Buchrezensionen, Rezensionen

Carl Einstein: Negerplastik. hrsg. v. Friederike Schmidt-Möbus, Reclam 2012

1915 erschien ein erstes Mal Carl Einsteins berühmte Studie »Negerplastik«, die jetzt neu in Reclams Universal-Bibliothek aufgelegt wurde. Stefan Diebitz hat das Büchlein gelesen und kann es dringend empfehlen.

Carl Einstein (1885–1940) war ein Avantgardist seiner Zeit, berühmt in den Zwanziger Jahren, aber nach dem 2. Weltkrieg nie wieder in seiner wirklichen Bedeutung gewürdigt. Dabei verkündeten immer wieder bekannte Autoren seinen Ruhm und wurde seine Leistung auch von Philosophen und Kunsthistorikern anerkannt. 1912 hatte er den experimentellen Roman »Bebuquin« veröffentlicht und überhaupt damit angefangen, sich als Publizist einen Namen zu machen, aber nichts deutete auf den großen Erfolg, den sein kurzer, inmitten des 1. Weltkrieges veröffentlichter Essay über die »Negerplastik« haben sollte.

Erfolgreich war das Buch sicherlich nicht allein, weil der Autor den Geist der Zeit traf und an Tendenzen der zeitgenössischen Kunst anknüpfen konnte. Vielmehr war es die erstaunliche Qualität seiner Überlegungen, die zahlreiche seiner Zeitgenossen – darunter so berühmte wie Hermann Hesse – überzeugten. Den wenigen Seiten seines überaus konzentrierten, sehr philosophisch argumentierenden Essays waren 119 Fotografien angefügt, über die er selbst fast kein Wort verlauten ließ, die aber jeder Leser selbst nutzen konnte, um die Überlegungen des Autors zu überprüfen.

Einsteins Überlegungen zielen nicht allein auf die afrikanische Kunst, sondern auf die Plastik in einer bestimmten Phase der menschlichen Geschichte. Der »Neger«, wie Einstein ganz unbefangen schreibt, »ist kein nicht entwickelter Mensch«, sondern befindet sich etwa auf der Entwicklungsstufe eines antiken Menschen. Einstein weigert sich aber, die einzelnen Plastiken historisch einzuordnen, weil man nicht ausreichend über die Geschichte Afrikas orientiert sei. Mit einem für die Zeit, mehr noch aber für ihn selbst als Provokateur typischen Satz weist er alle Versuche zurück, mit den Denkkategorien der Ethnografie oder auch anderer Wissenschaften die einzelnen Plastiken in ein Schema einzuordnen, und verweist statt dessen auf die reine Faktizität der einzelnen Stücke: »Ich glaube, sicherer als alle mögliche Kenntnis ethnographischer usw. Art gilt die Tatsache: die afrikanischen Skulpturen!«

An diesen Skulpturen hebt Einstein ihren plastischen Charakter hervor, wogegen er von der europäischen Plastik sagt, sie sei vom Malerischen überdeckt und nur materiell kubisch. Die afrikanische Plastik dagegen ist in seiner Darstellung viel stärker dreidimensional. Dazu kommt ihre religiöse Ausrichtung, denn selbst in dem Porträt eines einfachen Menschen werde das Göttliche verehrt. »Das Werk wird als Typus der adorierten Gewalt aufgerichtet.« Besonders gilt das auch von der Maske, von denen etliche abgebildet sind.

Besonders interessant müssen aus heutiger Sicht seine Überlegungen über das Tätowieren sein. Es bezeichne »eine despotische, bedingungslos herrschende Religion und Menschlichkeit, wenn Mann und Frau den individuellen Leib durch Tätowierung zu einem allgemeinen machen; allerdings auch eine gesteigerte Kraft der Erotik. Welch Bewußtsein heißt es, den eigenen Körper als unvollendetes Werk zu begreifen, den unmittelbar man verändert.«

Die von Friederike Schmidt-Möbus besorgte Edition im Reclam-Verlag ist vorbildlich; für verschwindend wenig Geld erhält man den Text des Essays zusammen mit sämtlichen 119 Abbildungen. Von ihnen sagt Einstein, dass ihre Reihe, die den seelischen Reichtum der afrikanischen Völker demonstriere, sich »vom Tektonischen zu einem ungemein Menschlichen« bewege. Dazu gibt es Anmerkungen zum Text, die nicht allein Erläuterungen von gelegentlich falsch geschriebenen oder auch nur heute seltenen Fremdwörtern bieten, sondern zusätzlich Hinweise auf von Einstein angesprochene Literatur oder Autoren. Endlich findet sich ein kluges Nachwort aus der Feder der Herausgeberin, das den Leser über die Biografie des Autors orientiert und Einsteins Überlegungen in die Zeit einordnet.

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