Buchrezensionen, Rezensionen

Boris von Brauchitsch: Michelangelo, Suhrkamp 2009

Es ist in Wahrheit kein leichtes Unterfangen, die Biographie eines Künstlers zu schreiben, über den schon fast alles gesagt wurde. Schon gar nicht, wenn es sich hierbei um Michelangelo handelt, der sich über die Kompetenzen der Kunstgeschichte hinaus schon längst zu einem Phänomen der Alltagskultur entwickelt hat: der Popstar unter den Renaissancegenies, scheinbar verfügbar für jedermann, wenn schon nicht in den Originalen, so in mannigfachen Reproduktionen aller Größen und Preisklassen und in allen Varianten einer blühenden Souvenirindustrie.

Brauchitsch Cover © Suhrkamp
Brauchitsch Cover © Suhrkamp

Boris von Brauchitsch, der in derselben Reihe bereits eine Basis-Biographie über Caravaggio verfasste, meistert die heikle Aufgabe jedoch mit viel Geschick. Kurz gefasst und gut lesbar, jedoch ohne zu simplifizieren, schreibt er über das Leben und Werk des Meisters und umschifft dabei gekonnt die Untiefen der üblichen Histörchen und Klischees.

Vielmehr weist er bereits eingangs auf die Gefahren einer naiven Glorifizierung hin: „Die Vorstellung vom überirdischen Genie wird bei Michelangelo Buonarroti strapaziert wie bei keinem anderen Künstler“, eröffnet er seine Darstellung. Tatsächlich habe Michelangelo in allen drei bildenden Künsten Werke geschaffen, „die in ihrem Symbolwert und ihrer Prominenz unerreicht sind“. Damit verweist er auf die Skulptur des Davids, „der zum Inbegriff der männlichen Schönheit avancierte, die bis heute Gültigkeit besitzt“, auf die Deckenausmalung der Sixtina „von der vor allem die Erschaffung Adams endlos in der Kunstgeschichte zitiert wird“, sowie auf die Kuppel von Sankt Peter, die gleichfalls zum Vorbild schlechthin für zahllose spätere Kuppelbauten wurde.

Doch obwohl jeder vermeint, den Künstler aufgrund seines großen Namens zu kennen, erweist sich das Werk Michelangelos als vielschichtig, mit ungelösten Fragen behaftet und in seiner Gesamtheit kaum fassbar. Vielmehr, so lautet die Quintessenz bei Brauchitsch, habe jede Zeit ihr eigenes Bild von Michelangelo entwickelt und verschiedene Teile seines Werks in den Vordergrund gestellt.

Wie man es von einer Basis-Biographie im besten Sinne erwarten kann, beschränkt sich Brauchitsch in seiner Darstellung auf das Wesentliche und verweist am Ende des Buches auf die weiterführende Literatur. Der Text ist mit fast spielerischer Leichtigkeit geschrieben, lässt dabei jedoch keine Zweifel an der hohen fachlichen Kompetenz des Autors. Er thematisiert das einzigartige Werk des Universalgenies Michelangelo ebenso wie das Geschick des Meisters, bereits zu Lebzeiten an der eigenen Legendenwirkung mitzuwirken.

Ein eigener Abschnitt ist schließlich der widersprüchlichen Wirkung des Künstlers auf die Nachwelt gewidmet. Seinen persönlichen Künstlerfreunden und Schülern war kein großer Ruhm vergönnt, denn sie standen zu sehr im Schatten des Meisters. Doch der Einfluss Michelangelos strahlte fortan auf alle Epochen der Kunstgeschichte und inspirierte jedes Zeitalter auf seine Weise – er faszinierte ebenso, wie er konsternierte. Im Grunde genommen liest sich die Kritik an Michelangelo wie ein Spiegelbild der Geschichte der Kunsttheorie: Brauchitsch schlägt den Bogen von seinen ersten Bewunderern und Zeitgenossen bis hin zu den Vertretern der frühen Moderne, die in dem Abstraktionsgehalt der unvollendeten Skulpturen eine eigene Qualität erkannten.

Über Jahrhunderte hinweg wurde das Phänomen Michelangelo aus unterschiedlichen Blickwinkeln beschrieben, analysiert, psychologisiert, mit Zensuren bedacht und unter neuen Vorzeichen wiederentdeckt, aber auch für politische Ideologien missbraucht. Sowohl der Nationalsozialismus als auch der Stalinismus versuchten, Michelangelo für ihren dogmatischen Kunstbegriff zu vereinnahmen.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bemächtigte sich die Filmindustrie des Heros, und die „massenhafte Verbreitung seines Werkes“, so Brauchitsch, „lädt geradezu ein, den Pop-Faktor auszuloten“. – In der Tat, so ist auch der Rezensentin aufgefallen, wirbt seit einiger Zeit wieder ein weltumspannender Konzern mit dem Händezitat aus der „Erschaffung Adams“, einem der wohl meist kopierten Sujets aller Bildmedien. – So ist der „Unbequeme, Maßlose, Leidende“ in der Konsumwelt von Angebot und Nachfrage angekommen, wie Brauchitsch resümiert? Danach sieht es gegenwärtig wohl aus, doch der Autor lässt die endgültige Antwort darauf konsequenterweise offen.
 

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