Rezensionen

Caroline Jäger-Klein/Maximilian Hartmuth: Eine Kreisstadt zwischen den Welten. Orientalisierende Architektur der Habsburgerzeit (1878 – 1918) in Travnik und Mittelbosnien. Leykam Universitätsverlag

In der Landeshauptstadt Sarajevo hinterließ die Architektur der Habsburgerzeit „landmarks“. Aber auch in der Provinz fand dieser orientalisierende („maurische“) Stil Niederschlag. Mehr als andere Orte prägte er die mittelbosnische Stadt Travnik. Welche Rolle Architekten und Ingenieure in Diensten der Landesverwaltung sowie ihnen übergeordnete Entscheidungsträger bei der Verbreitung dieses Stils und der Konsolidierung eines Formenrepertoirs spielten, ist die zentrale Frage der vorliegenden Untersuchung. Eine Rezension von Timo Merten.

Cover @ Leykam Verlag
Cover @ Leykam Verlag

Gemeinsam mit Caroline Jäger-Klein und Maximilian Hartmuth geht es in ihrer 2023 im Leykam Universitätsverlag erschienen Studie „Eine Kreisstadt zwischen den Welten“ nach Mittelbosnien, konkreter: nach Travnik, dem Zentrum der Regionsverwaltung der habsburgischen Machthaber zwischen 1878 und 1918. Wie dabei die Architekt:innen und Ingenieur:innen der österreichisch-ungarischen Monarchie zur Verbreitung des – heute als „orientalisierend“ bezeichneten – Stils bei der Gestaltung des Stadtraums beitrugen, welche Ziele diese Gestaltung hatte und wie Architektur und Städtebau als ein Spiegelbild von Machtansprüchen und Hegemonie wirken können, ist das zentrale Thema der Studie. Seit 2018 läuft das von Maximilian Hartmuth geleitete ERC-Forschungsprojekt unter dem Titel „Islamic Architecture and Orientalizing Style in Habsburg Bosnia, 1878-1918“, dessen Beobachtungen hier insbesondere das heute eher kleinstädtische Travnik in den Blick nimmt.

Links: die spätosmanische Alibegova-Moschee mit einer habsburgerzeitlichen Vorhalle neben Uhrturm und ehemaligem Bezirksamt mit orientalisierendem Fassadenschema. Rechts: Vorhalle der Lukačka-Moschee mit Gusseisensäulen zwischen Gipsabgüssen nach Muster
Links: die spätosmanische Alibegova-Moschee mit einer habsburgerzeitlichen Vorhalle neben Uhrturm und ehemaligem Bezirksamt mit orientalisierendem Fassadenschema. Rechts: Vorhalle der Lukačka-Moschee mit Gusseisensäulen zwischen Gipsabgüssen nach Muster

1878 stellt, wie einleitend deutlich wurde, einen zentralen Wendepunkt in der Geschichte der Region dar. Seit dem 15. Jahrhundert war das heutige Bosnien-Herzegowina durch das osmanische Reich besetzt, bis sich im Laufe des 19. Jahrhunderts deutlicher Unmut gegenüber den Machthabern äußerte und Gegenbewegungen entstanden. Durch die jahrhundertelange Herrschaft der Osmanen war Bosnien mehrheitlich Islamisch geprägt – auch das im Fokus der Studie stehende Travnik gehörte mit rund 51 % Muslim:innen dazu. Der Berliner Kongress, der 1878 zu einer Verteilung der Besitzansprüche im West- und Ostbalkan führte und dabei insbesondere die russischen Ambitionen in der Region zurückdrängte, legitimierte schließlich eine Besetzung Bosniens durch die österreichisch-ungarische Monarchie als ein Gegengewicht zum russisch beeinflussten Ostbalkan. Ganz in der Tradition imperialistischer und kolonialer Bestrebungen setzten die neuen Machthaber in der Region auch auf eine Festigung ihres Machtanspruches gegenüber der Bevölkerung in der Architektur und nutzten parallel dazu natürliche Ressourcen aus. Der Aufbau von Infrastruktur, zum Beispiel in Form von Eisenbahnstrecken, Verwaltungsgebäuden, Schulen und Kirchen war dabei ein Ausdruck von einer Politik der Versöhnung, wie es die Autor:innen der Studie beschreiben. Während erst 1908 eine offizielle Angliederung an das habsburgische Herrschaftsgebiete vorgenommen wurde, prägte die insgesamt rund 50 Jahre dauernde Besetzung des Gebietes die Stadtbilder und das Leben in der Region. 1914 Jahre stellte Sarajevo dann mit dem Attentat auf Franz Ferdinand den Ausgangspunkt für den Ersten Weltkrieg, der 1918 in der Gründung des Königreichs Jugoslawien mündete und die österreichisch-ungarische Vormachtstellung in Bosnien-Herzegowina beendete.

Die von den Behörden bis 1895 wiedererrichtete Medresse mit jüngst rekonstruierten Türmchen, überdecktem Innenhof und rezenteren Nebengebäuden. © Maximilian Hartmuth 2022
Die von den Behörden bis 1895 wiedererrichtete Medresse mit jüngst rekonstruierten Türmchen, überdecktem Innenhof und rezenteren Nebengebäuden. © Maximilian Hartmuth 2022

In ihren Untersuchungen unterteilen Caroline Jäger-Klein und Maximilian Hartmuth die stilgeschichtliche Entwicklung der Region in drei Perioden. Sie nennen zunächst eine „eklektisch-romantisierende Phase“, die bis circa 1891 andauerte und insbesondere Bauwerke für die muslimische Bevölkerung umfasste. Anschließend daran entstehen bis 1903 in erster Linie öffentliche Gebäude, während bis 1914 nicht-religiöse und private Bauten in den Fokus rücken. Travnik selbst ist dabei besonders von einem Großbrand im Jahr 1903 geprägt, die einen weitreichenden Neuaufbau notwendig machte und den Einfluss der habsburgischen Beamt:innen auf die Gestaltung der Stadt noch verstärkte. In ihrer Studie betrachten die Autor:innen Gebäude nicht nur aus architektonischer Sicht. Viel eher spielen auch finanzielle, städtebauliche und soziale Perspektiven in die Entstehungsgeschichte hinein, wie sie in ihrer detaillierten Analyse einzelner Bauwerke aufzeigen. Ihre mikrohistorische Perspektive macht dabei deutlich, wie Bauprozesse abgelaufen sind, welche Veränderungen an Gebäuden vorgenommen wurden und wie diese im Zusammenhang zu Machtverhältnissen verstanden werden können. Zentral ist dabei die Implementierung eines „orientalisierenden“ Stils, bei dem österreichisch-ungarische Verwaltungsbeamt:innen die Stilgeschichte der Region aufgriffen, diese mit dem Habsburger Stil, wie etwa des Wiener Ringstraßenstils, verbanden und somit eine einzigartige Entwicklung und Gestaltung des Stadtbildes entstand.

Links/Mitte: die Varoška-Moschee (1906) vor ihrer rezenten Renovierung. Rechts: die ihr gestalterisch verwandte Synagoge von Zenica (1906). © Maximilian Hartmuth 2013, 2022
Links/Mitte: die Varoška-Moschee (1906) vor ihrer rezenten Renovierung. Rechts: die ihr gestalterisch verwandte Synagoge von Zenica (1906). © Maximilian Hartmuth 2013, 2022

Dabei sind nicht nur die genannten drei zeitlichen Unterteilungen hervorzuheben, die Autor:innen kategorisieren die Gebäude stattdessen auch analog dazu nach ihren räumlichen Entwicklungen. Ihre Studie nimmt so zunächst das ganz im Westen der Stadt gelegene Regierungsviertel in den Blick, darunter etwa ein bereits 1950 abgerissen Wohnhaus des Stadthalters Travniks, welches sie anhand von Bauplänen und anderen Zeichnungen einordnen, oder das ehemalige Bezirksamt. Ihr Blick richtet sich anschließend in den Osten der Stadt, wo sie mit der El
i-Ibrahim-Pascha-Medresa, einer muslimischen Hochschule, eines der prägendsten Gebäude detailliert besprechen. Weitere regionale Unterteilungen, die etwa den Bereich der Hauptstraße, den Festungshügel oder auch die im direkten Umland errichteten Gebäude in den Blick nehmen, stellen die weiteren Kategorisierungen der Arbeit dar. In ihrem typologischen Fazit greifen die Autor:innen schließlich auf eine dritte Unterteilung zurück und besprechen raumübergreifend vier unterschiedliche Bautypen. Verwaltungsbauten, Bildungsbauten, private Wohn- und Geschäftsbauten und Kultbauten bieten eine weitere Form der Kategorisierung, die jeweils unterschiedliche Ausprägungen in ihrer Architektur hervorbringen – und dabei ebenso wie die 1893 fertiggestellte Eisenbahnstrecke unterschiedliche Formen des habsburgischen Einflusses und Machtabsichten darstellen.

Vier "Wiederaufbaumoscheen" (nach 1903), v. l. n. r.: Lončarica, Zulići, Šumeće, Kahvica. Caroline Jäger-Klein 2019, © Maximilian Hartmuth 2013, 2022
Vier "Wiederaufbaumoscheen" (nach 1903), v. l. n. r.: Lončarica, Zulići, Šumeće, Kahvica. Caroline Jäger-Klein 2019, © Maximilian Hartmuth 2013, 2022

Etwas knapp beleuchtet bleiben dabei allerdings die politischen und gesellschaftlichen Bedeutungen der Ergebnisse der Studie. Eine Perspektive, die auch innereuropäische Kolonialisierungsbestrebungen und Besetzungen in den Blick nimmt, wurde hier Anschluss bieten und könnte weiter herausarbeiten, inwieweit die Architekturgeschichte in diesem Sinne als Geschichte von Macht verstanden werden kann und welche aktuellen Anknüpfungen daran existieren. So legen die Autor:innen eine sehr detaillierte und engmaschige Untersuchung Travniks vor, die dessen historischen Kern aufarbeitet und weitreichende Erkenntnisse zur Architektur der Zeit der Habsburger Monarchie in Mittelbosnien liefert, die genannten weiterführenden Aspekte allerdings nur streift. Der methodische Doppelcharakter von Baugeschichte und Baukunstgeschichte, wie es die Autor:innen nennen, charakterisiert dabei die Studie und ermöglicht genaue Blicke auf die Analyseobjekte und deren Zusammenhang zur Stadtstruktur.

Titel: Eine Kreisstadt zwischen den Welten. Orientalisierende Architektur der Habsburgerzeit (1878 – 1918) in Travnik und Mittelbosnien
Autor:innen: Caroline Jäger-Klein, Maximilian Hartmuth
Leykam Universitätsverlag

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