Buchrezensionen, Rezensionen

Cees Nooteboom: Das Rätsel des Lichts. Kunststücke, Schirmer/Mosel Verlag 2009

Im Werk des großen europäischen Gegenwartschriftstellers Cees Nooteboom gibt es (falls man das überhaupt in diesem Zusammenhang so sagen kann) zwei charakteristische Konstanten: Nooteboom ist von Jugend an ein Wanderer, ein geradezu manisch Reisender — und Nooteboom ist ein äußerst genauer Beobachter, ein Goethescher „Augenmensch“. Im Schnittpunkt dieser beiden Neigungen liegt die Liebe zur Malerei. Walter Kayser hat sich mit seinen Gedanken auseinandergesetzt.

In etlichen Büchern hat Cees Nooteboom beschrieben, wie es ihn, kaum dass er als Gymnasiast den anregenden, aber dennoch etwas engen Klostermauern entwachsen war, immer wieder in die Welt hinaus zog. Der Horizont seiner Heimat, der Niederlande, endete schon bald hinter Breda oder Venlo. Als aufgeschlossener Jugendlicher genügte da der erhobene Daumen, um Paris, London und die weite Welt kennen zu lernen.

Insofern verwundert es nicht, dass die Reiseschriftstellerei so etwas wie eine Konstante im Werk des Niederländers geworden ist. Natürlich verstand sich Nooteboom selbst in erster Linie stets als Poet, aber mit journalistischen Arbeiten war wohl eher Brot zu verdienen und erst spät gelang ihm mit seinen Romanen und Gedichten der Durchbruch.

Der vorliegende Band versammelt nun eine Reihe von 40 Aufsätzen, Zeitungsartikeln und Betrachtungen aus mehr als 30 Jahren, die fast ausnahmslos zuvor andernorts erschienen sind und hier unter dem Titel »Kunststücke« zusammengefasst wurden. Es sind Auftrags- und Gelegenheitstexte. Ihre Signatur ist eine selbstbewusste und selbstverständliche Subjektivität, ein Kontrapunkt zum akademisch-wissenschaftlichen Objektivitätsbemühen. Diese Texte, stilistisch Essays reinsten Wassers, sind vermutlich auch deshalb nach dem Schlusssatz mit einer Datumszahl versehen worden, weil ihre jeweilige biografisch-historische Verankerung nicht unwichtig ist: Genau so erschien dieses Bild diesem Betrachter damals. Es ergab sich eine einmalige Konstellation. Ein Mensch in einer bestimmten Lebensphase mit bestimmten Erfahrungen, persönlichen Fragen, der als Reisender Gast war wie du und ich. Häufig ist die Begegnung mit den Kunstwerken ein Wiedersehen, die Konfrontation mit Erinnerungen. Ein solches Spiel der biografischen Korrespondenzen entfaltet sich etwas in dem längeren Eingangskapitel zwischen dem Autor, Jan Vermeer und Edward Hopper; das Mauritshuis in Nootebooms Heimatstadt Den Haag tritt mit der Frick Collection in New York in Beziehung und das bei beiden Malern »mit Seele imprägnierte Licht« wird in einem fernen Spiegel eingefangen, in dem sich der Schriftsteller selbst erkennt.

Der Stil, in dem Nooteboom sich Kunstwerken nähert, vereinigt also alles, woran ein intelligenter Leser Gefallen finden kann: Der unmittelbare Zugang des Reisenden in der Fremde ist ein Identifikationsangebot an unser aller Alltagsempfinden. Da schildert Nooteboom etwa, wie er, angeregt durch eine verlegte Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung, sich im Trentino nach der Kirche San Vigilio durchfragen muss, um einen einzigartigen Totentanz auf der Außenwand der Bergkirche zu entdecken. Wenn wir dann auch noch über die Qualität des Hotelzimmers und dessen Weinkarte unterrichtet werden, so ist das vielleicht überflüssig, aber es garnt uns doch mit allzu vertrauten Erlebniszusammenhängen geschickt ein. Gleichwohl entpuppt sich Nooteboom als reflektierter poeta doctus. Er entnimmt freilich aus der wissenschaftlichen Forschung gerade so viel an Informationen, wie er eben braucht, um leicht, unsystematisch, anregend und von Mal zu Mal wieder neu ein Gemälde zu betrachten.

Die Auswahl der Kunstwerke, mit denen sich der Autor auseinander setzt, ist keineswegs ungewöhnlich. Im Gegenteil, es handelt sich durchweg um repräsentative Schlüsselwerke, die von einer entwickelten Geschmacksbildung zeugen. Neben der großen niederländischen Kunst des 15. und 17. Jahrhunderts eines Jan van Eycks, Joachim Patinirs, Pieter Brueghels, Rembrandts und Vermeers beispielsweise sind es ausnahmslos klangvolle Namen wie Piero della Francesca, Ghirlandaio, Leonardo oder Giambattista Tiepolo. Daneben gibt es aber auch Repräsentanten der Moderne: Picasso, Paula Modersohn-Becker, Anselm Kiefer, Frieda Kahlo, Neo Rauch u.a.m.

Auf etliche Bilder antwortet Cees Nooteboom auch in Gedichtform. Lyrik ist für ihn keineswegs etwas Mystisches. Der Dichter versteht sich als vates, als ein „Seher“ - nicht im Sinne eines mit göttlicher Inspiration Begnadeten, sondern im ursprünglichsten und durchaus sehr profanen Sinn: Er ist jemand, der genau hinschauen muss, bis er zu einer gültigen Formulierung kommt.
Dabei beginnen auch die poetischen Texte fast immer mit einer vergewissernden Beschreibung: Protokolle eines Beobachtungsvorgangs, Substantivfügungen im Stakkato. In diesem ersten Akt wird das Bild sozusagen seiner Historizität entkleidet und ein Kern frei geschält, der überzeitlich ist und in die Gegenwart hinein zu sprechen beginnt. Nooteboom lässt uns dann mitverfolgen, wie sich hinter dem Bildlichen mit einem Mal das Sinnbildliche und Exemplarische auftut. In die Notate mit exakten Beobachtungen, in den Prozess des Durchbuchstabierens eines Eindrucks, Vergewisserns und Sondierens sind plötzlich gewagte Metaphern wie Falltüren eingefügt. Sie markieren die für jede Lyrik so typische Wendung nach innen und machen aus der Betrachtung ein tiefes Nachsinnen, eine Form von Selbstbefragung und Selbstverständigung, ein Abenteuer, mit dem der Autor einer Herausforderung an der Grenze des Verständigungshorizonts antwortet.
Im letzten Vers (und auch in vielen Essays) steht dann ein Schlusssatz mit rätselhaftem Verweischarakter: eine Erkenntnis, die wie das gebündelte Licht eines Brennglases zündet.

Die Prosatexte nähern sich ihren Gegenständen auf ähnliche Weise wie die Gedichte. Sie sind poetische Essays, also im etymologischen und besten Sinn jeweils ein exagium, „ein Versuch, eine Erprobung“. Schon in den Sprachbildern, welche als Titel dienen, kommt die Imaginationskraft zum Ausdruck: »Eine Raumfahrt in Deutschland« (- bezogen auf Tiepolos gigantisches Fresko im Treppenhaus der Würzburger Residenz); »Leere Bespiegelungen« (Ghirlandaio); »Ein Raunen von Gold und Braun und Bleigrau« (Zurbarán); »Das Reh und der Froschkönig« (Frida Kahlo).

Das, was diese Texte so eingängig (und insofern auch nach ihnen süchtig) macht, ist ihre Freiheit und Intellektualität. Man spürt, da weiß jemand, wovon er spricht. Er hat sich ganz eingelassen und durchaus auch eingelesen. Seine Kennerschaft und Tiefe versteckt er, getreu der Devise Hofmannsthals, an der Oberfläche. Nicht selten auch mit jenem kokettem Understatement, welches einen Gentleman auszeichnet. Zuweilen grenzt das durchaus an Snobismus, etwa wenn Nooteboom im Jahr 1988 darüber nachsinnt, wie sich die Bilder seines geliebten spanischen Malers Zurbarán, die er längst bestens aus Sevilla, Stockholm und anderen Städten kannte, innerhalb eines Kalenderjahres unterschiedlich in einer New Yorker und Pariser Ausstellung ausnahmen. — Kunstwerke sind für Nooteboom eben unverzichtbare Orientierungshilfen im Labyrinth des Lebens.

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