Ausstellungsbesprechungen

Besprechung im Doppelpack: Wasser für Roms Städte, bis 11. Oktober 2015 | Medicus – Der Arzt im römischen Köln, bis 1. November 2015, beide Römisch-Germanisches Museum Köln

Zwei aktuelle Sonderausstellungen im Römisch-Germanischen Museum in Köln haben mehr miteinander zu tun, als man zunächst annehmen mag, geht es doch in beiden Fällen um Aspekte des Alltags im Imperium Romanum. »Wasser für Roms Städte« behandelt die Versorgung antiker Metropolen mit Frischwasser und konzentriert sich dabei auf Köln, die Hauptstadt der römischen Provinz Niedergermanien. Die Ausstellung »Medicus – Der Arzt im römischen Köln« zeigt, dass die Römer bereits ein medizinisches Niveau kannten, das nach dem Niedergang des römischen Reiches Jahrhunderte lang unerreicht war. Rainer K. Wick berichtet.

Kurator der Ausstellung »Wasser für Roms Städte« ist Klaus Grewe, der intensiv zu bau- und technikgeschichtlichen Fragen in der römischen Antike geforscht hat und zuletzt mit seinem herausragenden Buch »Aquädukte« hervorgetreten ist. Die von ihm eingerichtete kleine Ausstellung im Foyer des Römisch-Germanischen Museums bietet neben Texttafeln, Schaubildern und Fotografien die Möglichkeit, zahlreiche Objekte, die Grewe in seinem Buch zeigt, im Original in Augenschein zu nehmen, u.a. eines der Medusenhäupter von der Quellfassung der römischen Eifelwasserleitung nach Köln (»Grüner Pütz«), das entzückende antike Elfenbeinmodell einer zweigeschossigen römischen Aquäduktbrücke, das an beiden Seiten in Löwenköpfen endet, das von Schülern erstellte Modell der Anfang der 1960er Jahre teilrekonstruierten Aquäduktbrücke in Mechernich-Vussem sowie einige Beispiele für die spätere Nutzung des sog. Aquäduktmarmors, also jenes Kalksinters, der sich über Jahrhunderte bis zu einer beträchtlichen Stärke in den Kanalrinnen gebildet hatte und der im Mittelalter als Baumaterial, vor allem für Säulen romanischer Kirchen, überaus begehrt war.

In der Regel wurden die Aquädukte der Römer unterirdisch geführt, doch verlangte das Geländeprofil vielfach aufwendige bauliche Maßnahmen wie die Errichtung von Brücken, den Bau von Tunneln und zuweilen auch die Konstruktion von Druckleitungen. Besondere Bedeutung kam der Trassierung zu. Die Ausstellung dokumentiert einige der technischen Hilfsmittel, die den Bauingenieuren der Antike dabei zur Verfügung standen. Neben der sog. Groma, einem Winkelkreuz mit Loten, das in der Ausstellung als moderne Rekonstruktion zu sehen ist, sei ein Nivelliergerät erwähnt, das der römische Architekturtheoretiker Vitruv im 1. Jh. v. Chr. in seinen »Zehn Büchern über Architektur« eingehend beschrieben hat, der sog. Chorobat. Im Grunde handelte es sich dabei um eine überdimensionale Wasserwage. Mit diesem »genial einfachen Gerät« (Grewe), das eindrucksvoll die praktische Intelligenz der Römer dokumentiert, gelang es, mit größter Präzision auch das geringste Leitungsgefälle zu ermitteln. Manche Aquäduktstrecken hatten ein Gefälle von lediglich 0,2 Prozent, d.h., auf einen Kilometer betrug die Höhendifferenz nur zwei Meter.

Zu den bautechnisch und baukonstruktiv bedeutsamsten Innovationen der Römer gehörten der Bogen und damit zusammenhängend das Gewölbe. Bogen- und Gewölbekonstruktionen kamen gegenüber dem älteren Stütze-Last-System vor allem auf dem Gebiet der Zweckarchitektur zur Anwendung – vom Viadukt und Aquädukt bis zu den großen Thermenanlagen der Kaiserzeit und zu Basilikabauten wie der Konstantinsbasilika auf dem Forum Romanum. Von größter Bedeutung – auch für den Bau der Fernwasserleitungen – war ferner die Verwendung des Mörtels und die Einführung des Gußmauerwerks (opus caementitium). Das alles wird in der Ausstellung anschaulich dargestellt, wie auch die Besonderheiten der Wasserleitungen, die nach Köln führten.

Wurde Köln ab ca. 30 n. Chr. – damals noch »Ubierstadt« (Opppidum Ubiorum) – zunächst durch Leitungen aus dem stadtnahen Vorgebirge versorgt, reichten die Wassermengen später, also mit der Erhebung des Ortes zur Colonia Claudia Ara Agrippinensium (CCAA) und der Erlangung des Status als Provinzhauptstadt, nicht mehr aus, so dass der Bau eines 95 Kilometer langen Aquäduktes aus der nördlichen Eifel in Angriff genommen wurde – übrigens das größte Technikbauwerk der Römer nördlich der Alpen. Die Betriebsdauer dieser technisch beeindruckenden, mit Tos-, Sammel-, Absetz- und Ablenkbecken ausgerüsteten Fernwasserleitung wird auf rund 190 Jahre veranschlagt, bevor die Nutzung des Kanals infolge der zerstörerischen Frankeneinfälle zum Erliegen kam.

Statistiken können überraschende Einsichten vermitteln. Im römischen Köln verbrauchte jeder Bewohner im Tagesdurchschnitt etwa 1200 Liter Frischwasser; heute sind es rund 100 Liter. Und in Köln wurden 16 römische Arztgräber archäologisch nachgewiesen, eine außergewöhnlich hohe Zahl, wenn man bedenkt, dass im gesamten Imperium Romanum bisher nur etwas mehr als 100 derartige Gräber gefunden wurden. Die Funde aus den Kölner Arztgräbern bilden den Kern der Sonderausstellung »Medicus«, die hochinteressante Einblicke in das römische Gesundheitswesen erlaubt. Statistisch kamen im römischen Köln ungefähr 500 Bewohner auf einen praktizierenden Arzt, heute sind es in Köln pro Hausarzt 1670 Einwohner.

Die Schau im Römisch-Germanischen Museum macht deutlich, dass die Heils- und Heilungserwartungen der Patienten zwischen »Wundergläubigkeit« und dem »Hoffen auf die Wirkungsmächtigkeit der Götter« – so die Kuratorin Marion Euskirchen – einerseits und der durch Buch- und Erfahrungswissen fundierten ärztlichen Kunst andererseits oszillierte. So empfängt den Besucher der Ausstellung im Eingangsbereich ein Gipsabguß des griechisch-römischen Heilgotts Asklepios/Aesculap mit dem Attribut des Schlangenstabes, und ein im Bereich der Kölner Philharmonie bei Grabungen aufgefundenes Relief zeigt einen Arzt, der einen verwundeten Krieger versorgt. Tatsächlich waren die ersten Ärzte, die nach Niedergermanien kamen, Militärärzte, die zum Tross der den Norden erobernden römischen Legionen gehörten. Erst im Zuge der Entwicklung einer städtischen Zivilgesellschaft ließen sich in Köln und anderswo zivile Ärzte und Ärztinnen (!), oft griechischer Herkunft, nieder.

Beeindruckend ist das medizinische Gerät, das die Archäologen in den Arztgräbern vorgefunden haben. Diese Grabbeigaben – Trepanationsbestecke für operative Schädelöffnungen, Skalpelle, Zahnzangen u.a. – lassen erkennen, dass es sich um Präzisionsinstrumente handelte, die durch funktionales Design und handwerkliche Perfektion bestechen und von Spezialwerkstätten gefertigt wurden, deren Produkte im ganzen römischen Reich verbreitet waren. Manche dieser Instrumente besitzen schon eine Form, die fast als zeitlos gelten kann. Hervorzuheben ist ein Vaginalspekulum für gynäkologische Untersuchungen aus Bronze, dessen metallenes Schraubgewinde eine für die damaligen Verhältnisse ganz ungewöhnliche Präzision aufweist. Gleichwohl mag sich der Besucher etwas beklommen fragen, ob oder inwieweit die medizinischen Praktiken römischer Ärzte zielführend waren – fehlten doch Betäubungsmittel und hygienische Vorkehrungen, wie sie heute zum Standard gehören.

Ohne darauf eine schlüssige Antwort zu finden, begegnet man in den Vitrinen einer anderen Facette römischer Alltagskultur, nämlich Objekten, die im erweiterten Sinne mit Körperpflege, mit physischem Wohlbefinden, mit Wellness, auch mit Schönheit, zu tun haben: kostbare Badeutensilien, Kämme, Spiegel, medizinische und kosmetische Salben, Schminken und Parfums. Dass sich nach fast zwei Jahrtausenden in zahlreichen antiken Glasgefäßen immer noch die originalen Substanzen erhalten haben – wenn auch leicht geschrumpft –, gehört mit zu den überraschenden Erfahrungen, die sich beim Besuch dieser bemerkenswerten Sonderausstellung im Römisch-Germanischen Museum machen lassen.

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