Buchrezensionen

Christian Vöhringer: Pieter Bruegel der Ältere. Malerei, Alltag und Politik im 16. Jahrhundert. Eine Biografie, Reclam 2013

Über das Leben des Niederländers Pieter Bruegels des Älteren (um 1525/1527–1569) weiß man nur wenig und vieles, was man zu wissen meint, ist aus den Gemälden oder aus anderen Zusammenhängen erschlossen. Die Publikation Christian Vöhringers bietet dem interessierten Laien eine gute Darstellung der Künstlerpersönlichkeit und des historischen Kontexts, findet Sandra Braun.

Der Autor Christian Vöhringer, Kunst- und Architekturhistoriker in Stuttgart und Berlin und zurzeit in Paris tätig, ist durch verschiedene Veröffentlichungen zum Thema ein ausgewiesener Spezialist der Bruegel-Forschung. Seine jetzt im Stuttgarter Reclam Verlag erschienene Bruegel-Biografie schließt inhaltlich an die 2007 unter dem Titel »Meister der niederländischen Kunst: Pieter Bruegel« veröffentlichten Bruegel-Ausgabe zum Leben und Werk des Künstlers an, in der Vöhringer den Schaffens- und Werdegang des Künstlers im Hinblick auf die entscheidenden Stilphasen werkzentriert und unter besonderer Berücksichtigung des gesellschaftlichen Kontextes präsentierte sowie Bruegels Bedeutung für nachfolgende Künstlergenerationen herausstellte.

2013 rekonstruiert er nun anhand einzelner ausgewiesener Werke des durchaus überschaubaren Œuvres Pieter Bruegels sowie anhand der wenigen erhaltenen historischen Quellen verschiedene Lebensstationen des Künstlers innerhalb des Zeithorizontes sowie Bruegels Stellung innerhalb der Kulturgeschichte der Niederlande in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Damit legt Vöhringer erstmals eine Biografie zur historisch kaum fassbaren Persönlichkeit Pieter Bruegels vor, dessen Leben und Wirken seit jeher und immer wieder Anlass zu Spekulationen, romanhaften Ausschmückungen, romantischen Verherrlichungen und Rekonstruktionsversuchen fiktionaler Art gegeben hat.

Gute Gründe, sich zu Bruegel zu äußern und seine Person sowie seine Werke immer wieder neu zu betrachten, gab es in der Forschung immer – ob dabei die Werke selber in Monografien im Mittelpunkt der Ausführungen standen, ihr rezeptionsgeschichtlicher Kontext oder der Anschluss an aktuelle Forschungsdiskurse. Aber ist die Künstlerbiografie als Form der Reflexion über und Annäherung an einen Künstler heute noch zu rechtfertigen?

Der Frage nach der Aussagefähigkeit biografischer Ansätze wird im einleitenden Prolog kurz nachgegangen, in dem Vöhringer einen Überblick über die fiktionale Literatur zu Pieter Bruegel gibt – nicht ohne die jeweils charakteristischen Elemente und Schwerpunktsetzungen der verschiedenen Romane und Erzählungen zitathaft oder pointiert kritisch im Hinblick auf ihren (fiktiven und anekdotenreichen) Aussagegehalt einzubinden.

Vöhringer schließt dann mit einer Autopsie der historisch relevanten Quellen zur Person Bruegels an, um daraus Faktizität für seine Darlegungen zu einzelnen Lebensstationen zu gewinnen. So rekonstruiert er chronologisch und systematisch über die Ausbildungszeit sowie die Italienreise 1552/53 des Malers hinweg einzelne Lebensstationen und biografische und künstlerische Entwicklungen ohne dabei den Leser oder normalen Kunstkenner durch unklare oder allzu vage Interpretationen zu überfrachten. Dabei gelingt es Vöhringer, dem Leser die wichtigsten Werke Bruegels vorzustellen, ihre Entstehung in den historischen Zeithorizont zu verorten und auf die notwendigen stilistischen Entwicklungen im Œuvre Bruegels, Verlagerungen von Arbeitsschwerpunkten und den rezeptionsgeschichtlichen Kontext zu verweisen - unklare Datierungen, Zuschreibungen, Verweise oder Interpretationen werden stets kenntlich gemacht, plausible Lösungs- und Erklärungsansätze angeboten.

Auf die allmählich einsetzende Verlagerung des Schwerpunktes von der Grafik zur Malerei hin zu großformatigen Gemälden im Spätwerk Bruegels geht Vöhringer in dem Kapitel »Vertriebswege und wachsende Produktvielfalt – die großfigurigen Gemälde« näher ein und zieht somit eine äußerst sinnvolle (!) wie aktuell in der Forschung thematisierte Verbindung zwischen Werkgenese und Geschäftspraktiken sowie künstlerischen Konzepten.

Bei der Beschreibung von Strategien für das Künstler-Marketing in den Niederlanden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts hätte man sich jedoch einen erweiterten (Rück-) Blick auf das ausgehende 15. und beginnende 16. Jahrhundert gewünscht (europaweiter Absatz standardisiert produzierter Waren/Massenwaren). Eine allgemeine Betrachtung zum Kunstmarkt der Jahrzehnte um 1500, der Kunstverbreitung (international operierende Netzwerke) und frühneuzeitlichen Unternehmertums, die überregionale Perspektive auf Italien (Medici, Künstler) und Süddeutschland (Augsburg: Fugger-Imperium) sowie eine zusätzliche, stärker kunsttheoretische Reflexion zum Themengebiet Auftragskunst (Rezeptionskultur) wären ebenso eine gute Ergänzung gewesen.

Vöhringer endet in seiner Darstellung des Lebens und Wirkens Bruegels mit einem rezeptionsgeschichtlichen Ausblick auf die Arbeiten seiner Söhne und die durch Bruegel begründete Künstler-Dynastie. So gelingt es Vöhringer, um die Werke Bruegels und auf Basis der Quellentexte des 16. und 17. Jahrhunderts einzelne Lebensstationen zu rekonstruieren, den Künstler dahinter vorzustellen und ihn überzeugend in die kulturellen Entwicklungen in den spanischen Niederlanden der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu verorten.

Den Schluss des Buches bildet ein Quellenanhang, der die wichtigsten Quellentexte des 16. und 17. Jahrhunderts in deutscher Übersetzung enthält, ein bibliografisches Verzeichnis der diskursrelevanten Literatur zur Bruegelforschung sowie ein Personenverzeichnis und ein topografischer Index.

Festzuhalten ist: den Ansatz einer Künstlerbiografie vor dem Hintergrund methodologischer Diskussionen zu reflektieren, bleibt vor allem aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive von großem Interesse und im Hinblick auf die innovativen Möglichkeiten der biografischen Darstellungsform noch zu diskutieren. Im Hinblick auf Vöhringers Bruegel-Biografie bleibt zu konstatieren, dass der personenzentrierte Ansatz in der kunsthistorischen Forschung als Mittel zur historischen Erkenntnis keineswegs obsolet geworden ist, in jedem Falle aber über die Öffnung des Faches für andere Disziplinen hinaus erfolgen sollte.

Künstlerbiografien sollten – und das fehlt auch diesem Beitrag zur Bruegel-Forschung – in Zukunft stärker prosopografische Untersuchungen zu und eine Analyse der sozialen Netzwerke der verschiedenen Künstlerpersönlichkeiten mit besonderem Schwerpunkt auf den an der Distribution der Werke beteiligten Akteure und den Auftraggebern von Kunstwerken sowie dem historischen Kontext der jeweiligen Aufträge oder Stiftungen und deren Funktionen und Zusammenhänge mit machtpolitischen Strukturen einbeziehen. Denkbar wäre auch – das klingt im Titel dieser Bruegel-Biografie an, wird aber methodisch nicht reflektiert (Quellenlage?) oder dekonstruiert – eine Verknüpfung mit den geschichtswissenschaftlichen Ansätzen der „Mentalitätsforschung“ zur Bestimmung der Qualität von Beziehungsmustern und der „Alltagsgeschichte“ zur thematischen Einbeziehung von regionalen und mikrohistorischen Gefügen in größere Zusammenhänge im Rahmen biografischer Rekonstruktionen.

Fazit: Wer eine Bruegel-Monografie mit gut verständlicher Darstellung der aktuell-gültigen Forschungsdiskurse zu Bruegel nebst einem umfangreichen Werkkatalog sucht, dem sei die 2007 erschienene Buchpublikation »Bruegel: The Complete Paintings, Drawings and Prints« empfohlen. Dem, der nicht Experte in der Bruegel-Forschung ist, liefert Vöhringers Buch in jedem Fall eine ausführliche und nützliche Präsentation der Künstlerpersönlichkeit Bruegels sowie einen Einblick in das Zeitkolorit und die politischen und sozialen Hintergründe in den spanischen Niederlanden der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die sinnvolle Auswahl der Werke sowie die inhaltlichen Schwerpunkte zur historisch-kritischen Kontextbildung – hier sind u.a. die Kapitel zu »Niclaes Jongelinck und Jean Noirot«, »Brüssel und die Jahre bis zum Bildersturm« oder »Vertriebswege und wachsende Produktvielfalt – die großfigurigen Gemälde« zu nennen – laden zur Weiterbeschäftigung mit der Kulturgeschichte der Niederlande in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, dem entstehenden Kunstmarkt und -handel und vor allem mit dem Maler selber ein.

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