Buchrezensionen

Bissinger, Manfred: Kreta. Byzantinische Wandmalerei, Editio Maris, München 1995

Als Creta sacra bezeichnete man einst die griechische Insel, auf der sich noch heute über eintausend ausgemalte Gotteshäuser mit Wandmalereien aus byzantinischer Zeit finden lassen.

Diese Monumente hinsichtlich ihrer Stilströmungen zu analysieren sowie - hiervon ausgehend - Qualität und Wert der einzelnen Kunstwerke zu beurteilten, um letztlich deren Position im Rahmen der Kunstschöpfung ihrer Zeit zu lokalisieren, ist der Gegenstand des Buches »Kreta. Byzantinische Wandmalerei« des als Kenner der kretischen Kunst bekannten Manfred Bissinger.

Mit seinem Thema bewegt sich der Autor auf einem Gebiet, mit dem sich die Kunstgeschichte stets nur am Rande und lediglich punktuell auseinandergesetzt hat. Seine Untersuchung ist breit angelegt, denn rund ein Viertel der erhaltenen sakralen byzantinischen Wandmalereien und Malschichten von der Makedonierzeit bis in das 15. Jahrhundert werden in ihr berücksichtigt. Bedingt durch diesen weiten Zeitraum wird zugleich ein breites Spektrum an Denkmälern erfasst, das von den ältesten Fragmenten im Katholikon von Myriokephala/Rethymnon (um 1005 oder 1020) bis hin zu den Freskenzyklen mit ersten Wendungen zum Stil der sogenannten [base "]Kretischen Schule", etwa im Katholikon und Narthex von Balsamonero/Kainurgio (1. Hälfte 15. Jahrhundert), reicht. Der Schwerpunkt der Abhandlung liegt dabei ganz auf der stilistischen Entwicklung der kretischen Fresken. Mit Blick auf seinen Untersuchungsgegenstand geht Bissinger den Fragen nach den äußeren, auf den Stil einwirkenden Faktoren sowie der innerstilistischen Entwicklung der Wandmalerei nach. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit Problemen der geographischen Differenzierung und mit Lokalstilen. Teilweise wird auch eine Scheidung einzelner Hände versucht. Bedauerlicherweise erfolgt jedoch keine gleichzeitige Erfassung der Bildprogramme, und wenigstens eine Nennung des jeweiligen Bildthemas wäre wünschenswert gewesen.

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Den Stilvergleich möchte der Autor nicht nur auf kretische Werke beschränken, sondern diese auch mit anderen Denkmälern der jeweiligen Zeit und aus dem gesamten byzantinischen Raum vergleichen. Zu diesem Zweck soll alles zur Verfügung stehende Material, sei es aus der Monumental-, Buch- oder Ikonenmalerei herangezogen werden. Insbesondere im Zusammenhang mit der künstlerisch-qualitativen und chronologischen Einschätzung des Einzelwerkes soll gleichsam als Hintergrund der historische Horizont der byzantinischen Kunst aufgerissen werden. Allerdings wird dies konsequent allein bei den aus der Frühzeit nur spärlich überkommenen Wandmalereien verwirklicht. Für die späteren Phasen beschränkt sich der Autor mehr oder weniger ganz auf die Insel, was bedauerlich ist, da gerade der Bezug auf den generellen Rahmen der byzantinischen Kunstentwicklung auch dem Nicht-Spezialisten die Einordnung und Bewertung der kretischen Monumente erleichtert hätte.
Bissingers Studie ist in insgesamt zwölf Kapitel gegliedert. Der eigentlichen Stiluntersuchung sind drei einführende Kapitel vorangestellt. Nach einer Einleitung, die Forschungsstand, Fragen und Probleme der Arbeit thematisiert, folgt ein weiterer Abschnitt, der kurz und prägnant die Hintergründe der byzantinischen Monumentalmalerei auf der Insel umreißt und die wichtigsten historischen Ereignisse anführt. Im Anschluss daran wird, jedoch allzu summarisch, der architektonische Rahmen der Wandmalereien behandelt. Im Wesentlichen beschränkt sich der Autor hier darauf, die verschiedenen Kirchenbautypen aufzuzählen. Die verbleibenden acht Kapitel befassen sich schließlich mit dem eigentlichen Thema des Buches, der Stilanalyse. Die einzelnen Monumente werden dabei in chronologischer Reihenfolge erfasst, wobei die von den byzantinischen Kaiserdynastien abgeleiteten Epochenbegriffe Anwendung fanden.
Der Aufbau der Abschnitte ist immer gleich und sehr übersichtlich: Einleitend werden die künstlerisch-stilistischen Tendenzen der byzantinischen Kunst der jeweiligen Zeit kurz umrissen. In diesen Rahmen werden dann die einzelnen kretischen Wandmalereien hineingestellt, wobei die datierten Denkmäler gleichsam als zeitliche Eckpunkte fungieren. Am Ende eines jeden Kapitels werden die zugehörigen Monumente katalogisiert, wobei die datierten Werke der großen Zahl des Undatierten vorangestellt werden und als Orientierung bei der Einordnung dieses Materials dienen. Über zweihundert, ausnahmslos farbige Abbildungen am Ende des Buches sowie zahlreiche Anmerkungen und Literaturverweise belegen die Forschungen und machen das Gesagte anschaulich. Als etwas hinderlich bei der Lektüre erweist sich jedoch, dass zwischen Bildlegenden und Abbildungen noch eine Reihe von Karten eingeschoben sind, so dass das Blättern vom Text zum Register und zu den Bildern bzw. umgekehrt ein wenig mühsam ist.

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Diese im Anhang enthaltenen, insgesamt zwölf sehr nützlichen Landkarten geben dem Leser zunächst einen Überblick über die heutige politische Gliederung der Insel und helfen dann, ebenfalls in chronologischer Folge und sehr übersichtlich, die einzelnen Dokumente zu verorten. Sie können dem an byzantinischer Malerei Interessierten vor Ort ohne Weiteres als Orientierung bei der Besichtigung der einzelnen Kunstwerke dienen. Zunächst werden die ältesten kretischen Zeugnisse aus der Zeit der nach der Dynastie (867-1056) benannten makedonischen Renaissance behandelt, für die ein Rückgriff auf antike Vorbilder und Themen charakteristisch ist (viertes Kapitel). Diese Phase des Kunstschaffens setzte mit der offiziellen Anerkennung der Bildverehrung ein und war mit einem starken Aufschwung der zentral gelenkten künstlerischen Aktivitäten verbunden. Der in der Hauptstadt geprägte Stil verbreitete sich, von Konstantinopel ausgehend, auch in der Provinz und überdauerte dort lange Zeit. Auf Grund der bis 961 andauernden arabischen Besetzung der Insel konnte er sich auf Kreta aber erst relativ spät ausbreiten. Nur sechs Monumente dieser Zeit haben sich erhalten. Sicher datiert sind nur die Fresken in Myriokephala/Rethymnon, die im Zusammenhang mit der Missionstätigkeit des Ioannes Xenos zu sehen sind und einen deutlich retrospektiven Charakter aufweisen. Erst am Ende der Epoche scheinen die Maler Kretas den Anschluss an die zeitgleiche Kunst gefunden zu haben und dann folgten die Malereien der allgemeinen Stilentwicklung komnenischer Zeit (1081-1185). Aus dieser künstlerischen Epoche haben sich auf der Insel fünf weitere Monumente erhalten, wobei nun allerdings erstmals ganze Szenen überliefert sind. Als Beispiel können etwa die Fresken aus Agios Georgios zu Kalamas/Mylopotamos (um 1130) genannt werden, die den voll entwickelten Stil der frühkomnenischen Renaissance auf Kreta belegen (fünftes Kapitel). Mit der lateinischen Eroberung des völlig zerrütteten Byzanz im Jahre 1204 fiel Kreta zunächst Genua, dann Venedig in die Hände (1211) und blieb bis zur Eroberung durch die Türken (1645) unter dessen Herrschaft. Die Venezianer organisierten das Leben ohne Rücksicht auf lokale Gegebenheiten nach dem Vorbild ihrer Heimat; die Folge waren zahlreiche Aufstände. Während dieser Zeit diente die Malerei der griechisch-orthodox geprägten Bevölkerung als Instrument der Abgrenzung von den lateinischen Besatzern. Mit Hilfe der Bilder brachte man das eigene Selbstbewusstsein sowie kulturelle und ethnische Traditionen zum Ausdruck. Charakteristisch für diese Zeit ist die parallele Entwicklung zweier Stile: Einerseits eines Duktus, der nach der Lösung von der komnenischen Tradition eigene Züge annimmt und dann in den Paläologenstil mündet, andererseits eine provinzialisierte Kunstrichtung mit deutlicher Bezugnahme auf komnenische Traditionen. Der progressive Stil findet sich im frühen 13. Jahrhundert auch auf Kreta, später wird die Insel aber von der durch komnenische Reminiszenzen geprägten Malerei beherrscht. Bissinger scheidet die Vertreter der beiden Richtungen voneinander, wobei er innerhalb der zweiten Gruppe eine weitere Familie von Malereien separiert, die als Monumente des westkretischen Linearstils bezeichnet werden (sechstes Kapitel).

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Erst 1299 beendete ein Friedensvertrag die Wirren auf der Insel und brachte eine Phase der Konsolidierung, die sich auch in der Monumentalmalerei niederschlug. Während zunächst weitgehend die retrospektive Provinzialisierung vorherrschte, der sich nun aber einzelne Werkstätten zuweisen lassen (siebtes Kapitel), machten sich dann mit deutlicher Verspätung auch Einflüsse des andernorts bereits blühenden Paläologenstils geltend (achtes Kapitel). Die Insel holte nun die versäumten Entwicklungsstufen nach. Daneben hielt sich bis ins 14. Jahrhundert hinein eine eher traditionell orientierte Kunst, die ebenfalls hochwertige Bildzeugnisse hervorbrachte. Die weitere Entwicklung des Paläologenstils auf Kreta wird anhand der bis 1340 datierten Beispiele aufgezeigt (neuntes Kapitel). Hier sind auch einige qualitativ hochwertige Fresken aus dem 14. Jahrhundert aufgeführt, die sich mit den hervorragendsten byzantinischen Malereien der Zeit vergleichen lassen. Zu ihnen gehören etwa die auf um 1320 datierten Wandbilder im Katholikon von Brontisi/Kainurgio mit ihrem auf die Eucharistie konzentrierten singulären Bildprogramm, dessen höchste Qualität einen hauptstädtischen Künstler vermuten lässt. Von diesen Werken des reinen Stils werden solche der [base "]vermischten" bzw. [base "]weiterentwickelten" Form unterschieden. Im Anschluss daran werden die paläologischen Malereien des zweiten und des letzten Drittels des 14. Jahrhunderts sowie [base "]Nachzügler" dieser Stilentwicklung behandelt, wobei die Monumente jeweils in drei Gruppen geschieden werden (elftes und zwölftes Kapitel). Abschließend stehen die Freskenmalereien des 15. Jahrhunderts im Mittelpunkt. Zu dieser Zeit spaltete sich die künstlerische Entwicklung in zwei Richtungen auf. Einerseits lässt sich eine rasch absinkende, um 1500 gänzlich absterbende provinzielle Kunst greifen. Andererseits findet man Malerei auf hohem Niveau, die im 16. Jahrhundert als [base "]Kretische Schule" auftrat und dann die Insel verließ (zwölftes Kapitel). Bedingt durch den wirtschaftlichen Niedergang Kretas wu!rden die Wandmalereien allmählich von den wesentlich preiswerteren Ikonen abgelöst. Fresken des 16. Jahrhunderts lassen sich daher nur noch vereinzelt finden.

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Trotz der kleineren Kritikpunkte handelt es sich bei Bissingers Studie um ein überaus lesenswertes Buch, aus dem auch der in der byzantinischen Kunst weniger bewanderte Student oder Leser leicht Kenntnisse erlangen kann. Die übersichtliche Gliederung des umfangreichen Materials und die ansprechende Präsentation desselben tragen ebenso wie die einfache Sprache, die der Sache keineswegs abträglich ist, zur Eingängigkeit und Anschaulichkeit der Untersuchung bei.

Bibliographische Angaben

Bissinger, Manfred: Kreta. Byzantinische Wandmalerei, Editio Maris, München 1995
Verlag Editio Maris 1995, ISBN-13: 978-3925801211

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