Buchrezensionen

Byung-Chul Han: Die Errettung des Schönen, S. Fischer Verlag 2015

Wann wird im Zusammenhang mit zeitgenössischer Kunst von Schönheit gesprochen? Eigentlich nie, und deshalb hätte Byung-Chul Han vielleicht gut daran getan, nicht von der Errettung des Schönen, sondern von dessen Wiederbelebung zu sprechen. Aber ein interessantes Thema ist das Schöne allemal. Stefan Diebitz hat den schmalen Essay des koreanischen Meisters gelesen.

Das Markenzeichen des aus Seoul stammenden, früher in Karlsruhe und heute in Berlin lehrenden Philosophen Byung-Chul Han sind schmale Essays, in denen er ausführlich die Literatur zitiert und sich selbst nur mit meist äußerst kurzen, sich oft wiederholenden Sätzen äußert, in denen er weniger argumentiert als vielmehr apodiktisch feststellt. Seine bislang populärste Schrift ist das im letzten Sommer erschienene »Psychopolitik«, in dem er die Ideologie des Neoliberalismus angreift, ein anderes viel gelesenes Buch ist das ebenfalls zeitkritische »Müdigkeitsgesellschaft«. Byung-Chul Han wird oft scharf kritisiert, aber von noch mehr Lesern geschätzt, ja verehrt; vielen gilt er als Star der zeitgenösssischen Philosophie.

Für Han ist das »Glatte« das Markenzeichen der Ästhetik unserer Zeit, das er nicht allein an den Gegenständen des täglichen Gebrauchs, sondern auch an den Skulpturen von Jeff Koons findet – ja, gerade dort. Und Koons ist, wenn man Han folgt, vielleicht nicht der bedeutendste, wohl aber »der erfolgreichste Künstler der Gegenwart«, und so sollte die Beschreibung und Ausdeutung seiner Skulpturen ein idealer Einstieg sein, wenn man das Wesen der zeitgenössischen Kunst erfassen will. Allerdings hält sich Han mit der Schilderung einer Skulptur von Koons nicht einen Augenblick auf, sondern verlässt sich darauf, dass man diesen Künstler eben kennt und, falls nicht, flink googelt. Eben an Koons Arbeiten findet Han nun die Merkmale des Glatten wieder, vor allem das, was man vor dreißig oder vierzig Jahren im Jargon der Frankfurter Schule das »Affirmative« nannte.

Wie nun geht Han auf die Skulpturen des amerikanischen Künstlers zu? Er kümmert sich tatsächlich überhaupt nicht um sie, sondern beschreibt lediglich die Begegnung mit ihnen, sozusagen ihre rezeptionsästhetische Seite. »Angesichts seiner glatten Skulpturen«, schreibt er über Koons, »entsteht ein haptischer Zwang, sie zu betasten, sogar die Lust, daran zu lutschen.« Nun, der Rezensent kann versichern, dass bereits das erste mitnichten der Fall ist, denn er fasst wohl gelegentlich einen massiven, auch rauhen Stein an, zum Beispiel Granit, aber doch nicht die Skulpturen eines Jeff Koons… Und »Lutschlust«, wie es nur wenige Zeilen später heißt, konnte er auch noch niemals an sich beobachten, jedenfalls nicht im Zusammenhang mit Jeff Koons und dessen kitschigen Plastiken. »Seiner Kunst«, fährt Han mit Blick auf den amerikanischen Künstler fort – und ich sehe an dieser Stelle die Adorniten zustimmend nicken, zumal sie sich auch durch den kunstvollen Irrealis an den Stil des Meisters erinnert fühlen müssen – »Seiner Kunst fehlt die Negativität, die Distanz geböte. Allein die Positivität des Glatten löst den haptischen Zwang aus. Sie lädt den Betrachter zur Distanzlosigkeit, zum Touch ein. Ein ästhetisches Urteil setzt aber eine kontemplative Distanz voraus. Die Kunst des Glatten schafft sie ab.«

Es würde den Umfang einer Buchbesprechung bei weitem sprengen, bereits all die unausgesprochenen Voraussetzungen in diesen wenigen Zeilen herauszuarbeiten. Allein die von Han geforderte »kontemplative Distanz« sollte den Widerspruch vieler Leser herausfordern. Sie wurde von Schopenhauer gefordert und dominiert, glaube ich, seit langem auch die Kunstauffassung des Fernen Ostens, kann aber keineswegs als typisch für unsere eigene Begegnung mit Kunst dienen und widerspricht wohl auch der Lehre eines Adorno, die man oft genug aus diesem Buch heraushören kann. Auch wüsste ich nicht, warum die »Kunst des Glatten« die Versenkung in ein Kunstwerk abschaffen sollte. Wieso erklärt mir der Autor nicht, was er mit seinen mirakulösen Sätzen eigentlich meint?

Im Folgenden schreibt Han über den Tastsinn, wobei er unter anderem Roland Barthes und Hans Georg Gadamer, aber auch Kant und Hegel und noch viele andere, meist äußerst prominente Autoren zitiert. In diesem Zusammenhang zeigt sich einer der größten Vorteile dieses Essays: Er versammelt dermaßen viele, oft interessante Zitate, dass man das Buch als Blütenlese einer Philosophie der Kunst gebrauchen und sich entsprechende Anregungen holen kann. Han ist extrem belesen und zitiert von Platon bis zur Neuzeit so ziemlich jeden Autor, der etwas zum Thema zu sagen hat. Nur nimmt er sich an keiner Stelle die Muße, die entsprechenden Zitate aus ihrer Epoche heraus zu verstehen, sie in den Zusammenhang einer Argumentation, vielleicht gar eines ganzen (Lebens-) Werks einzuordnen, sie zu überprüfen und überhaupt sorgfältig auszudeuten. Alles geht hoppla-hopp!, ohne dass er sich irgendwo aufhält.

Beispielhaft ist Hans Umgang mit einem schönen, aber doch befremdlichen Hegel-Zitat aus der »Ästhetik«. Dieses Zitat muss deshalb irritieren, weil in ihm geschildert wird, wie Kunstwerke zu »einem tausendäugigen Argus« werden. Argus war ein Riese, der im Auftrag von Hera eine Geliebte des Zeus bewachte, und seinetwegen spricht man von »Argusaugen«, wenn man die große Wachsamkeit eines Menschen ansprechen möchte. Wie kann nun ein Kunstwerk Argusaugen haben? Tatsächlich scheint dieser Ausdruck insofern unglücklich gewählt, als Hegel eigentlich auf den Ausdruckscharakter großer Kunst abzielt, darauf, dass sie es ermöglicht, »die innere Seele und Geistigkeit« eines Individuums zu offenbaren, die in das Kunstwerk eingegangen sind. Deshalb scheint es, als spreche oder schaue uns Kunst an, aber sie wird uns niemals bewachen! Und weil Hegels unglückliche Terminologie nicht seine wirkliche Auffassung widerspiegelt, gibt es nicht den von Han konstruierten Zusammenhang zwischen »Hegels Himmel mit Tausenden Augen« und »Kants bestirntem Nachthimmel«; Han kann diesen Zusammenhang nur vermuten, weil er Hegel nicht sorgfältig gelesen hat.

Sein Essay ist eine trübe Mischung aus Philosophie und Zeitkritik. Ich finde diese Mischung schon bei Adorno höchst fragwürdig, aber bei Han scheint sie mir ärgerlich; im Grunde ist Han ein Adorno für Arme. Das heißt nicht, dass man ihm nicht oft recht geben könnte oder kann oder dass man seine Kritik in Bausch und Bogen ablehnt, aber erstens wird sie niemals erklärt oder exemplifiziert, und außerdem ist sie oft genug völlig überspannt. Das gilt besonders für den exzessiven Gebrauch des Wortes »Pornografie« und seiner Ableitungen. Mein Gott, was ist nicht alles pornografisch für Byung-Chul Han! Geht es nicht auch eine Nummer kleiner?

In seinem selbstgewiss-dozierenden Stil heißt es, dass »die Erfahrung des Schönen heute grundsätzlich narzisstisch ist.« Schon dieses »grundsätzlich« ist ein starkes Stück und würde eine ausführliche Begründung erfordern, die aber dem Leser ganz selbstverständlich verweigert wird. Ein Meister erläutert nicht, sondern lehrt. Die ästhetische Erfahrung, so fährt er also fort, wird »konsumistisch. Gegenüber dem Objekt des Konsums nimmt man eine zentrale Position ein. Diese konsumistische Haltung zerstört die Andersheit des Anderen, zugunsten dessen man zur Seite träte oder abträte. Sie vernichtet die Andersheit des Anderen, die Alterität.« Und schwupps, schon ist man bei der Pornografie. »Die Schönheit wird selbst pornographisch, ja anästhetisch.« Der Zusammenklang von Pornografie und Anästhesie ist mir neu und könnte vielleicht schon deshalb eine Erläuterung vertragen, aber die muss wohl der Leser selbst beibringen, denn Han fährt fort, über unsere reduzierte Auffassung von Schönheit zu schreiben: »Sie büßt jede Transzendenz, jede Signifikanz, ja jede Valenz ein, die sie dazu befähigen würde, über das bloß Ästhetische hinaus ans Ethische, ans Politische anzudocken.« Mag alles sein, aber warum zeigt er nicht an Beispielen alter und neuer Kunst oder Literatur, was er meint?

Im Folgenden schreibt Han über das Pornografische heutiger Theaterpraxis, und wenn man einmal von der heftig überzogenen Terminologie absieht, kann man ihm vielleicht grundsätzlich zustimmen, aber auch hier gilt das, was man schon vorher sagen musste: Es wird an keiner Stelle gezeigt oder begründet (vielleicht aufgrund der luziden Analyse einer Aufführung oder von mir aus auch nur einer einzigen Szene), sondern nur behauptet, und das in diesen kurzen, einander oft wiederholenden Sätzen, welche die Lektüre zunächst so schön leicht machen – und eben damit hat wohl auch der Erfolg dieser Bücher zu tun: alles ist so hübsch einfach –, welche sie aber dem Leser auch bald verleiden. Man kann dieses Buch sehr gut lesen, ohne sich konzentrieren zu müssen, und zum Schluss bleibt, obwohl man manchem zustimmen kann und vielleicht auch einigen sehr schönen Zitaten begegnet, nur Langeweile. Es ödet an, weil man sich nicht anstrengen muss, sondern einfach nur den Zeilen mit den Augen folgt. Der Verstand ist längst schlafen gegangen.

Vielleicht könnte dieser Autor sehr schöne Bücher schreiben, wenn er die gelegentlich interessanten Gedanken und schönen Zitate, die sich in seinen schmalen Bänden versammeln, sorgfältig ausarbeiten würde, wenn er also das, was er dem Publikum als Essay vorgelegt hat, als Grundlage eines richtigen Buches benutzen würde, sozusagen als Sprungbrett. Aber dann könnte man natürlich nicht jedes Jahr den Buchmarkt mit neuen Ergüssen beglücken, sondern müsste sich für eine kleine Ewigkeit – sagen wir: einige Monate – in seine Studierstube zurückziehen.

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