Buchrezensionen, Rezensionen

Besprechung im Doppelpack: Tilmann Moser: Kunst und Psyche – Bilder als Spiegel der Seele sowie Kunst und Psyche – Familienbeziehungen, Belser 2010 und 2012

Der Psychotherapeut Tilmann Moser, der einst die deutsche Psychoanalytik in der Kriminologie revolutionierte, nimmt sich in seinen neuen Büchern »Kunst und Psyche« dem Ausdruck der Künstlerseelen in ihren Werken an. Walter Kayser hat beide Publikationen gelesen.

Für die ältere Generation ist der Name Tilmann Moser vermutlich immer noch verbunden mit jenem rückhaltlosen autobiografischen Ton, der in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts mit dem Etikett »Neue Subjektivität« bedacht wurde. Bücher wie »Lehrjahre auf der Couch« und »Die Gottesvergiftung« halfen mit, nach den wenigstens teilweise gescheiterten, hochfahrenden politischen Utopien der 68er die Schleusen zu einer rückhaltlosen Introspektion und Selbsterfahrung zu öffnen.
Inzwischen ist Tilmann Moser längst ein gestandener Psychoanalytiker und Körpertherapeut, und mit etlichen Dutzend Büchern eine arrivierte Größe auf dem Markt.

In den letzten Jahren hat er nun die Kunst entdeckt. 2010 erschien zunächst »Kunst und Psyche – Bilder als Spiegel der Seele«, jetzt, wieder bei Belser, wieder in gleichem Format und gleicher Aufmachung, gibt der Untertitel eine nur wenig präzisere Thematik des Folgebandes an: »Kunst und Psyche – Familienbeziehungen«.

Natürlich hat ein Mann wie Moser die berühmte Warnung Th.W. Adornos in dessen »Ästhetischer Theorie« vor Augen. Gerade die psychoanalytische Kunst- und Literaturinterpretation sei häufig nichts anderes als die »Banausie feinsinniger Ärzte«, welche »die Formkategorien über der Hermeneutik der Stoffe« vergäßen. Adornos Ratschlag lautete damals: »Das trotz aller Betonung des Sexus Spießbürgerliche ist daran zu demaskieren, dass durch die einschlägigen Arbeiten, vielfach Ableger der biographischen Mode, Künstler […] als Neurotiker abgekanzelt werden«. Nun ist Tilmann Moser wahrlich kein Pionier auf dem Weg dieses Interpretationsansatzes. Die Methoden psychoanalytischer Kunst- und Literaturbetrachtung sind auch längst verfeinert. Man täte ihnen bitter Unrecht, wollte man ihnen vorwerfen, dass sie die Berücksichtigung der »Formkategorien«, der ästhetischen Implikationen und Eigengesetzlichkeiten missachteten und vor plumpen Kurzschlüssen nicht gewappnet seien.

Moser versucht im Vorwort des ersten Bandes bereits die Gefahr dadurch zu bannen, dass er sich ihr erst gar nicht stellt und sie mit Bescheidenheit unterläuft. Es gehe ihm in seinen 20 exemplarischen Bildanalysen, die doch unter einem umfassenden und anspruchsvollen Titel stehen, lediglich darum, »den Besuch von Museen ein wenig spannender zu machen«. Verkneifen wir uns für einen Augenblick die spitzfindige Gegenfrage, ob denn Museen sonst langweilig seien, um die Grundfrage zu stellen: Was macht denn Kunst gerade in psychoanalytischer Sicht spannend? Welches Kunstverständnis liegt hier zu Grunde? Wie berücksichtigt der Analytiker die Forschungsergebnisse der Kunstwissenschaft? Und was ist der besondere Mehrwert, zu dem er selbst beiträgt?

Auffällig ist zunächst die Auswahl der zur Betrachtung herangezogenen Bilder. Ganz offensichtlich ist Moser nur von solchen Kunstwerken angetan, bei denen komplexe und sperrige »Formkategorien« nicht im Wege stehen. Es sind, was ja durchaus keinen Widerspruch darzustellen braucht, realistische Bilder surrealistischer Provenienz. Denn ein Edvard Munch, ein Max Ernst oder ein René Magritte suchen schon von sich aus die Nähe zu den Visionen des Unbewussten; ja, viele der hier zur Diskussion stehenden Gemälde wären ohne die Auseinandersetzung mit den Entdeckungen Freuds, vor allem mit dem Gründungswerk seiner Wissenschaft, der epochalen »Traumdeutung«, wohl kaum entstanden. Insofern stellt sich Moser nicht gerade großen Herausforderungen und bleibt den Beweis schuldig, ob und wie erhellend seine Ausführungen zu einem ganz neuen, tieferen Verständnis der Kunst beitragen können.

Schaut man aber noch genauer hin, so stellt man bald fest, dass es dem Verfasser darum auch kaum zu tun war. Er setzt das, was er betrachtet, die dargestellten Figuren, ihre Haltung, ihre Stellung und Gesten zueinander, in ein sehr persönliches assoziatives Geflecht. Nun ist das, was für einen Maurer der Hammer oder die Kelle ist, also sein Werkzeug, für einen Psychoanalytiker zu allererst seine eigene Person: Er spürt dem nach, was das Bild in seinem Innern wie in einem Resonanzraum zum Klingen bringt. Natürlich dürfen diese unwillkürlich sich einstellenden Vermutungen und Bilder im zirkulativen Übertragungsspiel gestellt werden; aber man sollte diese dann in einem weiteren Schritt doch auch überprüfen, durch Zusatzinformationen anreichern und durch die Forschungsergebnisse kundiger Experten kritisch zurechtrücken lassen. – Versäumt man dies, und das ist bei Moser allzu oft der Fall, so bleibt die Betrachtung notwendig an der Oberfläche. Unwillkürlich sich einstellende Erinnerungen an Fallgeschichten von Patienten, die den Psychotherapeuten jahrelang mit ihren Bekenntnissen begleitet haben, besitzen eben für keinen Leser den ästhetischen Genuss, welche gute Kunst im Museum zu entfalten vermag. Bei allem Respekt vor privaten Schicksalsschlägen aller Art, sie bleiben die biografischen Randnotizen einer Frau Hinz oder eines Herrn Kunz.

Die eingehenden Beschreibungen der Gemälde, mit denen Tilmann Moser seine Interpretationen eröffnet und die den größten Anteil an ihnen haben, sind durchaus behutsam und genau entwickelt. Diese Betrachtungen gehen in der Regel in ein Spiel von Assoziationen und bildhaften Redensarten über, münden aber schließlich nicht selten in geradezu triviale Allgemeinplätze. Immer dann, wenn der Leser denkt: „Jetzt wird es interessant, jetzt könnte eine erhellende Perspektive das Werk in einem überraschend neuen Licht erscheinen lassen“, hat sie sich auch schon erschöpft. Das Fazit zu einem zweitklassigen Sandwich-Bild von Francis Picabia (»La mariée«, um 1929) lautet: »Welche tiefenpsychologischen Gedanken löst das Bild aus? Nun, sie sind beinahe vulgärpsychologisch: Alle Alterstufen sind im Menschen enthalten; sie stehen in einem harmonischen oder auch angespannten Verhältnis zueinander, können sich behindern oder bereichern«.

Neben der Belanglosigkeit und wiederholten Enttäuschung, die sich auch schon dadurch ergibt, dass Moser in den einzelnen, ohnehin knapp bemessenen Kapiteln oft mehrere Bildbesprechungen unterbringt, findet sich aber auch Haarsträubendes. – Bei allem Recht auf den subjektiven Zugang und dem Mut zu weiterführenden (wenngleich im Nebulösen herumstochernden) Spekulationen, – es wirkt einfach verunglückt und peinlich, wenn Moser beispielsweise angesichts eines »Sündenfall«- Gemäldes aus dem Rubenshuis in Antwerpen vor sich hin sinniert: »Er [= Adam] ist ein athletischer Typ, wenngleich nicht nach unserem, sondern nach Rubens’ Geschmack ein wenig füllig. Adam hat sich im Paradies nicht viel Sport abverlangt, seine imponierende Gestalt lässt uns jedoch darüber hinwegsehen, er wird buchstäblich hingerissen zu Eva, und allzu lange dürfte sie ihm nicht mehr widerstreben«. Die Nacktheit der Figuren in Egon »Schieles Selbstbildnis mit Frau und Kind« von 1918 aus dem oberen Belvedere in Wien wird nicht als im Œuvre durchgängig anzutreffendes Symbol existenzieller Ausgesetztheit verstanden, sondern in grotesk verkürzender historischer Direktheit und Naivität: »1918 war auch ein Jahr des Frierens, der völlig unzureichenden Versorgung mit Heizmaterial. Einzig für das Kleine hat es noch zu wärmender Kleidung gereicht«.

Solche Stilblüten sind keine Seltenheit. Sie verdanken sich vor allem einem zentralen Umstand: Moser verzichtet auf jede Recherche, als sei er ein Nachfahre von Ludwig Klages, für den bekanntlich der »Geist als Widersacher Seele« die reinen Empfindungen verdarb. Als sei wissenschaftliche Forschung und Intelligenz etwas Störendes. Das ist umso unverständlicher, als es ein Leichtes gewesen wäre, auf dem genuin psychoanalytischen Gebiet, der genauen Recherche der biografischen Hintergründe etwa, beispielsweise festzustellen, welch dominante Bedeutung die Mutter im Leben des Malers Paul Delvaux gehabt hatte. Zahllose Äußerungen bezeugen, wie und auf wie vielfältige Weise der belgische Maler die Mutter mit der Welt der Eisenbahnen und Straßenbahnwaggons, mit seiner Vorliebe zu einem ätherischen Mädchentypus, mit seiner späten und unglücklichen Ehe verknüpft sah.

Bei aller Liebe zu psychoanalytischer Deutungsarbeit – nicht nur zur Kunstwissenschaft, auch zum vertiefenden Verständnis der jeweiligen Kunstwerke tragen diese beiden Bändchen wenig bei. Selbst der Verweis auf die Wortherkunft des »Dilettanten«, in dem die Goethezeit eher noch den durchaus kenntnisreichen »Liebhaber« sah als den blutigen Laien, scheint da noch zu wohlwollend.

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