Ausstellungsbesprechungen

Che fare? Arte povera. Die historischen Jahre, Lentos Kunstmuseum, Linz, bis 29. Mai 2011

Was tun? fragt eine große Ausstellung, welche die Arte povera mit ihren wichtigsten Vertretern vorstellt. Günter Baumann hat sich um eine Antwort bemüht.

Beinahe mannshoch ragt in der Arte povera-Schau eine Spinne empor, dass man sich einigermaßen bequem darunter legen könnte. Die Skrupel beim Gedanken daran sprechen für den natürlichen Reflex angesichts eines übergroßen haarigen Gliederfüßers. Da hilft auch nicht, dass es ein blaues Plüschtier ist, das im Titel keinen Zweifel lässt, dass es sich auch nicht um eine Schwarze, sondern eine »Blaue Witwe« handelt. Auch die sechs statt acht Beine wirken nicht wirklich beruhigend, nicht einmal, dass die Spinne in ihrer Abstraktion eigentlich gar nichts Spinnenhaft-Bedrohliches mehr hat. Pino Pascali, von dem die Plastik stammt, spielt bewusst mit den Urängsten des Menschen und zeigt, mit welch knappen Assoziationen man in Hab-Acht-Stellung zu bringen ist. Schwenkt der Betrachter dann aber von dem Kunstpelzvieh zu der mit fast drei Metern Länge auch respektablen Borstenraupe aus handelsüblichen Bürsten, entkrampft er sich doch gern durch den unverkennbar ironischen Blick Pascalis.

Die in Wirklichkeit zwar kleinen, aber kaum putzigen Tiere gehören zu einer Kunstbewegung, die als bedeutendster Beitrag der italienischen Kunst in die Geschichte einging: Die Arte povera, die mit sparsamsten Mitteln und zumeist mit unkonventionellen Materialien auf die gesellschaftlichen Spannungen der 1970er Jahre reagierte. Che fare? Was tun?, fragt die Linzer Ausstellung, die im vergangenen Jahr im Kunstmuseum Liechtenstein konzipiert wurde und erstmals in diesem großen Umfang – es sind über hundert Arbeiten zu sehen – die mittlerweile klassisch gewordenen Jahre zwischen 1967 und 1972 beleuchtet. Fünf Jahre lang krempelten die Künstler die Wahrnehmung um: Die Kunst an der materiellen Armutsgrenze war sinnlich, poetisch, frech, und es gab nichts, was nicht würdig gewesen wäre, zur Kunst erhoben zu werden. Ob textile oder natürliche Stoffe, ob die Elemente Feuer, Wasser oder Luft, ob Neon oder aber auch traditionelle Materialien wie Stein und Holz in ungewohnten Kontexten – die Künstler hinterließen so viele Eindrücke, dass ihre Spuren bis heute unübersehbar sind, wo Minimalismus und konzeptionelle Kunst sich treffen, und wo ökologische Fragen auch Themen wie Erdanziehung, Magnetismus oder natürlichen Verfall berühren.

Was tun? Die Biafra-Tragödie, der Sechs-Tage-Krieg, Vietnam und der Prager Frühling heizten die 1960er Jahre auf, Che Guevara und Rudi Dutschke lösten bei der jüngeren Generation weitaus bürgerlichere Vorbilder ab. In Italien blieb es vergleichsweise friedlich, wenn es um die reine Nachrichtenlage geht. Allerdings sprangen dort die studentischen Unruhen massiver auf die Gesellschaft über, was im Mutterland der katholischen Werteordnung nicht ohne Folgen bleiben konnte. Mehr als anderswo gingen Arbeiter und Intellektuelle Hand in Hand über die Straße, deren Verlauf in die Theater und Museen bzw. Galerien führte. Ob die Künstler mit ihrem Anliegen, die Kluft zwischen Werk und Betrachter aufzuheben, schließlich Erfolg hatten, mag man bezweifeln. Dass beide sich näherrückten, zeigt nicht zuletzt die historisch angelegte Linzer Sicht auf die Bewegung südlich der Alpen. Etliche Namen der Ausstellung stehen noch heute auf den Hitlisten der hoch gehandelten Künstler: Luciano Fabro mit seinen originellen Materialkombinationen; Mario Merz, der nicht nur die Frage »Che fare?« auf-, sondern auch Licht in die Kunst brachte; Giulio Paolini, der die Antike in Gips zitiert, während Michelangelo Pistoletto sie in Lumpen hüllt; mit Giuseppe Penone kommt eine existenzialistische Note in die Bewegung, während Pascali surrealistische Töne anschlägt; am bekanntesten ist heute vielleicht Jannis Kounellis, dessen Installationen nach wie vor zu den Vorzeigestücken der Museen gehören.

Doch auch die anderen Künstler sind nicht vergessen: Giovanni Anselmo, Alighiero Boetti, Pier Paolo Calzolari, Piero Gilardi, Emilio Prini, Salvo oder Gilberto Zorio haben die Bewegung, die nie zur Schule reifte und so viele Einzelgänger wie »Mitglieder« hervorbrachte, die nach 1972 ihre jeweils eigenen Wege gingen. Boettis »Karten«-Teppich von 1978 etwa knüpft an frühere Stickereiarbeiten des Künstlers an, geht aber in der Farbigkeit und der Zeichenhaftigkeit einen radikalen Schritt weiter. Die hier dargestellte Weltkarte kann soweit deuten, dass mit der Endphase der Arte-povera-Bewegung ihre internationale Wirkung beginnt.

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