ihre Ziele zuweilen diametral auseinandergingen, auch auf die politische Situation bezogen. Wie kurz die Schrittfolge in einen geometrischen, weitgehend abstrahierten Realismus war, zeigen Alexander Kanoldt oder George Grosz; wie kurz er aber auch in Richtung Blut und Boden war, zeigt die Entwicklung von Werner Peiner. Was man bislang nur ungern ausformuliert hat, ist die Nahtstelle zur Ästhetik des Nationalsozialismus hin – nebenbei bemerkt trifft das auch auf die Architekten des Bauhaus zu, die zum Teil fliehen mussten, und zum anderen Teil ihr Auskommen auch unter dem NS-Regime fanden. Andere Linien führen in eine surreale Richtung, etwa in den Stadtmotiven Volker Böhringers, während Reinhold Nägele ins Symbolhafte neigt. Wer darüber hinaus das reife Werk Max Ackermanns kennt, wundert sich über seine Wurzeln in der Neuen Sachlichkeit.

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