Kolumne

Blickwinkel #1: Das Internet - der neue White Cube?

Raiko Oldenettel über den virtuellen und reellen Ausstellungsrundgang.

Tobias Brockmann hat einen Raum geschaffen, den größten musealen Raum der Welt. Jedenfalls auf der Platine. Aufgetaucht an den Ständen der CeBIT ist sein Projekt die beschriene Zukunft der virtuellen Reise im Lehnstuhl. Positive Stimmen überschlagen sich. Man denke sich nur die Möglichkeiten, die auch Google Inc. uns bereits durch den digitalen Rundgang in weltbekannten Häusern ermöglicht hat. Kein langweiliges Herumlungern auf den Museumsbänken, weil einem die Beine versagen. Kein mürrisch dreinblickender Museumswärter, der zwischen zwei Räumen hin und her pendelt, wie ein geladenes Teilchen. Die Luft ist die unserer Stube, man darf Essen mitbringen, die Familie schaut auf dem Großbildschirm mit. Das klingt, als wäre das jesuitische Gehirntheater im neuen Jahrhundert angekommen. Nur merken muss man es sich nicht, denn der Content ist ja stets abrufbar, oder?

Wenn wir den Link nicht aus Versehen löschen. In diesem Fall wird das virtuelle Museum jedoch zeitnah, ein fieses Wort, nachlegen können. Die unerschöpfliche Projektionsfläche des Kurators wird zum ultimativen White Cube, die dünne weiße Linie, die Douglas Adams als Unendlichkeit bezeichnete. Und dann? Die ständige Flut der neuen Ausstellungen wird vergessbar, überfüllt den visuellen Speicher. Schlimmer noch, der Akt des Besuches im Museum, die Ladung zur Vernissage, die Vorfreude in den italienischen Höfen doch noch einen Platz in der Schlange bekommen zu haben, sie werden obsolet. Das Erreichen der Kunst als Abenteuerreise geht verloren. Selbstverständlich nur, wenn man sich höchst ungern in der Gesellschaft müde nickender Herrschaften befindet, die vor einem der bekannteren Meisterwerke versinken und murmelnd die Meinung ihrer Bettlektüre rezitieren.

Im gänzlich anderen Fall wiederum genießt man die Atmosphäre der sprechenden Hallen und saugt die Erfahrung des Besuchs in sich auf. Erinnert sich an die rothaarige Dame neben dem Renoir, die zum Spaß das gleiche Kleid trug, wie das Modell auf dem Gemälde und an die schnaubenden Nüstern ihres Gatten, als dieser einen beim Starren erwischte. Man kritzelt Notizen in sein Moleskine, durchblättert den zerfledderten Katalog an der Stahlschlinge und spielt mit dem eigenen Blick Schiffchen auf den tiefen Wogen der impressionistischen Ölwellen. Mit Glück ist zu sagen, dass deren immer noch trocknende Oberfläche, ihre Tiefe, das Bröseln und der Glanz im trüben Schimmer der Oberlichter, wohl nie von einem Tobias Brockmann eingefangen werden können.

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