In seiner jüngsten, schön gestalteten Publikation befasst sich der renommierte Architekturhistoriker Günter Binding mit der Geschichte des Architekten- und Ingenieurberufes.
Er nimmt sich hierbei eines Themas an, das die Architekturgeschichte sozusagen seit ihren Anfängen beschäftigte. Nach der Auffassung Vitruvs stand die Architektur an der Spitze der Künste, so dass dem Architekten die Beurteilung aller Werke unterlag, die von den anderen Künsten geschaffen wurden. Dementsprechend hoch waren die Anforderungen: der Architekt sollte Begabung und Wissen in sich vereinen, im schriftlichen Ausdruck gewandt sein, um seine Werke für die Nachwelt beschreiben zu können, das Zeichnen und die Geometrie beherrschen, aber auch mit Geschichte und Philosophie vertraut sein und Musik um der Proportions- und Harmonielehre willen studieren; ferner sollte er über medizinische Kenntnisse verfügen, um die Auswahl eines gesunden Bauplatzes treffen zu können, über juristische, um in den Bauvorschriften und Vertragsrechten Bescheid zu wissen, und über astronomische, um die Himmelsrichtungen bestimmen zu können. Der vitruvianische Fächerkanon sollte in der Architekturtheorie bis ins 18. Jahrhundert seine Geltung behalten.
Paradoxerweise handelte es sich dabei um einen Berufsstand, dessen Profil gar nicht eindeutig definiert war. In der Antike galt ein Architekt vorrangig als Leiter der ihm unterstellten Bauhandwerker, der Planer, Baumeister und Bauunternehmer sein konnte. Während des Mittelalters sind oft nur die Namen der Auftraggeber als geistige Schöpfer des Baukonzepts überliefert, während die Arbeit der bauausführenden Meisters von untergeordneter Bedeutung war. Im Laufe des Hoch- und Spätmittelalters vermochten sich die Werkmeister jedoch zunehmend als eigenständige Persönlichkeiten etablieren, die es auch häufig zu Wohlstand und Ansehen brachten. Die Renaissance brachte schließlich einen völlig neuen Typus hervor: den Künstler-Architekten, der für den Entwurf verantwortlich zeichnete und dessen Konzept von örtlichen Bauleitern in die Realität umgesetzt wurde. Es war die Stunde der Universalgenies, die gleichzeitig auf mehreren Gebieten Bahnbrechendes zu leisten vermochten. Die großen Renaissance- und Barockarchitekten waren zumeist in benachbarten künstlerischen Sparten (als Maler, Goldschmiede, Bildhauer etc.) tätig, bevor sie vorübergehend oder dauerhaft ins Baufach wechselten. Die Grenzen der Berufssparten waren in dieser Hinsicht fließend.
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Auch eine Separation zwischen den Aufgaben des Architekten und des Militäringenieurs war bis ins 17. Jahrhundert nicht gegeben: viele planten und bauten ganz selbstverständlich im zivilen und im militärischen Fach. Letzteres umfasste übrigens auch den Bau von Kriegsmaschinen und somit einen großen Teil der damaligen Mechanik. Die Militärarchitektur lieferte ferner die Grundlagen für die später zivilen Ressorts wie Landvermessung, Kanal- und Straßenbau. Dennoch lagen die Betätigungsfelder für Architekten und Ingenieure noch nicht sehr weit auseinander, umso mehr, als technisch-statische Kalkulationsmethoden noch unbekannt waren. Über die Festigkeit von Konstruktionen urteilte man gemäß der persönlichen Erfahrung bzw. man berechnete Höhen und Proportionen und mithilfe von geometrischen Hilfsfiguren. Erst Galilei und Newton setzten sich mit der Einwirkung von Kräften auf starre Körper auseinander, und von da an war es noch ein weiter Weg bis zur Begründung der eigentlichen Baustatik, die nicht vor der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert als eigenständige Disziplin auftrat. Damit sollten sich schließlich auch die Wege des Architekten und des technischen Ingenieurs endgültig trennen.# Page Separator #
Inhaltlich umfasst das Buch eine kurze theoretische Einleitung und eine chronologische Einteilung in drei große Epochen (Altertum, Mittelalter, Neuzeit). Allgemeine Betrachtungen bezüglich des wirtschaftlichen Umfelds, Status und Aufgabenfeld der Bauschaffenden wechseln mit Kapiteln über prominente Architekten, deren Biographien, bedeutendste Bauwerke und theoretische Schriften vorgestellt werden. Die Untergliederung in Künstlerviten trägt allerdings häufig enzyklopädischen Charakter, der zusätzlich noch dadurch verstärkt wird, dass der Autor gerne Passagen aus einschlägigen Standard-Lexika zitiert. Was als geschichtliche Darstellung über den Beruf des Architekten geplant war, droht vor allem in der zweiten Hälfte des Buches zu einer Auflistung von Namen und Jahreszahlen zu geraten.# Page Separator #
Fazit: