Rezensionen

Christoph Thun–Hohenstein/Anne–Katrin Rossberg/Elisabeth Schmuttermeier (Hg.): Die Frauen der Wiener Werkstätte. MAK, Wien/Birkhäuser Verlag

Wer prägte den Stil der 1903 gegründeten Wiener Werkstätte? Sofort drängen sich die großen Künstlernamen auf: Josef Hoffmann, Koloman Moser und Dagobert Peche. Von Anfang an aber waren auch über 180 Künstlerinnen an den Produktionen beteiligt. Eine Ausstellung im Wiener MAK (Museum für angewandte Kunst) gibt vielen dieser Frauen ein Gesicht und weist auf ihr Werk hin, das die einzigartige Stellung der Wiener Werkstätte zwischen Jugendstil und Bauhaus mitbegründet hat. Katja Weingartshofer hat sich in den Katalog vertieft.

Cover © Birkhäuser
Cover © Birkhäuser

Bubikopf, konturierte Augenbrauen, Zigarette im Mund – das Erscheinungsbild der modernen Frau der 1920er–Jahre. Auf dem Cover des Katalogs setzt sich dieses aus einem Zigarrenschrank von Rose Krenn, einer Holzpuppe von Fanny Harlfinger–Zakucka, einer Ansteckblume von Anna Schmedes, einer Schale von Erna Kopriva, einem Perlbeutel und einem Zigarettenschuber von Felice Rix–Ueno sowie zahlreichen Stoffmusterentwürfen von Frauen der Wiener Werkstätte zusammen. Sie haben noch nie von diesen Künstlerinnen gehört? Dann wird es Zeit.

Kinderspielzeug, Postkarten, Textilien, Mode und Keramik – die Kapitel des Katalogs spiegeln die Aufgabenbereiche der Frauen der Wiener Werkstätte (WW) wider. Trotz gleichberechtigtem Zugang zum Studium an der Kunstgewerbeschule ist das Wirkungsfeld der Frauen klar definiert und geht in den meisten Fällen nicht über den dekorativen Teil der Gestaltung hinaus. Männer entwerfen, Frauen dekorieren. Auf den ersten Blick scheint es, als stünde vor allem ein emanzipatorisches Bestreben hinter der Zulassung von Frauen an die Kunstgewerbeschule, im Katalog wird jedoch verdeutlicht, dass dies einer differenzierteren Betrachtung bedarf. Weder die Kunstgewerbeschule noch die WW streben danach, Frauen zu (künstlerischer) Gleichberechtigung zu verhelfen. Trotz der für die damalige Zeit progressiven Reformen von Rudolf von Eitelberger (Zulassung von Frauen an die Kunstgewerbeschule) und Felician von Myrbach (Öffnung der Fachklassen für Frauen) gibt die volkswirtschaftliche Notwendigkeit den Weg vor: Der Bedarf an künstlerisch ausgebildeten Arbeitskräften muss gedeckt werden, um der hohen Nachfrage nach hochwertigen Kunstgegenständen gerecht zu werden. Hinzu kommt die steigende Zahl unversorgter bürgerlicher Frauen ohne Aussicht auf eine Erwerbsarbeit. Die WW wirbt ihre zukünftigen Gestalter*innen mitunter direkt von der Kunstgewerbeschule ab. Zwischen den beiden Institutionen gibt es von Anfang an eine fruchtbare Interdependenz. Josef Hoffmann und Koloman Moser lassen ihre Studierende früh mit externen Produzenten zusammenarbeiten, wodurch sie engagierte Mitarbeiter*innen für die WW gewinnen. Frauen genießen in dieser Zeit eine hochwertige Ausbildung zu Kunstgewerblerinnen, doch während sie an Textilentwürfen sitzen, entwerfen ihre männlichen Kollegen erste Häuser. Die Trennung ist streng, doch die Frauen wissen diese kleine Chance optimal zu nutzen. Mit visionären Gestaltungsideen und unkonventionellen Herangehensweisen sprengen sie die ihnen zugeschriebenen Handlungsräume und tragen mit ihren originellen Entwürfen und Objekten wesentlich zur Qualität der Produkte der WW bei.

Tragetasche der Wiener Werkstätte unter Verwendung des Stoffmusters Curzola von Mathilde Flögl, 1924/25 © MAK
Tragetasche der Wiener Werkstätte unter Verwendung des Stoffmusters Curzola von Mathilde Flögl, 1924/25 © MAK

Die 1916 eröffnete Künstlerwerkstätte – mit Brennofen und Töpferscheiben ausgestattet – war Experimentierfeld und Nährboden für die expressive Keramik der WW. Eine Freiheit, die über die künstlerischen Belange hinausgeht, denn in der Künstlerwerkstätte werden Emanzipation und sexuelle Aufgeschlossenheit gelebt. Der amerikanischen Historikerin Megan Brandow–Faller gelingt es diese Stimmung eingefangen, indem sie in ihrem Katalogbeitrag u.a. Aussagen von und über die charismatische Künstlerin Vally Wieselthier zitiert und kontextualisiert. Ihre lebendigen Beschreibungen von Farbe, Glasur und Formen der außergewöhnlichen Keramiken von Vally Wieselthier, Hilda Jessner, Kitty Rix und Gudrun Baudisch führen die individuellen Handschriften der jeweiligen Künstlerinnen trotz gemeinsamer Gestaltungsprinzipien vor Augen. Ebenso überzeugend: Die Darstellung des Schaffensprozesses von
Vally Wieselthier. Spielerisches Erleben spielt dabei eine wesentliche Rolle. Diese künstlerische Herangehensweise ist nicht nur im Bereich der Keramik, sondern auch in der Konzeption und Herstellung von Spielzeug von Bedeutung. Zeitgenössische Kritiker*innen wie Berta Zuckerkandl und Ludwig Hevesi loben die modernistischen Holzfiguren von Minka Podhajská und Fanny Harlfinger–Zakucka, die Künstlerinnen selbst werden als Spielzeugentwerferinnen der WW gefeiert.

Charlotte Billwiller, Mathilde Flögl, Susi Singer, Marianne Leisching und Maria Likarz, Fotografie, 1924 © MAK
Charlotte Billwiller, Mathilde Flögl, Susi Singer, Marianne Leisching und Maria Likarz, Fotografie, 1924 © MAK

Internationales Aushängeschild der WW sind jedoch die Produkte der Stoffabteilung. Trotz hoher Preise sowie ungewöhnlicher, oft auch gewagter Farbzusammenstellungen und Muster verkaufen sich die Stoffe außerordentlich erfolgreich. Allen voran die Ledertaschen von Mathilde Flögl und Maria Likarz oder die die mit Glasperlen bestickten Beutel von Maria Likarz und Felice Rix–Ueno. Kissen aus Wiener–Werkstätte–Seide in Haus–, Tier–, Würfel– oder Pyramidenform sind originelle Besonderheiten der Textilabteilung. Die ausgewählten Entwürfe veranschaulichen diese Kuriositäten und entlocken so manches Schmunzeln. Vom geometrischen Stil der frühen Jahre der WW bis hin zum »Peche–Stil« und gelegentlichen Tendenzen zur Abstraktion – Angela Völker zeichnet die stilistische Entwicklung der Stoffmuster der WW anschaulich nach. 60 Künstlerinnen arbeiten in der Stoffabteilung unter der Leitung von Josef Hoffmann, drei Frauen stechen dabei besonders hervor: Maria Likarz (200 Stoffmusterentwürfe), Mathilde Flögl (103 Stoffmusterentwürfe) und Felice Rix–Ueno (95 Stoffmusterentwürfe). Die schier endlose Vielfalt der WW–Stoffe aus der MAK–Sammlung vermag der Katalog in ausgeklügelter Weise zu veranschaulichen: Die Stofftableaus werden sowohl als Trennblätter als auch als Vor– und Nachsatzpapier eingesetzt und sind dabei farblich abgestimmt.

Andruck des WW-Stoffmusters Feldpost von Mizi Friedmann, 1914 © MAK/Georg Mayer
Andruck des WW-Stoffmusters Feldpost von Mizi Friedmann, 1914 © MAK/Georg Mayer

Die Wiener Werkstätte strebt danach alle Lebenslagen mit Kunst zu durchdringen. Postkarten fällt dabei eine ganz besondere Rolle zu. Sie sind nicht nur Kommunikationsmedium, sondern werden darüber hinaus als grafische Kleinkunstwerke vermarktet. Brandaktuell zeigen sie etwa Produktsegmente wie die weiß lackierten Gitterkörbe von Koloman Moser und Josef Hoffmann oder erscheinen zur Eröffnung des Wiener Cabaret Fledermaus. Die dominantesten Motive auf den Postkarten sind Fantasien über Modethemen gestaltet von Mela Koehler, Maria Likarz und Fritzi Löw. Nachweisliche Modeentwürfe von den Frauen der WW sind aufgrund des lückenreichen Materials nur schwer zu rekonstruieren. Es ist anzunehmen, dass in den Anfängen der WW nur Entwürfe von Josef Hoffmann und Josef Wimmer–Wisgrill ausgeführt werden. Die Modekünstlerinnen verschwinden generell hinter der Marke »Wiener Werkstätte«. Trotz schwieriger Quellenlage kann Lara Steinhäußer, Kustodin der Sammlung Textilien im MAK, einige Entwerferinnen der WW ausfindig machen.

Aus den vielen Katalogbeiträgen fällt jener über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Bauhaus und Wiener Werkstätte etwas heraus. Der Vergleich ist zweifelsohne wichtig für den europäischen beziehungsweise deutschsprachigen Blick auf kunsthandwerkliche Betriebe und Akademien, doch Angela Völker konstatiert darin gleich vorweg, dass es kaum Gemeinsamkeiten gibt. Nichtsdestotrotz komplettiert die Gegenüberstellung der beiden Institutionen am Beispiel der Textilabteilungen den Forschungsstand.

Felice Rix, Boudoirtabatiere (Zigarettenschuber), 1929 © MAK/Tamara Pichler
Felice Rix, Boudoirtabatiere (Zigarettenschuber), 1929 © MAK/Tamara Pichler

Lange genug standen die Künstler der Wiener Werkstätte im Zentrum von Forschung und Ausstellungen. Die Ornamente, Buchgestaltungen und Möbel ihrer prominenten (Gründungs–)Mitglieder Josef Hoffmann, Koloman Moser, Dagobert Peche und Carl Otto Czeschka sind weithin bekannt. Nun ist es an der Zeit die Leistungen ihrer Kolleginnen zu würdigen. Ihr schöpferisches Vermächtnis wird in diesem Katalog mit fundierten Beiträgen, detaillierten Biografien und umfangreichen Bildmaterial gewürdigt.
Zu Josef Hoffmann, der als »Quadratl–Josef« bekannt wurde, gesellen sich nun neben vielen anderen Hilda Jesser (»Farbexplosions–Hilda«), Vally Wieselthier (»Keramikkopf–Vally«) und Maria Likarz (»Glasperlen–Maria«).


Katalog:
Die Frauen der Wiener Werkstätte
herausgegeben von Christoph Thun–Hohenstein, Anne–Katrin Rossberg und Elisabeth Schmuttermeier
mit Beiträgen von Megan Brandow–Faller, Elisabeth Kreuzhuber, Anne–Katrin Rossberg, Elisabeth Schmuttermeier, Lara Steinhäußer und Angela Völker
Deutsch/Englisch
288 Seiten mit zahlreichen Farbabbildungen
MAK, Wien/Birkhäuser Verlag, Basel 2020


Ausstellung:
MAK – Museum für angewandte Kunst
05.05.2021–03.10.2021
https://www.mak.at

Margarethe Reinold, Spielzeugentwurf, 1924/25 © MAK
Margarethe Reinold, Spielzeugentwurf, 1924/25 © MAK

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