Buchrezensionen

Blumenröder, Sabine: Andrea Mantegna – die Grisaillen, Gebr. Mann Verlag, Berlin 2008

Die Grisaillemalerei zählt zu den wenig bekannten Kapiteln der Kunstgeschichte. Auch unter Fachleuten gilt sie als eher unscheinbarer Nebenschauplatz auf dem großen, weiten Gebiet der Wand- und Tafelmalerei und wird oftmals als Dekorationselement oder kostengünstiges Surrogat aufgefasst. – Zu unrecht, wie Sabine Blumenröder in ihrer Abhandlung über die Grisaillen Mantegnas auf eindrucksvolle Weise darlegt.

Der Begriff »Grisaille« wird dabei von der Autorin bewusst als »pars pro toto« verwendet, beschränkt sich also nicht nur auf »Grau in Grau«, sondern schließt auch alle anderen Spielarten von monochromer oder quasi-monochromer Malerei mit ein. Eine engere Definition wäre in diesem Zusammenhang auch nicht zweckmäßig, zumal zu Mantegnas Zeiten kein eigenes Wort für diese neuartige Form der Bildgestaltung existierte. Das Novum lag in der bewussten Reduktion der Farbgebung, einer Farbabstraktion, um Blumenröders Terminologie aufzugreifen. Im Gegenzug konnte der Künstler dadurch höchstes malerisches Raffinement auf einer übergeordneten Ebene entfalteten.

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Die sogenannten Grisaillen Mantegnas – knapp ein Dutzend dieser Bildtafeln sind heute noch in mehr oder weniger gutem Zustand erhalten – sind gemalte Bravourstücke, die nichts Geringeres anstreben als die Wiedergabe fiktiver, antiker Bronze- und Marmorreliefs. Der doppelte Kunstgriff transponierte die Bilder in vorgeblich historische Zeiten und in ein anderes Medium. Gleichzeitig bot die Antikenrezeption Raum für gelehrte Bildkommentare in humanistischer Geschichtsauffassung und politischer Ikonologie.

Blumenröder vermutet, dass diese höchst komplexen und diffizilen Schöpfungen Mantegnas ursprünglich keine eigenständigen Bildwerke waren, sondern als integrierte Bestandteile in den aufwendigen Raumdekorationen von sogenannten »studioli« Verwendung fanden. Dabei handelte es sich um private Studiengemächer von Fürsten und Gelehrten, in denen Bücher, Dokumente und Kunstschätze aufbewahrt wurden. Insbesondere verweist sie auf den höfischen Umkreis der Gonzaga, sowie auf ein verschollenes »studiolo« der Isabella d’Este, das nachweislich eine bedeutende Antikensammlung beherbergte.

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In solchen Refugien der Gelehrsamkeit also trat Mantegna, der selbst ein großer Kenner antiker Kunstwerke war, selbstbewusst in den Wettstreit der Künste. Er demonstrierte unter anderem die Überlegenheit seiner Malerei gegenüber der Bildhauerkunst, indem er perfekte Materialimitationen schuf. Die Kunst des Trompe-l’Œuil beherrschte er schließlich mit so großer Meisterschaft, dass er die Oberflächen von vergoldeter Bronze, poliertem Marmor, ja sogar die verschiedenfarbigen Schichten eines Steinschnitts wiedergeben konnte.

Zugleich beschritt er jedoch auch neue Wege in der Ikonologie und entwickelte Themen, die für seine Zeitgenossen neu und ungewöhnlich waren. Blumenröder geht hierbei von der Annahme aus, dass Grisaillemotive in der Malerei des Quattrocentos generell eine Vermittlerrolle einnahmen: sie stellten Bezüge zwischen verschiedenen Zeitebenen und unterschiedlichen Themenkreisen her. Insbesondere erlaubte der Verweis auf »altehrwürdige« Statuen und Reliefs, Motive aus der paganen Antike einzuführen. Der Einsatz von Grisailleelementen als »Bild im Bild« eignete sich jedoch auch vorzüglich zur Entwicklung von typologischen Programmen.

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Zur Untermauerung ihrer These unternimmt die Autorin einen Rückblick auf die Anfänge der Grisailletechnik bei Giotto sowie auf die Weiterentwicklung der Bildgattung seit dem Trecento. Zudem verweist sie auf die Einflüsse der nordischen Malerei in Oberitalien. Jenseits der Alpen war die Funktion der Grisaillen eine andere: Sie kamen vor allem auf den Werktagsseiten von Flügelaltären zum Einsatz und waren liturgisch mit der Fastenzeit verbunden. Nichtsdestoweniger könnten niederländische Altartafeln einen maßgeblichen Einfluss auf Mantegnas Maltechnik ausgeübt haben – der Wissenstransfer funktionierte bereits vor der Globalisierung.

Die Vielschichtigkeit, mit der Blumenröder ihr Thema entwickelt, wirft ein neues Licht auf das Phänomen der Grisaillemalerei. Gleichzeitig gewährt ihre Publikation tiefe Einblicke in den weltanschaulichen Kosmos einer der herausragendsten Künstlerpersönlichkeiten der italienischen Frührenaissance.

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