Ausstellungsbesprechungen

Castell Art Weekend 2014

Einmal im Jahr gibt es für Gäste Kunst hautnah, dann lädt das Schweizer Hotel Castell nämlich zum Art Weekend. Letzte Woche war es wieder soweit. Unter dem Titel »Kunst, Spiel und Architektur« konnte man Neues über Kunst und Architektur erfahren, Künstler persönlich treffen und sich inspirieren lassen. Sabrina Möller berichtet.

Es gibt ihn, diesen Ort, an dem ein bronzenes Pferd Gummistiefel trägt, eine Kinderlederhose mit einem Taubenschwarm fliegt, wo eine überdimensionale knallrote Trillerpfeife zum Schlitten wird. Es ist eine fabelhafte Welt, ein Traumszenario, die Pforte zu einem Ort, der von und mit der Kunst lebt. Die Werke von Carsten Höller eröffnen die beachtliche Sammlung des Künstlers und Mäzens Ruedi Bechtler im Hotel Castell im beschaulichen Zuoz. Hier, mitten in der bergigen Idylle des Engadins, wo man den Bächen noch lauschen kann und die Glocken der Kühe zur Hintergrundmusik des Alltags werden, vereinen sich nicht nur Werke von Größen wie Martin Kippenberger und James Turrell, sondern es ist ein Ort, an dem Künstler, Sammler und Kunstliebhaber zueinander finden. Ein Ort, an dem die Kunst nicht als schmückendes Beiwerk eines Hotels verstanden wird, sondern an dem Ruedi Bechtler ein Gesamtkunstwerk erschaffen hat: Vom Zimmerschlüssel bis hin zum Hamam.

Es mag also kaum verwundern, dass, wenn Ruedi Bechtler jährlich zum Castell Art Weekend lädt, ihm die Künstler gerne nach Zuoz folgen. Waren es in den vergangenen Jahren Künstler wie Erwin Wurm oder Pipilotti Rist, so sorgten in diesem Jahr die Malerin Katharina Grosse und der Architekt Takaharu Tezuka aus Tokyo für Hochgefühle. Gemeinsam mit dem Kurator Daniel Baumann konzipierte Bechtler das Wochenende vom 27. bis 29. Juni 2014 mit der Überschrift »Kunst – Spiel – Architektur«.

Baumann, der 2013 als Mitkurator der Carnegie International fungierte, rekonstruierte als Einführung in das Castell Art Weekend seine Erfahrungen, die wesentlich von der Problematik des Standortes Pittsburgh beeinflusst wurden. So wagte es der Kolumbianer Gabriel Sierra, die beeindruckende »Hall of Architecture« im Carnegie Museum erstmalig als Ausstellungsraum zu nutzen. Kurzerhand strich er einfach alle Wände violett. Ein Eingriff in den Raum, der eine Demaskierung der in ihm präsentierten Architekturelemente vollzieht und sie als bloße Abgüsse entlarvt. Ein Eingriff, der jedoch nur für den lokalen Besucher sichtbar ist: »Das Problem des Lokalen ist, dass man es international nicht vermarkten kann«, so Baumann.

Inwieweit das Wechselspiel mit Farben die Wahrnehmung des Betrachters beeinflussen kann, demonstriert auch die Arbeit »Skyspace Piz Uter«, die eigens für das Art Weekend von James Turrell erbaut wurde. Die zylinderförmige Architektur aus Stein offeriert im Inneren eine kreisförmig angelegte Sitzbank, die den Blick durch die runde Öffnung in der Decke und damit auf den Himmel freilegt. Bei Dämmerung beginnt das Lichtspiel von Turrell. Die langsam ineinander übergehenden Farbwechsel transformieren die Sichtbarkeit des Himmels: Sah man soeben noch die Wolken vorüberziehen, zeigt sich kurz darauf ein großes dunkles Loch, das den Eintritt der tiefschwarzen Nacht suggeriert, um im nächsten Moment den Himmel wieder sichtbar zu machen.

Die Einbettung des Carnegie Museum of Art in seine Umgebung und seine fehlende Identifikation als Museum durch die vorbeiziehenden Passanten, gab Baumann den Anstoß einen Kontrapunkt zu der klassisch anmutenden Positionierung der Serra-Skulptur vor dem Museumseingang zu setzen: »Können wir da nicht einen Spielplatz hinbauen?«

Die Spielskulptur wurde zu einem Medium erhoben, das die starren Grenzen zwischen den Künsten zu überwinden vermag, erläuterte die Urbanistin Gabriela Burkhalter. In ihrem Vortrag über die Spielskulptur nach 1945 vollzog sie nicht nur eine historische Einbettung sondern präsentierte die Fülle an Formen, die bis Ende der 70er Jahre als eine Kampfansage an die Starrheit der Institutionen entwickelt wurden. Kunst, die dazu da ist, um benutzt zu werden und damit den elitären Ruf der Kunst negieren kann. Unter diesem Aspekt entwickelte Burkhalter gemeinsam mit Martin Senn den Spielplatz. Baumann sieht in der Spielplastik auch die Möglichkeit, den Kindern eine eigene Welt, abseits der beschützenden Eltern, zu schaffen. Und so kam der Schweizer »Lozziwurm« nach Pittsburgh.

Die Vergegenwärtigung der sogenannten helicopter parents oder auch der paranoid parents beeinflusst auch die Architekturen von Takaharu Tezuka aus Tokyo. Während des Castell Art Weekends präsentierte er seine Kindergärten in Fuji und Asahi, die auf eine bemerkenswerte Art und Weise aus den Bedürfnissen von Kindern heraus entwickelt wurden. Unter Berücksichtigung der Umgebung und Natur schafft Tezuka Orte, an denen jeder noch einmal gerne Kind sein möchte. Bestehende Baumbestände werden in seine Gebäude integriert und als Kletterobjekte genutzt; es werden Bereiche geschaffen, die aufgrund ihrer Höhe nur Kindern zugänglich sind. Formal sind seine Kindergärten kreisförmig angelegt, damit die Kinder ausgelassen rennen können. Die Architektur als intelligenter Spielplatz – innen und außen – der das Austesten und Überschreiten von Grenzen ermöglicht und die Interaktion fördert.

Philadelphia – ein trister Ort in den USA – wurde zu Beginn des Sommers zur Leinwand von Katharina Grosse. Die Berliner Künstlerin, die durch ihre farblichen Überlagerungen im nicht-sprachlichen Bereich bekannt ist, hat die Umgebung entlang des Bahnnetzes in Philadelphia in einem überdimensionalen Ausmaß »bemalt«. Es sind flüchtige Momente, Kontrapunkte zu der grau anmutenden Stadt, die täglich bis zu 34.000 Fahrgäste erfreuen/irritieren. In einem Vortrag sprach Grosse über die Entwicklung ihrer Malerei: Vom eigenen, übermalten Schlafzimmer, über Museumsräume bis hin zur Kunst im öffentlichen Raum. Ihre imposanten Farb-Vorstöße variieren mit der Struktur des Grundes: »Je strukturierter der Gastgeber der Arbeit (Grund) ist, desto weniger muss ich tun«, sagt sie. Zeit und Raum sind dabei eng miteinander verflochten, die Arbeiten sind großenteils nur temporär. In Philadelphia ist es die Natur selbst, die die pinke Farbe von den besprayten Seitenstreifen wieder abträgt.

Die gemütliche, kleine Stadt im Engadin ist zu einem Kunstmekka geworden. Sie vereint heute nicht nur eine beachtliche Sammlung im öffentlichen Raum – wie den transportablen U-Bahn Eingang von Martin Kippenberger – sondern auch etablierte Galerien. Erst kürzlich hat die Pace Gallery hier ihre Zelte aufgeschlagen und konkurriert nun mit dem Galerien Tschudi und Monica Da Cardenas. Die Verflechtung von Tradition und Kunst, ihre Einbettung in diesen pittoresken Ort, reflektieren auch die Architekturen der hier ansässigen Galerien. Platziert in historischen Engadinerhäusern, wurden alle drei Galerien von dem Architekten Hans-Jörg Ruch umgebaut. Bei seiner Führung durch die Galerien zeigen sich unterschiedliche Lösungen, die jedoch alle neben der Integration moderner Architekturelemente den Erhalt des Altbestandes fokussieren. Die Handschrift des Architekten findet sich in den wiederholenden Details. Ein gelungener Dialog zwischen Tradition und Moderne.


Die behutsame Integration der modernen Architektur in den traditionellen Bestand ist paradigmatisch für den Umgang mit der zeitgenössischen Kunst in Zuoz und ihrer Einbettung in dieses Naturjuwel. Hinter dem eigentlichen Veranstaltungsort befindet sich das Felsenbad des japanischen Künstlers Tadashi Kawamata, das nicht nur durch seine Funktionalität besticht, sondern mit dem Bezug – als Standort des ursprünglich ersten beheizbaren Freibads in Graubünden – spielt. Ein Werk, das sich in seiner Rohheit der Benützung unterordnet und zeitgleich eben dadurch die Umgebung inszeniert. Das Herzstück des Art Weekends, so Bechtler, ist jedoch das Hamam, das von keinem Geringeren als dem Stararchitekten Ben van Berkel erbaut wurde.

Und so steht das Castell Art Weekend mit seinem abwechslungsreichen Programm nicht nur für herausragende Künstler und interessante Dialoge in ungezwungener Atmosphäre, sondern auch für die richtige Mischung zwischen Natur, Kulinarik und Kunst. Entspannter kann man Kunst kaum erfahren/ genießen.

Weitere Informationen

Der Beitrag wurde zuerst im Onlinemagazin Art and Signature veröffentlicht.

Diese Seite teilen

Besuchen Sie uns