Buchrezensionen

Blühm, Andreas und Böhm, Thomas (Hrsg.): Bilder. Geschichten. Schriftsteller sehen Malerei. Literatur-Lesungen von Jürgen Becker, Marcel Beyer, Monika Maron, Günter Wallraff, Dieter Wellershoff u.a., Hörbuch-CD, Random House Audio

Es geschieht etwas Geheimnisvolles mit Bildern, wenn man sie in Sprache verwandelt. Denn Bilder stellen dar, Worte aber stellen vor.

Was räumlich in einen Rahmen gebannt und wie eingefroren ist, verzeitlicht sich. Gemalte Figuren oder auch Gegenstände und Landschaften beginnen sich zu regen, als würden sie aus einem Dornröschenschlaf erwachen. Eine erzählerische Ordnung von Abläufen tritt in die starre Räumlichkeit des fixierten Bildes, längst Vergangenes wird in gegenwärtige Handlung verwandelt, und was äußerlich war und als Gegenstand an der Wand hing, wird in der Betrachtung zu einem inneren Ereignis, wird Erinnerung, Erzählung, verdoppelte Emotion.

Bilder befinden sich ja auch hirnphysiologisch in einer anderen Zone als die Sprache. Entfaltet sich diese erst in einer logisch-diskursiven Verknüpfung nach und nach zu Sinn, so sind Bilder mit einem Mal da. »Das Ohr ist stumm, der Mund ist taub; aber das Auge vernimmt und spricht. In ihm spiegelt sich von außen die Welt, von innen der Mensch«, notierte sich Goethe 1805 auf einem losen Blatte zu den Vorarbeiten zur Farbenlehre. Das Bilderlesen, die Leidenschaft, ja Sucht, nach dem »Fressen von Bildern«, wie sie Guy Helmlinger an sich diagnostiziert, gehört dem atavistischen Stammhirn an, der Wurzelzone unseres Erinnerungsvermögens. Das Bild-Erkennen, rechtshemisphärisch beheimatet, wirkt deshalb unmittelbarer und natürlich auch tiefer; die Sprache aber, diese Folge von sequentiell repräsentierenden Zeichen, die im Stammhirn linkshemisphärisch lokalisierbar ist, holt immer nur das ein und führt es vor ein inneres Auge, was wir beim Betrachten eines Gemäldes simultan empfinden und in den Wanderbewegungen der Augen stets erneut rekonstruieren.

Ein wunderbares Hörbuch ist hier anzuzeigen: »Bilder. Geschichten« mit dem Untertitel »Schriftsteller sehen Malerei« aus dem Hörbuchverlag Random-House. Jüngere und ältere, schon arriviertere Vertreter der schreibenden Zunft haben sich für ein Gemälde entscheiden dürfen, das im Kölner Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud hängt. Sie haben einen Text geschrieben und, was besonders wirkungsvoll ist, sie tragen ihn auch selbst vor. Nun könnte man einwenden: Warum nur die beschränkte Auswahl eines einzigen Kölner Museums? Und warum nicht von professionellen Schaupielern gesprochen? Doch die vermeintliche Einschränkung ist ein Gewinn. Denn die ungefilterte Subjektivität und die Vielfalt der Herangehensweisen machen den Reichtum des Hörbuchs aus. Zum einen wird so deutlich, dass gerade diese und nur diese Gemälde für gewisse Literaten, deren Herkunft in und um Köln lag (wie Günter Wallraff, Jürgen Becker oder Hanns-Josef Ortheil), ein Stück Lebensgeschichte symbolisieren. So werden die Gemälde Anknüpfungspunkte für biographische Rückschau, was immer etwas Elegisches mit sich bringt: Das Bild tritt in eine Lücke und füllt sie aus. Es stellt für diese Betrachter etwas Unverwechselbares dar, etwas, was längst versunken ist. Gleichzeitig ist es immer noch da; seine Präsenz im Hier und Jetzt grenzt dann an den Traum von Zeitlosigkeit und ewiger Dauer, während die Menschen, die man mit diesem Bild vor Jahrzehnten verbunden hat, gealtert oder längst gestorben sind. Und auch das Ich, von dem man in der Erinnerung spricht, ist ein vertrauter Fremder geworden, den man im Spiegel der Leinwand wiederzuerkennen versucht.

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Die Vielfalt der Textformen ist faszinierend. Da gibt es neben der (zumindest auf den ersten Blick) unprätentiös erscheinenden autobiographischen Erinnerungsarbeit Beispiele für großartige objektivierende Beschreibungen, wie sie nach wie vor das elementare Handwerkszeug eines Kunstgeschichtlers sein sollten (Dieter Wellershoffs Ausführungen zu James Ensors Mädchen mit Puppe etwa). Andere Schriftsteller wie die Lyriker Ulrike Draesner oder Norbert Hummel verfassen eher Kunstwerke parallel zum Kunstwerk. Immer ist die gründliche Recherche in die Betrachtung mit eingegangen.

Dem Schriftsteller Georg Klein gelingt zu Peter Paul Rubens Selbstbildnis im Kreise der Mantuaner Freunde ein Essay über die Vergänglichkeit. Marcel Beyers Bildbeschreibung eines Pieter Claesz-Stilllebens entwickelt sich zu einer Reisegeschichte aus dem Polen der Nachwendezeit. Die Auseinandersetzung mit einem Hodler-Portrait wird Guy Helminger zu einer Selbstportraitstudie.

Es geht hier ums Prinzip: Wenn Dichter Sehereignisse ins geschriebene, genauer ins gesprochene Wort übersetzen, dann ist das ein zusätzlicher Imaginationsanreiz. Sie finden Worte, wo der normale Museumsbesucher ins Stammeln gerät. Sie können müheloser die unterschiedlichen Sprachen von Bild und Wort und die Wege vom Wort zum inneren Bild weisen. (An Prousts besonderes Verhältnis zu Vermeer sei erinnert oder auch die Museumsbesuche in Rilkes Malte Laurids Brigge). Bilder, an denen der normale Museumsbesucher auf der Durchreise in der Regel flüchtig vorbeigeht, beginnen im verweilenden Betrachten und mit der Stimme dieses Hörbuchs im Ohr (wenn die kühne poetische Metapher hier einmal erlaubt ist) aufzublühen.

Alle besprochenen Gemälde sind im beiliegenden Booklet in Farbe abgebildet.

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