Buchrezensionen

Cecilie Hollberg, Städtisches Museum Braunschweig (Hrsg.): Tourist in Japan um 1900, Sandstein Verlag 2014

Im letzten Jahr widmete das Städtische Museum Braunschweig dem Weltreisenden und Sammler Carl Julius Berthold Götting eine Ausstellung. Sie präsentierte Souvenirs, die er von seiner Japanreise mitgebracht hatte. Das waren einige und ihre Bandbreite reichte von der nachkolorierten Fotografie bis zur Samurai-Rüstung. Raiko Oldenettel hat sich den Katalog dazu angeschaut.

Dass die Mühlen der japanischen Bürokratie seit jeher langsam mahlen ist kein Geheimnis, und gerade auch Deutschen nicht fremd. Als jedoch Carl Julius Götting, der sich selbst Carlos nannte, 1876/77 einen unerwartet langen Aufenthalt in der Fremde erdulden musste tat er das, was wohl viele getan hätten: Er ging einkaufen.

Man könnte ihm jetzt vorwerfen, dass zwei Wochen Japanaufenthalt nicht seinem eigentlichen Reiseplan entsprachen und sein Interesse daher nicht ausgeprägt gewesen sein mochte. Doch am Ende ist für die Ausstellung im Städtischen Museum Braunschweig und für den Katalog nur eines wichtig: Die reichhaltige Ausbeute seiner Sammelleidenschaft. Götting kauft und kauft, was er in den Antiquitätengeschäften und den bekannteren Ateliers der Touristenfotografen zwischen die Finger bekommt. Sein weit durch Raum und Zeit gereistes Erbe vermacht er nach dem Tode samt Anzahlung für einen Museumsbau der Stadt Braunschweig und diese wirkt daraus für das Jahr 2014 eine Ausstellung im Sinne des touristischen Blicks um 1900. Ein Katalog mit einer großen Aufgabe also, denn nicht nur soll die Ausstellung uns einen Einblick in eine längst vergangene Art der Betrachtung eines fremden Volkes ermöglichen, er soll uns auch ein Gefühl für die schwierige Eigen- und Fremdrepräsentation Japans vermitteln.

Wir starten bei den Fotografien - ein logischer visueller Einstieg in das Thema. Es wird auf zwei Seiten erklärt, dass die Bilder in ihrer Nachbehandlung, nämlich der Handkolorierung, ein wesentliches Merkmal für die Fotografien darstellen, die von Reisenden als Souvenirs aus Japan mitgenommen wurden. Möglicherweise, aber dies verrät der Band uns nicht, eine Konsequenz aus den Werkstätten des Ukiyo-e, bei denen es ebenfalls Werke gab, die nicht nur per Platten, sondern auch per Hand nachkoloriert worden sind. Die gelungenen Abbildungen der inszenierten Fotografien sind ein klares Plus. Sie wurden in ihrer Farbigkeit so nahe wie möglich am Objekt gehalten und nicht für die bessere Sichtbarkeit auf dem Papier verfälscht. Die flimmernden Farben, die Frauen in Kimonos und Männer mit Tätowierungen vor den grau-fahlen Hintergründen herausarbeiten, mochten zu ihrer Zeit noch prächtiger, aber nicht weniger faszinierend gewesen sein. Hier hätte man sich allerdings gewünscht, dass die Texte mehr Bezug auf die geschichtlichen Hintergründe liefern, oder auf die Situation der Menschen, die zum Motiv gemacht worden waren, denn genau das scheint im Vorwort das Versprechen zu sein: Eine spannende Zeit, eine einzigartige Zeit. Voller Umbrüche und Kontraste.

Die Spurensuche nach Göttings Meinung, einem zerbrechenden alten Japan und einem aufsteigenden Reich voller Möglichkeiten verläuft sich bald im Sande. Und der rote Faden auch. Gezeigt wird das, was im Archiv steht. Puppen, Kimonos und Kinderspielzeuge. Alles sauber mit Titel, Datum und Archivnummer versehen, aber teils ohne erklärende Texte, ohne Bezug zum großen Ganzen. War er dann doch so einfach, der Herr Götting? War das seine Vorstellung von Japan, dem er sich auf zwei vorherigen Weltausstellungen schon mit dem Kauf von Puppen gewidmet hatte? Ich begann spätestens auf den letzten Seiten zu zweifeln. Denn dort stellt man die Schwerter vor und beschreibt, was zu sehen ist. Oder wäre. Dafür sind die Abbildungen einfach zu klein. Die wichtigste Waffe des Landes, das Schwerterpaar bestehend aus Katana und Wakizashi, das Symbol der Samurai und somit auch, denn es landete ja in Göttings Reisebeutel, der Ausverkauf einer würdevollen Kriegerdynastie, es franst den Katalog nach hinten endgültig aus. Hier hätte man Details von Schwertscheiden und der Tsuba (Parierstangen) haben können, ein Augenmerk auf die Abnutzung und den Gebrauch legen können. Diese verpasste Gelegenheit ist schade für jeden, der sich hier genauer mit der Herkunft der Gegenstände und Göttings Reise beschäftigen will. Mit dem Katalog hört es allerdings nicht auf und so ist eine Karte beigefügt. Eine wunderbare Idee, meiner Meinung nach, die einem den touristischen Blick des Reisenden näherbringen könnte. Carlos Götting zieht auf einer Karte seine Route nach, trägt Namen in deutscher Sprechweise ein, vermerkt große Berge und Vulkane. Doch wie funktioniert die Karte für den Besitzer des Buches, der keine Begriffe für das Land und diese sehr spezielle Zeit hat? Eigentlich gar nicht. Denn wir hören von Götting nicht ein einziges Mal selbst zu Wort kommen. Gibt es von einem solchen Weltenbummler keine schriftlichen Aufzeichnungen? Und wenn dies der seltene aber mögliche Fall ist, wieso weist man darauf nicht hin und gönnt sich noch ein wenig erklärende Substanz? Ist die Karte am Ende selbst eine Art Mitbringsel von einer Reise, die wir nicht ganz verstanden haben?

Ich habe den Katalog im Grunde gerne durchgeblättert, aber ich habe mich auch daran gestört, dass er Einsteiger in das Thema allein lassen könnte. Und allein, mitten im Regen, nur mit einem Bambusschirm bewaffnet und ausländischem Geld in der Tasche, reist es sich sehr bescheiden auf der großen Tôkaidô, der Straße zwischen Tôkyô und Kyôto. Jener Straße, auf der Götting seine Artefakte gesammelt und uns überlassen hat. Ich empfehle den Band lediglich für Interessenten der Fotografien, die einen beträchtlichen Anteil des Katalogs ausmachen. Einsteigern, wäre dies noch möglich, hätte ich die Ausstellung mit einer Führung empfohlen, um mehr Hintergrundwissen zu den jeweiligen Blickwinkeln der Touristen sammeln zu können.

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