Ausstellungsbesprechungen

Besprechung im Doppelpack: Rasterfahndung – Das Raster in der Kunst nach 1945, Kunstmuseum Stuttgart, bis 7. Oktober 2012 und Frank Badur/Astrid Köppe, Galerie Sturm, Stuttgart, bis 14. Juli 2012

Wegen der formalen Strenge, als Wiederholungsprinzip oder als gesellschaftliches Muster, das der Architektur und Datenerfassung zugrunde liegt, geschätzt, bestimmt das Raster wie keine andere Struktur die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Günter Baumann begab sich für uns auf die verschiedenen Spuren des Gerüsts, das die Welt durchzieht.

Der Minimalismus, der sich nahezu charakteristischerweise ein Raster sucht, macht zur Zeit in Stuttgart Station und zeigt in seiner Nachfolge die Gegenwärtigkeit, ja eine zuweilen sinnliche Frische. Während das Kunstmuseum unter dem Schlagwort »Rasterfahndung« nicht nur minimalistische Tendenzen, sondern auch poppige, performative, postimpressionistische und andere Seitenpfade ins kalkulierte Ordnungssystem der Kunst aufweist, beschränkt sich die Galerie Sturm ganz auf die reduzierte Form mit Arbeiten von Frank Badur – der dem Besucher im Kunstmuseum wiederbegegnet – und Astrid Köppe. Die jüngst zu Ende gegangene Ausstellung der Nachbargalerie Mueller-Roth mit Arbeiten der jungen Künstlerin Astrid Schindler ist leider zum Teil bereits abgebaut, doch lohnt sich ein Kurzbesuch, zumal Schindler, die hier für die Rasterfahndungsschau entdeckt wurde, zu den Entdeckungen des Neu-Minimalismus gehört.

Der 1944 in Oranienburg geborene Badur geht längst seinen eigenen Weg. Dass er in Berlin, dem mitteleuropäischen Kunstnabel schlechthin, lebt und arbeitet, hat biografische Ursachen, eigenwilliger ist da schon sein zweiter Lebensmittelpunkt in Finnland, der signalisiert: Hier haben wie es mit einem Künstler zu tun, der sich nicht in den Vordergrund der Metropolen drängt. So verbindet man mit seinen filigranen Zeichnungen – die dem vordergründigen Eindruck eines simplen Millimeterpapiers einen überzeugenden Charme verleiht – und konzentrierten Farbbildern eher Momente der Einkehr, des Zu-sich-selbst-Findens. Doch setzt er seine minimalistischen Zeichen mit einer solchen Bestimmtheit, dass man schnell merkt, dass er selbst nicht wirklich sucht, sondern dass er die Suche zum Thema macht und so zu einer Art Fährmann der Erkenntnis wird. Zum einen gibt er zeichnerisch ein Gerüst vor, das er dann hochsensibel umspielt, um gegen die starren Strukturen zu opponieren und andrerseits den fragilen Spuren eine Richtung vorzugeben. Zum anderen legt er einige wenige, vom Ton her verwandte Farbschichten aneinander, die eine Balance zwischen Erdschwere und schwebender Leichtigkeit anstreben. Ein Ziel formuliert er dabei nicht – das muss der Betrachter gegebenenfalls anpeilen – , vielmehr hält er inne und setzt lieber neu an: Daher rührt wohl auch der durchweg serielle Charakter seines Werks.

Ganz anders entwickelt Astrid Köppe, geboren 1974 in Köthen, ihre spielerisch-phantasmagorischen Gebilde nicht aus dem Nichts heraus, im Gegenteil: Sie reduziert Gesehenes zu skurrilen Formen bzw. nahezu unförmig fließenden Urflecken, die sich im Eigenspiel wie in der assoziationsreichen Regie der Künstlerin wieder zu mal abstrakten, mal zu amöbenhaften oder gar komplex gegenständlichen Formen erneuern. Es sind Metamorphosen, die auf dem Bildträger eine Zwischenstation einlegen – Bildträger ist übrigens die Leinwand genauso wie die Emailplatte. Diese Arbeiten pflegen einen innovativen abstrakten Surrealismus, die weniger temperamentvoll als etwa Bilder von Miró daherkommen, aber umso mehr mit einer heilig-nüchternen Ernsthaftigkeit kokettieren, deren irritierender Witz am Rande deutlich hervorscheint. 2010 und 2011/12 erhielt Köppe ein Residenzstipendium über das Goethe-Institut Kuala Lumpur, mit dem sinnfälligen Titel »Lost Generation Art Space«, der wesenhaft auch etliche Arbeiten der Künstlerin benennen könnte.

Wenn man schon in der Galerie Sturm ist, sollte man noch bei der Galerie Mueller-Roth nebenan vorbeischauen, die noch Arbeiten der 1983 in Augsburg geborenen Astrid Schindler bereithält. Unbekümmert zitiert sie minimalistische Strukturen und mischt sie mit Arte-Povera-Elementen, erhebt Skizzenhaftes zum fertigen Bild. Doch täuscht der erste Blick, der unterstellen könnte, allein ein Rahmen um die Arbeit würde schon das Label »Kunst« erhalten. Mit erstaunlichem Gespür setzt Astrid Schindler gewagte Farbfelder zusammen, trotzt mit kleinen Farbschlitzen gerade noch einer monochromen Monotonie, spart wesentliche Teile des Bildes mit betonter Gelassenheit aus. Während ihrer ersten Ausstellung bei Mueller-Roth 2011 entdeckte die Kuratorin der Rasterfahndungs-Ausstellung die Künstlerin und nahm sie sofort in ihre Planung mit auf. Für die aktuelle Ausstellung im Stuttgarter Kunstmuseum hat Astrid Schindler eine 6 auf 14 Meter große Arbeit geschaffen, die Ordnung und Unordnung ineinander verwebt: »Ich spiele gerne mit kompositorischen Ordnungsprinzipien«, so meinte sie im Interview. »Dazu gehört natürlich auch das Gegenteil: also Unordnung!« Frank Badur spricht hier lieber von einer »harmonischen Asymmetrie«, was freilich zu seiner zurückgenommenen Ästhetik passt. Zeichnen ist für ihn »ein analytischer Dialog in Stille und Langsamkeit, ein visuelles Denken über Form und Leere«.

Ganz so puristisch geht es bei der Rasterfahndung allerdings nicht zu. Es geht gerade darum zu zeigen, dass das Raster in alle möglichen Stile eingreift, die von rund 50 Künstlerinnen und Künstlern positioniert werden. Die Kuratorin Simone Schimpf gab sich im Vorfeld überrascht, wie voll die Wunschliste schließlich geworden ist. Das strukturelle Element ist in der Konkreten Ausrichtung naheliegend, doch kann man dem Raster gleichermaßen gesellschaftsrelevante Fragen abgewinnen, wie es die Pop Art tat und wie es die Gegenwartskunst mit offenen Augen in alle Richtungen macht. Die Künstlerliste enthält eine klangvolle Parade von Namen: Carl Andre, Frank Badur, Horst Bartnig, Thomas Bayrle, William Betts, Enrico Castellani , Michiel Ceulers, Chuck Close, Gianni Colombo, Dag Przybilla DAG, Hanne Darboven, Günther Förg, Katharina Gaenssler, Karl Otto Götz, Eva Grubinger, Raymond Hains, Mona Hatoum, Katharina Hinsberg, Jürgen Klauke, Michael Klier, Attila Kovacs, Christina Kubisch, Sol LeWitt, Roy Lichtenstein, Max H. Mahlmann, Agnes Martin, Pia Maria Martin, Gerold Miller, Manfred Mohr, François Morellet, Sarah Morris, Carsten Nicolai, Chris Oakley, Sigmar Polke, Gerhard Richter, Peter Roehr, Fiene Scharp, Astrid Schindler, Jan J. Schoonhoven, Tina Schulz, Tim Stapel, Esther Stocker, Günther Uecker, Timm Ullrichs, Reinhard Voigt, Simone Westerwinter, Christopher Wool, Annett Zinsmeister, Heimo Zobernig, Beat Zoderer.

Die spektakulärsten Arbeiten sind die raumfüllenden Installationen: Esther Stocker, die übrigens auch die Ordnung um ihrer Unordnung wegen schätzt, brilliert mit ihrer »Dirty Geometry«, und Katharina Hinsberg lädt den Betrachter »mitten« (so der Titel) in eine mikro- wie makrokosmische Welt ein, d.h.: Wir glauben leibhaftig Bestandteil eines Moleküls zu sein oder einem stellaren Ambiente beizuwohnen – in Wirklichkeit handelt es sich freilich nur um gehärtete Knetmassekugeln, die in exakter Axialität an nylonummantelten Stahlsehnen aufgehängt sind. Mit im Raum verspannten Schnüren arbeitete Gianni Colombo bereits in den1960er Jahren. Bei aller Faszination läuft die Schau ein wenig Gefahr, ihr Thema an das Sprachspiel (man denke an die Serie mit Fahndungsbildern von Jürgen Klauke), dem zufälligen Raster (etwa dem späten Chuck Close) oder die Gegenposition (Günther Förg) zu verlieren. Zudem sind Arbeiten für die Ausstellung entstanden, die wunderbar ins besagte Raster passen, ohne dass deren Schöpfer sich hier ausdrücklich profiliert haben – man denke an die Video-Arbeiten von Pia Maria Martin, die sich eigentlich keinem Raster beugt. Simone Schimpf geht allerdings ganz locker damit um, der Reiz am Raster beginnt bei ihr gerade da, wo das Werk durchfällt. Und am schönsten ist die Ausstellung im relativ kleinen, aber absoluten Gedankenraum zwischen dem Werk von Frank Badur und dem von Jan J. Schoonhoven.

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