Buchrezensionen, Rezensionen

Birgit Schwarz: Geniewahn: Hitler und die Kunst. Böhlau Verlag 2009 Wien, Köln, Weimar

„Der Bursche“, befand Thomas Mann in »Bruder Hitler«, „ist eine Katastrophe; das ist kein Grund, ihn als Charakter und Schicksal nicht interessant zu finden.“ Das ist wohl wahr, auch heute noch. Gehört es nicht zu den größten Rätseln der jüngeren Geschichte, dass ein Adolf Hitler so großen und suggestiven Einfluss auf die Menschen seiner Zeit besitzen konnte? Für uns Nachgeborene ist er eine Art Dämon mit teils lächerlichen Zügen, aber für viele Menschen zwischen 1920 und 1945 war er ein Heilsbringer – absolut unverständlich aus heutiger Sicht und ein großes Rätsel. Jetzt hat Birgit Schwarz eine Untersuchung vorgelegt, in der sie den unbedingten Glauben an sein künstlerisches Genie sowohl für Hitlers Selbstgefühl wie für die Bewunderung der Massen verantwortlich macht. Unser Rezensent Stefan Diebitz findet die ausgewogene, vielschichtige und sorgfältige Untersuchung in jeder Hinsicht überzeugend.

„Der Geniegedanke“, so beginnt Schwarz das Vorwort zu ihrem Buch, „steht im Mittelpunkt von Hitlers Vorstellungswelt, er ist omnipräsent in seinen Reden, Schriften und Äußerungen, bildet den Kern seiner Weltanschauung und seines Herrschaftssystems. Im Mittelpunkt von Hitlers Interessen stand die längste Zeit seines Lebens die Kunst, insbesondere die Malerei.“ Besser kann man Grundgedanken und Inhalt des Buches nicht umreißen und die Untersuchung einleiten. Hitler fühlte sich als Genie, genauer: als verkanntes Genie, und ebenso wurde er auch von seinen Anhängern gesehen.

Im Grunde ist das Buch eine weitere Biografie Hitlers, fokussiert auf seine Leidenschaft für die Kunst, die von allen Vorgängerbüchern eher stiefmütterlich behandelt wurde. Die Bedingung für ein solches Vorhaben ist natürlich, dass die Kunstpassion wirklich Hitlers gesamtes Leben beherrschte und nicht etwa bloß begleitete, dass sie seinen Charakter und die Motive seines Handelns in der Tiefe bestimmte und nicht nur Dekoration war, und eben diese unerhörte Bedeutung der Kunst für das Leben und das Wesen Hitlers kann die Autorin plausibel machen. Ihre Position ist dabei so sicher, sie vermag so viele Argumente vorzutragen und Belege vorzulegen, dass sie auf jede Polemik verzichten kann. Ihr Ansatz trägt.
Wichtig zunächst sind die Voraussetzungen Hitlers; und damit sind nicht die familiären Ursprünge gemeint, sondern darunter hat man das Bild vom Künstler zu verstehen, wie es von der Genieästhetik des späten 19. Jahrhunderts in den Kopf eines jungen Menschen verbracht wurde, der in sich Talent und Willen für die Malerei entdeckte. Das Bild vom verkannten Genie bestimmte das Bild der Malerfürsten im 19. Jahrhundert; ein rechtschaffenes Genie hatte, wie Schwarz vor allem mit Blick auf die von Hitler gelesenen Kunstzeitungen deutlich macht, in seiner Jugend zurückgestoßen zu werden, insbesondere von Akademien. Später half Hitler der Blick auf die (mitunter falsch überlieferte) Künstlerlaufbahn Makarts, Feuerbachs und anderer, die vielen Rückschläge und Demütigungen auf seinem Lebensweg zu überwinden. „In der Lebenskrise nach der Ablehnung [durch die Wiener Akademie, S.D.] bot das Konzept des verkannten Genies Hitler die Möglichkeit, seine Selbstachtung zu stabilisieren. Mit bodenloser Arroganz wappnete er sich gegen jede noch so verhaltene Kritik und den kleinsten Zweifel.“

Fragwürdig ist jedoch, dass die Autorin die großen Philosophen der Kunst in die Pflicht nimmt, wenn es um das Genieverständnis der Jahrhundertwende geht. Zwar ist es gewiss wahr, dass die Genieästhetik Kants, Schopenhauers und anderer das Verständnis des großen Künstlers dieser Zeit bestimmte, aber zweifellos handelt es sich dabei um eine Simplifizierung und Trivialisierung, wenn nicht gar Missdeutung der einschlägigen Schriften, die man keinem der großen Denker gönnt. Das gilt schon für die Rezeption durch die Intellektuellen, noch viel mehr aber für die durch so unsystematisch und willkürlich gebildete Leser wie Hitler. Schopenhauer scheint er ja wirklich gelesen zu haben, Kant oder die Schlegels aber sicherlich nicht, und trotzdem werden sie in der ersten Hälfte der Untersuchung immer wieder ins Feld geführt. Dazu kommt, dass Schwarz selbst demonstriert, wie selektiv Hitler schon in jungen Jahren bei seiner Lektüre vorging – er nahm alles, was er nicht wahrnehmen wollte, einfach nicht zur Kenntnis. Hätte er Schopenhauers Philosophie verinnerlicht, wäre er ein ganz anderer Mensch geworden.

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Am Leitfaden der Kunst erzählt also Birgit Schwarz das Leben Hitlers, wobei sich eine empfindliche Lücke unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg auftut (in seiner ersten Münchner Zeit). Sie zeigt, wie Hitler in Wien lebte, welche Zeitschriften er las, vor welchen Bildern er andächtig verharrte und wie er mit eigenen Aquarellen seinen ärmlichen Lebensunterhalt verdiente. Und sie erzählt, wie später Adolf Friedrich Graf von Schack sein Vorbild als Mäzen wurde, der große preußische Architekt und Maler Karl Friedrich Schinkel als Künstler: „Mit Schinkel konnte er sich, (...) wegen diverser biographischer Parallelen in besonderer Weise identifizieren. Schinkel hatte früh seinen Vater und mit 18 Jahren seine Mutter verloren und nach dem Tod des Vaters die Schule vorzeitig verlassen, um sich nach einem allerdings nur kurzen Studium an der Bauakademie in Berlin in die Lehre des Baumeisters David Gilly zu begeben.“

Nach dem Ersten Weltkrieg änderte sich das Selbstverständnis Hitlers, und der Geniebegriff wurde erweitert; das Selbstverständnis als Künstler war nun dessen allerdings notwendiges Fundament. Natürlich spielte Houston Stewart Chamberlain (»Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts«) eine wesentliche Rolle, die Geschichte des »Braunen Hauses« in München und seiner Einrichtung wird erzählt (das Braune Haus war die Zentrale der NSDAP), und auch die Rolle Bayreuths darf nicht verschwiegen werden. Hierbei kommt zur Sprache, dass Hitler sehr viel von Theaterarchitektur verstand, sich brennend für die technische Einrichtung großer Bühnen interessierte und in seinem offenbar enorm leistungsfähigen Gedächtnis erstaunlich viele Details abgespeichert hatte. Endlich werden uns die Personen vorgestellt, die später eine wesentliche Rolle bei den Kunstraubzügen und in der Kunstpolitik des Dritten Reiches spielen sollten. Da war zum Beispiel Heinrich Hoffmann, sein Fotograf, mit dem ihn das Interesse für die Malerei verband, oder Eberhard Hanfstaengl, der Kunsthistoriker der Nationalgalerie. Maria Dietrich und Karl Haberstock waren für Hitler als Gemäldelieferanten tätig. Sie hatten viel zu tun, denn er kaufte wie ein Besessener.

Von besonderem Interesse ist das Schicksal Hans Posses (1879 – 1942). Posse, ein bedeutender und verdienstvoller Kunsthistoriker, war mit erst 31 Jahren Direktor der Dresdner Gemäldegalerie geworden und wurde 1938 von Hitler als sein Sonderbeauftragter für das Führermuseum rekrutiert wurde.

Der zweite Teil des Buches ist für den Kunsthistoriker im Grunde wichtiger als der erste, denn im ersten Teil werden die ideengeschichtlichen und biografischen Voraussetzungen Hitlers geschildert, im zweiten Teil aber im Detail die einzelnen Projekte vorgeführt. Wie waren seine Amtssitze und Arbeitszimmer eingerichtet? Welche Bilder waren für ihn wichtig (zum Erstaunen des Rezensenten liebte Hitler französisches Rokoko!), wer richtete seine Residenzen oder den Berghof ein, mit welchen Leuten verfolgte er seine Museumsprojekte? Am wichtigsten war ihm natürlich das Projekt des »Führermuseums«, das in Linz am Ufer der Donau geplant war. Es ist beklemmend, wie besessen Hitler besonders von diesem Projekt war, so sehr, dass es ihn selbst noch in seinen schlimmsten Stunden beschäftigte – bis zum bitteren Ende. Eines der letzten Fotos dieses Bandes zeigt Hitler vor dem Holzmodell des Führermuseums im Souterrain der Reichskanzlei, und erschrocken stellt man fest, dass ein Hitler plötzlich menschliche Seiten zeigt.

Überhaupt findet der Leser in dem Abschluss dieses Bandes einige sehr eindrucksvolle Szenerien, die ihm wohl lange im Gedächtnis bleiben. Die Funktion, „welche Kunst innerhalb seines [natürlich Hitlers, S.D.] Machtsystems erfüllte“, wird von Schwarz höchst eindrucksvoll vor Augen geführt, und man sieht, „wie eng seine Selbstdarstellung, ja seine Selbstkonzeption als Genie mit der Kunst verknüpft war.“ Das gilt nicht allein für einen im Grunde ganz äußerlichen Aspekt wie den, dass im Führerbunker „die für den Personenschutz vorgesehenen Luftschutzräume voller Gemälde“ hingen – ein echtes Problem für die Menschen, die in Panik vor den Bomben flüchteten. Und diese Bemerkung zielt auch nicht allein auf die ängstliche Sorge um seine über ganz Deutschland verteilte Gemäldesammlung, die Hitler selbst im Angesicht der Niederlage umtrieb.

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Im Zusammenhang dieses Buches ist noch einmal die Identifikation Hitlers mit Friedrich II. wichtig, und besonders mit dem Alten Fritz, der, schmuddelig und greisenhaft, ja hinfällig, doch noch seine Pflicht erfüllt hatte. Schwarz spricht wiederholt von „Selbstinszenierung“ (auch in Bezug auf Hitlers kontemplative Versunkenheit in den Anblick von Gemälden oder den Modellen seiner geplanten Bauten), aber vielleicht war es doch mehr eine Form der Autosuggestion, die wesentlich durch die Kunst befördert wurde – man denke nur an die Bilder Adolph Menzels, die Hitler liebte und sammelte. Auch im Sekretärinnenzimmer des Führerbunkers hing ein Friedrich-Porträt.

Man kann der Autorin nur bescheinigen, ihre Aufgabe blendend erfüllt zu haben; die Biografie Hitlers in ihrem fanatischen Bezug auf die Kunst wird von ihr klar strukturiert und anschaulich erzählt, und es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass ihre Grundthese richtig ist. Das Buch ist außerordentlich konzentriert, aber die Autorin besitzt trotzdem jederzeit einen Blick auf mit ihrem Thema verknüpfte Problembereiche, etwa die zuletzt angesprochene Identifikation Hitlers mit Friedrich II.

Eine andere Frage ist aber, inwiefern ihre Darstellung uns helfen kann, zwei ganz wichtige Fragen zu beantworten: Wie begründet sich das Charisma Hitlers? Reicht der Hinweis auf den Genieglauben der Massen, um die Liebe zu ihm zu erklären? Und: Kann Geniewahn allein dieses (krankhafte?) Ausmaß an Selbstbezogenheit und Kritikresistenz erklären? Ist der zweite Teil des Wortes – Wahn – eine bloße Metapher, oder will diese Bezeichnung beim Wort genommen werden; war Hitler tatsächlich in irgendeiner Weise psychisch krank oder einfach nur ein Monstrum? Die Autorin selber gibt zu bedenken, dass für „eine psychiatrische Anamnese (...) unsere Kenntnisse absolut nicht“ ausreichen, und wahrscheinlich hat sie damit recht; so bleibt das Rätsel bestehen, aber es ist Schwarz’ Verdienst, es in das volle Licht gestellt zu haben.

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