Ausstellungsbesprechungen

Claude Lorrain - Die verzauberte Landschaft, Städel Museum, Frankfurt am Main, bis 6. Mai 2012

Das Frankfurter Städel widmet Claude Lorrain, einem der wichtigsten Landschaftsmaler des 17. Jahrhunderts, die erste monografische Ausstellung in Deutschland seit 1983. Günter Baumann nutzte die Gelegenheit und ließ sich von den zeitlos klassischen Landschaften des französischen Barockkünstlers verzaubern.

Die Einordnung Claude Lorrains in der Kunst ist nicht so einfach: Der um 1600/05 als Claude Gelée in Lothringen geborene Maler, der als Pastetenbäcker und Koch begonnen hatte, reifte sozusagen unter der Sonne Italiens zum Künstler. Im Umkreis von Nicolas Poussin und von Joachim von Sandrart entwickelte er seinen Stil als Maler, Zeichner und Radierer und nannte sich nach seiner Heimatregion Claude le Lorrain, woraus allmählich der Artikel wegfiel, bis sich die Zuordnung als Nachname einbürgerte.

Wenn man ihn schon in erster Linie als Landschaftsmaler ansprechen muss — wie bereits in den Niederlanden des 16. Jahrhunderts praktiziert, verschwinden bei Lorrain die biblischen und mythischen Figuren zu verschatteten Miniaturpopulationen —, liegt ein Vergleich mit dem Goldenen Zeitalter Hollands nahe. Dabei fällt auf, dass die von der römischen Kunst beeinflusste Ruinenkulisse recht traditionell erscheint, während das Licht ganz außergewöhnliche Qualitäten entwickelt, die in den Niederlanden nur selten erreicht wird. Es ist wohl so, dass Claude Lorrain zwar nicht im Freien malte (obwohl er unter freiem Himmel zeichnete), aber ebendort seine Farben anmischte: So erzielte er eine lichtüberflutete Palette, die bis auf die Leinwand ausstrahlte. Von hieraus führt ein Weg zu Constable und Turner, schließlich zu den Impressionisten. Es ist also mit Fug und Recht zu behaupten, dass das Frankfurter Städel einen Künstler präsentiert, der an den Urgründen der Moderne kratzt. Der bekanntere Poussin, mit dem Lorrain ab und zu ein Gläschen Wein trank, und die Freundschaft mit Sandrart, der die erste Biografie des Künstlers schrieb, waren sicher förderlich für Lorrains Karriere, die aber lange nicht angemessen beleuchtet wurde. Berühmt ist er vor allem als Maler; erst in der Frankfurter Schau wird deutlich, welch innovativer Grafiker er war — die Radierungen sind, gemessen an der gelassenen Wirkung, erstaunlich ungestüm gestochen. Sie sind eine Entdeckung, und bedenkt man das Zusammenspiel des Künstlers innerhalb der verschiedenen Gattungen, darf man davon ausgehen, dass sein Schaffen heute in einem anderen Licht zu bewerten ist, als es früher möglich war. Es erweist sich grade im Hinblick auf die grafischen Blätter, die Studien genauso umfassen wie eigenständige Arbeiten, als hochreflektiertes Werk.

Rund 130 Arbeiten umfasst die retrospektive Ausstellung, die auf Leihgaben aus London, Paris und Berlin zurückgreifen kann und gemeinsam mit dem Ashmolean Museum in Oxford entstanden ist (dort war sie im vergangenen Winter zu sehen). Die Einzigartigkeit des Lorrainschen Werks basiert – abgesehen vom Ingenium der lichterfüllten Farbartistik: nicht ohne Grund nannten die Kuratoren Martin Sonnabend (Städel Museum) und Jon Whiteley (Ashmolean Museum) die Schau im Untertitel »Die verzauberte Landschaft« — auf der biografisch bedingen Allianz von lothringischer und italienischer Kultur sowie auf den dicken Auftragsbüchern, die der Maler allein zu bewältigen hatte. Denn Lorrain hatte keine Werkstatt und konnte daher auch keine nennenswerte Schule aufbauen: So bediente er Aufträge des Klerus bis hinauf zum Papst und des europäischen Adels bis hin zum spanischen König, wobei sein Stil unverwechselbar blieb. Der britische Tourismus im 18. Jahrhundert machte Lorrain auch im bürgerlichen Umfeld populär. In diesem Kontext kann man den Künstler sogar zum malerischen Stichwortgeber des sogenannten Englischen Gartens machen, der weniger mit der natürlichen Vorlage als mit der gedanklichen Freiheit zu tun hatte (gegenüber den Zwängen des Französischen Gartens): Goethe sprach sinnigerweise davon, dass Lorrains Gemälde »die höchste Wahrheit, aber keine Spur von Wirklichkeit« hätten, was wiederum im Vergleich mit der nahezu konträren niederländischen Landschaftsmalerei besonders einleuchtet. Demgegenüber kannte Goethe das grafische Werk sicher nicht, denn dann wäre ihm aufgefallen, dass hinter der »verzauberten« Landschaft ein gründlicher Blick auf die reale Natur stand, den Lorrain während seiner Wanderungen in der Region um Rom schweifen lassen konnte. Es ist dem Städel zu danken, dass es die Zeichnungen und Radierungen in die Schau miteinbezieht, immerhin kann es 40 Radierungen sein eigen nennen — darunter auch jüngste Erwerbungen. Damit besitzt Frankfurt einen Großteil der Lorrainschen Druckgrafik, was für die Zeichnungen nicht gilt. Es gibt an die 1200 Zeichnungen, die über Europa verstreut sind (die meisten wohl in England); hier kann die Ausstellung freilich nur einen kleinen Einblick geben, der jedoch genügt, um den leicht dahinschwingenden, spontanen Linienstil kennen zu lernen. Was sich hier und noch mehr in den Radierungen ausdrückt, kann man in den Gemälden meist erst auf den zweiten Blick feststellen: die innere Dynamik, welche die atmosphärisch beruhigte Kulisse belebt.

Die Ausstellung präsentiert Hauptwerke wie »Landschaft mit Christus, der Maria Magdalena erscheint (Noli me tangere)« von 1681 aus dem Besitz des Städel sowie »Küstenansicht« oder »Urteil des Paris« aus dem Frühwerk, das von Zeichnungen begleitet wird. Aus Oxford kam das späte Bild »Ascanius, den Hirsch der Silvia erlegend« nach einer Szene aus Vergils »Aeneis«. Dazu kommen Arbeiten wie die »Landschaft mit ländlichem Tanz«, »Ein Seehafen« und die »Landschaft mit der Anbetung des Goldenen Kalbes« aus der mittleren Zeit. Seite den 30er Jahren des 17. Jahrhunderts dokumentierte Lorrain sein malerisches Werk mit Zeichnungen, sozusagen als Werkverzeichnis in eigener Sache, um Kopisten und Fälschern entgegenzuwirken.

Aus dem Fundus von Zeichnungen geht außerdem hervor, dass der Maler kompositionell ein Bausteinsystem pflegte, das er in Variationen seiner Gemälde umsetzte. Von den Radierungen brilliert die Schau mit der »Feuerwerk«-Serie, die ein Fest auf dem Spanischen Platz in Rom festhält und den Ausstellungsmachern zufolge noch nie vollständig gezeigt worden ist. Claude Lorrains Werk gehört zwar dem 17. Jahrhundert an, das leichtfertig mit dem Schlagwort »Barock« versehen wird, aber es zeigt sich einmal mehr (man denke an den inszeniert realistischen Stil der Niederländer), dass in den Bildern die damit verbundene Unruhe kaum zu entdecken ist – alles scheint aufgelöst in einer Art Zeitlupe der Vergänglichkeit. Hier ist Lorrains präromantisches Schaffen wohl einzigartig. Was die Romantiker allerdings daraus machten, hat fast komische Züge: Angeblich verkauften sich grün gefärbte Spiegelgläser recht gut, mit deren Hilfe man auf Ausflügen die Natur sozusagen durch die Lorrain-Brille betrachten konnte. Erst in späteren Zeiten widmete man sich dem Werk selbst, wie ein Satz von Mme Mark Pattson (Lady Dilke) aus dem Jahr 1884 zeigt: »Die größte Qualität von Claude ist … die seltenste von allen, das poetische Empfinden«.

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