Rezensionen, Buchrezensionen

Christian Demand: Wie kommt die Ordnung in die Kunst?, zu Klampen Verlag 2010

Mit der Frage nach den Auswahl- und Ordnungskriterien einer Geschichte der Kunst beschäftigt sich Christian Demands neues Buch »Wie kommt Ordnung in die Kunst?«. Wie bestimmt sich der Rang einer Kunstwerks? Was lässt den einen Künstler als Genie erscheinen, den anderen als zweit- oder drittrangigen Künstler, dessen Werk man unterschlagen darf? Demand kommt am Ende seiner Überlegungen zu einem überraschenden und vielleicht provozierenden Ergebnis. Stefan Diebitz hat das anregende Buch gelesen.

Demand © Cover zu Klampen-Verlag
Demand © Cover zu Klampen-Verlag

Auf dem Umschlag sieht man Reihen von Schmetterlingen – eigentlich ein ziemlich seltsames Motiv für ein Buch, das sich kritisch mit einigen Grundbegriffen der Kunstgeschichte beschäftigt. Aber die Erklärung ergibt sich ziemlich schnell. Christian von Mechel hatte 1783 den Auftrag erhalten, die gewaltige Kunstsammlung der Habsburger zu ordnen und im Belvedere zu präsentieren. Mechels Erläuterungen gelten als eine der ersten Überlegungen überhaupt zu einer modernen Ausstellungs- und Museumspraxis. Was waren nun die Kriterien, nach denen die Bilder geordnet und vorgestellt wurden? Schon in den zeitgenössischen Besprechungen wurde wiederholt der Vergleich mit Naturalienkabinetten gezogen. Hier kommen nun die Schmetterlinge ins Spiel, denn dieser Vergleich ist nur möglich, wenn der Kunsthistoriker auf Wertungen verzichtet und die Kunstwerke wie die Stationen einer Naturgeschichte präsentiert. „Weshalb sollte“, fragt Demand, „ein Kenner der Kunst nicht ebenfalls über Beschaffenheit und Entwicklung seines Gegenstandes berichten können, ohne dabei in irgendeiner Form auf Werturteile zurückgreifen zu müssen?“

Demands Hauptexempel ist die eminent erfolgreiche Weltgeschichte der Kunst von Ernst H. Gombrich, »Die Geschichte der Kunst« (»The Story of Art«), die diesen Anspruch wirklich erhebt. „Art with a capital A does not exist”, schreibt Gombrich in seinem Buch, leugnet also entschieden, daß es „die“ Kunst gibt, und nimmt damit für sich in Anspruch, ohne ein philosophisch, weltanschaulich oder gar metaphysisch motiviertes Konzept über Kunst zu schreiben. Als Anhänger und persönlicher Freund Karl Poppers möchte er vielmehr alle philosphische Spekulation à la Hegel verabschiedet sehen. Seine Kunstgeschichte stellt sich deshalb als eine Abfolge einzelner Kunstwerke dar, deren jedes ein Recht auf ein eigenes Urteil besitzt. Mit diesem Buch und zahlreichen anderen Arbeiten Gombrichs beschäftigt sich Demand exzessiv und weist ihm jede Menge Widersprüche, Paradoxien und Inkonsequenzen nach.

Nun könnte uns Gombrich ziemlich egal sein, aber wichtig ist, dass sich die kritischen Fragen nach den Gliederungsprinzipien einer Kunstgeschichte ja auch an jeden Museumsdirektor, jeden Ausstellungskurator und jeden Autor einer Kunstgeschichte stellen lassen. Demand führt das am Beispiel von Giorgio Vasari vor, den er zwar weniger ausführlich, aber doch parallel zu Gombrich behandelt. Zunächst zeigt er, dass sich für Gombrich die Qualität eines Kunstwerks aus dem „Verhältnis zwischen künstlerischen Zwecken und gestalterischen Mitteln“ bestimmt, und weist nach, dass Gombrich sich keineswegs an seine eigenen Vorhaben hält, sondern dass er sehr wohl Art mit großem A schreibt, dass er also weiß oder zu wissen glaubt, was „die“ Kunst ist. Denn nach welchen Kriterien wählt er die Künstler aus, die in seiner Geschichte die ersten Plätze einnehmen? Nach Ansicht von Demand hängt das davon ab, inwieweit ein Künstler „zur Komplexitätsmaximierung seiner jeweiligen Disziplin beigetragen hat.“ Das jedenfalls ist die These Gombrichs, dem sein Kritiker nachweist, dass er sich in Wahrheit auf einen Konsens stützt: die bedeutendsten Künstler sind für Gombrich diejenigen, deren Werk sich im Bewusstsein der Menschen ohnehin schon durchgesetzt hat und mithin unseren Begriff der Kunst bestimmt. Im Grunde handelt es sich also um einen Zirkel: diejenigen, die als die wichtigsten gelten, werden noch einmal auf den ersten Platz gestellt.

Gombrich stellt die Geschichte der Kunst keineswegs so wertfrei und offen dar, wie er es für sich selbst in Anspruch nimmt . Entgegen seinen eigenen Voraussetzungen wertet und bewertet er, ist also nicht allein neutraler Berichterstatter, sondern auch Kunstrichter. Eine Probe aufs Exempel ist Joseph Beuys. Beuys, für viele der größte Künstler der Moderne, für andere aber nur eine Art Clown, kommt in Ernst H. Gombrichs »The Story of Art« nämlich praktisch nicht vor, wohl nicht zuletzt deshalb, weil er als entschiedener Traditionsverweigerer einen Historiker wie Gombrich vor den Kopf stoßen muss. „Was sich der kanonischen Spielidee derart radikal widersetzt,“ kommentiert Demand, „unterschreitet nicht nur das in der Tradition angereicherte Niveau, es bedroht Tradition als solche und markiert den Beginn der Barbarei, also einen Zustand unwürdiger kultureller Zielsetzungen, deren Entwicklung in einer Geschichte darzustellen nicht der Mühe wert ist.“

Beuys ist in diesem Buch ein Exempel für die Moderne überhaupt, für die Demand einen „Verbindlichkeitsverlust tradierter künstlerischer Leitvorstellungen (im Gombrichschen Sinne)“ als konstitutiv ansieht. Innerhalb ganz kurzer Zeit haben Selbstverständlichkeiten jeden Sinn verloren, und im Rahmen einer kleinen Geschichte des Modernebegriffs vom 18. Jahrhundert an bis heute zeigt der Autor, dass es eben dies ist, was die Moderne ausmacht: der Bruch mit der Tradition. Der Künstler der Moderne, schreibt er, „fand seine Ursprünge nicht etwa vor, er wählte sie sich und konstruierte damit Kontinuität.“ Als eine antitraditionalistische Veranstaltung geriet sie bald zu einer Parade von Einzelkämpfern, von denen ein jeder sich seine eigene Kunstgeschichte erfand.

Der Clou der Demandschen Argumentation besteht schlussendlich darin, dass er in der ästhetischen Wertung ein ethisches Fundament erkennt, wobei er unter Ethik hier nicht die philosophische Disziplin versteht, sondern „ein Ethos, eine Lebenshaltung, eine Grundeinstellung zum Dasein“. Ästhetische und ethische Urteile werden nicht in eins gesetzt, wohl aber im Zusammenhang gesehen, wobei die Priorität von Demand auf Seiten des ethischen Urteils gesehen wird. Es ist also unsere Lebenseinstellung, die unser Urteil über die Kunst bestimmt. Durch das ganze Buch ziehen sich immer wieder Hinweise auf derartige Wertungen. Das früheste Beispiel bietet Jakob Wimpfeling im Jahr 1500, als er die Mode kritisiert, langes männliches Haar mit Hilfe kosmetischer Künste in weibische Lockenpracht (uns allen aus dem Selbstporträt Dürers bekannt) zu verwandeln. Auch um die Auseinandersetzung mit Kants Theorem des „interessenlosen Wohlgefallens“ kommt Demand nicht herum.

Es sind also sehr grundsätzliche Überlegungen, mit denen der Autor wie schon bei seinem Vorgängerbuch »Die Beschämung der Philister« höchstwahrscheinlich Anstoß erregen wird, und vielleicht gelingt es ihm ja, zur Revision einiger Grundüberzeugungen seiner Leser beizutragen. Für den Rezensenten jedenfalls war die Lektüre ein großes Vergnügen, nicht zuletzt deshalb, weil der Autor schriftstellerisch begabt ist, was er immer wieder bei dem Referat auch vielgliedriger und komplizierter Argumentationen beweist, die er mit großer Souveränität in sein eigenes Deutsch überträgt. Er klammert sich also nicht ängstlich an das Vokabular der Vorlage, um es lediglich ein wenig anders zu arrangieren. Dabei schreibt Demand ein schönes Deutsch in sehr oft langen, aber immer übersichtlich arrangierten und deshalb leicht und flüssig zu lesenden Sätzen. Also ein ohne Abstriche empfehlenswertes Buch.

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