Rezensionen

Boris Friedewald: Pauls Reise zu den Fischen. Hatje Cantz Verlag

Ein Bilderbuch zu Paul Klees submarinen Zwischenwelten? Was mag einen renommierten und so sehr ambitionierten Kunstverlag dazu bewogen haben, schon seit dem letzten Herbst ein neues Segment mit Kunstbüchern für Kinder und »graphic novels« für Jugendliche zu eröffnen? Zum einen ist gerade dies ein generell wachsender Bereich, macht er doch im deutschen Buchhandel – Tendenz steigend – schon jetzt etwa ein Fünftel des Gesamtumsatzes aus. Und innerhalb der Warengruppe bilden wiederum gerade die Kinderbücher und Bilderbücher für die ganz Kleinen die stärksten Anteile am Gesamtumsatz. Doch, so fragt sich Walter Kayser, was spricht neben solchen marktstrategischen Gesichtspunkten sonst noch dafür? Umwirbt die neue Sparte vielleicht nur ehrgeizige und betuchte »Helikoptereltern«, die nichts mehr drängt, als wie sie ihre durchweg hochbegabten Hätschelkinder auf die richtige Frühförderungsspur setzen können? – Jedenfalls kann die neueste Erscheinung des Verlagshauses, ein Bilderbuch zu Paul Klees Meeres– und Fischbildern, keineswegs ganz überzeugen.

Cover @ Hatje Cantz Verlag
Cover @ Hatje Cantz Verlag

Ganz am Ende des hier zur Diskussion stehenden Buches, sozusagen als Nachschlag, schiebt der Verfasser, der sich beim Thema Bauhaus anscheinend besonders gut auskennt, eine Information nach: Wenn der Professor von seinen Studenten privat in seinem Atelier besucht wurde, dann habe Paul Klee, bevor er diese überhaupt einen Blick auf seine neuesten Arbeiten werfen ließ, sie zuallererst vor sein Aquarium geführt und ihnen begeistert die Form der wehenden Schlingpflanzen und die Farbenpracht seiner tropischen Fische vorgeführt. – Und tatsächlich, wer sich auch nur ein wenig im Werk Paul Klees auskennt, der weiß, wie zentral in Klees Bildwelt die Motivik des Fisches, der Unterwasserwelt oder auch das der Schiffe und Seefahrt ist. Das beginnt schon mit recht frühen Bildern wie »Der goldene Fisch«, endet nicht mit dem im Œuvre so zentralen Stillleben »Um den Fisch« von 1926, das heute im MoMa in New York zu sehen ist, sondern zieht sich bis ins Spätwerk mit seinen runenhaften Bildzeichen, etwa bis zur »Insula Dulcamara« von 1938 oder den dunkel–bedrohlichen »Schlamm Assel Fisch« von 1940.

Für Klees Affinität zur Wasser– und Unterwasserwelt gibt es viele Gründe: Die Unzugänglichkeit der Tiefsee, des nassen Elements allgemein, welches seit alters her ein Sinnbild alles Unbewussten ist, sein schillernder Farbenreichtum und seine skurrile Formenvielfalt, die (wohl vermeintliche) Stummheit ihrer Bewohner. Hinzu kommt die uralte Symbolbefrachtung, welche beispielsweise im griechischen Akrostichon »ICHTHYS« die bündigste Formulierung fand, war sie doch in urchristlicher Zeit das Bekenntnis zu der Einzigartigkeit Jesu Christi, und zwar lange bevor dieser in Gestalt eines »Guten Hirten« oder gar am Kreuz dargestellt wurde.
Weitaus entscheidender dürfte aber wohl der poetische Sinn sein, die fantasievolle Versponnenheit, jener im besten Sinn kindliche Geist, den sich Paul Klee zeit seines Lebens bewahrt hat. Bei aller rationalen Kontrolle und sorgfältigen Kalkulation, bei aller Durchdringung der »bildnerischen Gestaltungslehre«, die er als Professor ab 1921 systematisch zusammenfasste, bei all seinem lebenslangen Interesse an immer neuen Technikerprobungen und farbliche Wirkungen blieb er doch ein Träumer, dessen eigentliche Intention es war, immer tiefer in die Welt des Imaginären vorzustoßen: »Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar«, lautet das viel zitierte Credo aus der 1920 erschienenen »Schöpferischen Konfession«.

Dämon über den Schiffen
Dämon über den Schiffen

In einer Welt, in der gegenwärtig täglich etliche Tierarten unwiderruflich aussterben (zweifellos eine Querschnittslähmung der sehr behutsam und langsam sich entwickelnden Evolution) ist es verwunderlich, dass wir immer noch neue Tiere ausmachen können. Neben unscheinbaren Insekten, Fröschen und Geckos gehören genau solche grotesken Lebewesen der Tiefsee dazu, wie Klee sie gemalt hat.
Von all dem erfährt man natürlich in diesem Kinderbuch nichts. Es ist ein Vorlesebuch für die Altersgruppe der Vorschulkinder. Sein Autor, Boris Friedewald, hat sich schon durch einige Veröffentlichungen hervorgetan, die in dieselbe Richtung gehen. Auch »Die Engel von Paul Klee« im DuMont–Verlag zielten bereits vor zwei Jahren auf ein breiteres Publikum. Ob es »Maria Sibylla Merians Reise zu den Schmetterlingen«, Salvador Dalís aberwitzige Schnurrbärte, Picassos besonders ausgeprägte Verbindung zu Tauben und Stieren, zu Fischen, seinem Dackel »Lump«, Ziegen und etlichen anderen Vierbeinern, – immer ging es Friedewald darum, anhand eines bestimmten Sujets Kunstwerke breitenwirksam zu vermitteln. Es ist klar, dass dabei das Biographische in den Vordergrund rückt und die Bilder eben der Bebilderung dienen. Die Komplexität der Welt muss nun mal »heruntergebrochen« werden; nun also, analog zum allseits beliebten (und notwendigem) »Sciencetainment«, ein kunstpropädeutischer Populärjournalismus? Paul Klee fürs Vorschulalter?

Der 1969 geborene Friedewald studierte Kunstgeschichte, Pädagogik und Theaterwissenschaften in Bochum und Berlin, und etwas von der Theaterpädagogik eines Dramaturgen hat auch dieses Buch. Denn die Geschichte, die Friedewald erzählt, ist sicherlich gut gemeint, bleibt aber leider recht hölzern und enthält nirgends den poetischen Zauber, den die Wasser– und Unterwasserbilder Klees besitzen. Sie ist peripetienreich wie eine soap opera im TV–Vorabendprogramm und recht schnell erzählt: Der kleine Paul und seine Freundin Lily (nicht von ungefähr der Vorname von Paul Klees Frau) bekommen von ihren Großeltern ein ganz besonderes Geburtstagsgeschenk: eine Schiffsreise. Sie erleben eine Sternennacht an Deck, springen ins Wasser und tauchen in die bläulich–silbrige Flut ein – je nachdem, wie es der Autor gerade braucht, wenn er sich von einem Klee–Bild zum nächsten hangelt. Dabei treffen die Kinder den Windgott Aeolos und hören eine Windharfe. Sie entdecken ein glibberiges Seemonster, das nach faulen Eiern stinkt, und ein Sternenschiff, auch versunkene Städte und Atlantis dürfen nicht fehlen.

Der Goldfisch
Der Goldfisch

Vielleicht wäre aus der Geschichte um Paul und Lily eine sprachlich ansprechendere, spannendere, vor allem aber fantasievollere und unterm Strich reizvollere Erzählung geworden, wenn der Autor sich nicht so eng an die Bildtitel Klees gehalten hätte. Denn häufig bringen diese Titel, indem sie ja zum Dargestellten in einen rätselhaft–spannungsvollen, häufig ironischen Kontrast treten, eine zusätzliche Vieldeutigkeit hinein. Auch hätte es vermutlich der Story größere Spielräume eröffnet, wenn Friedewald nicht so sehr auf Vollständigkeit gesetzt und auf weniger als gut 30 Bilder Bezug genommen hätte.
Das Buch ist so gestaltet, dass jede Seite ein neues Kunstwerk anschneidet und ein neues Kapitel der Handlung aufschlägt. – Aber werden die Kinder damit auch an das Genie Klees herangeführt? Daran ist schon deshalb zu zweifeln, weil die Bilder in aller Regel »entrahmt« sind, sei es, weil auch der Schriftsatz stets mit einem mehr oder weniger passendem Farbton unterlegt ist oder weil der Seitenschnitt zu wenig Rand oder ein fehlender Außen– oder Kopfsteg keinen Raum für eine distanzierte Betrachtung gewähren.
Trotzdem bleibt zu hoffen, dass die kleinen Kinder, die auf dem Schoß eines geliebten Menschen mit solch einem Bilderbuch zum ersten Mal in die Klee‘sche Bildwelt »eintauchen«, irgendetwas von dieser Zauberwelt verspüren können.


Titel: Pauls Reise zu den Fischen
Autor: Boris Friedewald
Verlag: Hatje Cantz
Oktober 2022
gebundene Ausgabe: ‎64 Seiten
Abmessungen: ‎18.6 x 24.6 x 1.2 cm
Preis: 26 €

ISBN–10: ‎ 3775753338
ISBN–13: ‎ 978–3775753333

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