Buchrezensionen

Claudia Fritzsche/Karin Leonhard/Gregor J.M. Weber (Hg.): Ad fontes! Niederländische Kunst des 17. Jahrhunderts in Quellen, Imhof 2013

Neues aus dem Bereich der niederländischen Malerei: Im Klappentext als »Buch mit lexikalischer Ausrichtung« bezeichnet, entpuppt sich »Ad Fontes« als Kompilation von sechzehn kompetenten Fachaufsätzen, in denen grundlegende Begriffe der Kunsttheorie sehr anschaulich erläutert werden. Weit davon entfernt, ein trockenes Begriffslexikon zu sein, setzen sich die anspruchsvollen Beiträge mit dem universalen Wissenskosmos des 17. Jahrhunderts auseinander. Ulrike Schuster hat sich eingelesen.

»Ad Fontes!« ist der Name eines Netzwerks aus jungen Wissenschaftlern, Doktoranden und Postdoktoranden, die sich die Erforschung der niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts zum Ziel gesetzt haben. Der Name ist zugleich Programm, geht es doch darum, die Bildersprache der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts von ihren Quellen her zu erkunden.

Mit einer deutlichen Ausweitung gegenüber früheren Interpretationsansätzen: kritisiert wird in Vorfeld etwa eine allzu einseitige Ausrichtung der Bildexegese an der zeitgenössischen Emblemliteratur, wie sie in den 1970er Jahren, im Sog von Erwin Panofsky, in der Kunstgeschichtsschreibung Einzug hielt. Dieser Ansatz würde nach Ansicht der Herausgeber zu kurz greifen, zumal sich für sie die Frage stelle, inwieweit eine »rein intellektuell-moralisierende Rolle des gemalten Bildes« der historischen Praxis der Bildbetrachtung entsprochen habe.

Da es auf der anderen Seite im besagten Zeitfenster nicht sehr viele kunsttheoretische Schriften niederländischer Provenienz gibt – an erster Stelle wäre auf jeden Fall das »Schilder-Boeck« des Karel van Mander zu nennen – geht der Blick über das eng umschriebene Feld der Kunsttheorie hinaus.

Die Autorinnen und Autoren durchkämmten im Zuge ihres Projekts Texte in außerkünstlerischen Quellen. Sie suchten Hinweise unter anderem in optischen, naturwissenschaftlichen und medizinischen Schriften, in Literatur und Dramen der Zeit, in Reiseberichten, theologischen Abhandlungen oder in volkstümlichen Erbauungsbüchern. Über die niederländische Topografie hinaus erfolgt zudem der Brückenschlag zur zeitgenössischen Kunstliteratur Italiens, die natürlich auch in den Niederlanden das Maß aller Dinge darstellte. Aber auch die Schriften der deutschen Nachbarn, insbesondere von Walther Ryff und von Albrecht Dürer, fanden viel Beachtung.

Das Resultat ist eine interdisziplinäre Zusammenschau aus unterschiedlichen Gebieten des geistigen Lebens, die etwas von dem universalen Wissenskosmos erahnen lassen, den die Gelehrten der Frühen Neuzeit wahrscheinlich noch als Selbstverständlichkeit empfanden.

Die sechzehn Kapitel des Buches sind jeweils einem zentralen Begriff der Malerei zugeordnet. Beginnend mit der Handhabung von Licht, Spiegelung und der Diskussion zur Farbgebung: die Alten Meister wussten beispielsweise äußerst genau zwischen der Farbe eines Körpers (verf) und dem Kolorit, beziehungsweise dem reflektierten Farbton (kleur), zu unterscheiden. Die Beherrschung der Perspektive wird am Beispiel der raffinierten Kircheninterieurs erläutert. Von dort führt ein Strang weiter zum Themenkomplex der stillen inneren Betrachtung, wie sie beispielsweise in anspruchsvollen Konzepten zur Memoria zum Ausdruck kommt.

Äußerst lesenswert sind die Beiträge zur Frage der Nachahmung. Die Formel »naer het leven« umriss dabei die perfekte Imitation der Natur, die nach dem damaligen Verständnis so weit gehen konnte, dass sie auch das gewissenhafte Kopieren eines Bildes oder die exakte Nachformung eines Artefakts beinhaltete. Ein großer Könner wie Simon Luttichuys stellte seine Meisterschaft dadurch unter Beweis, dass er die Blätter seiner berühmten Kollegen täuschend echt imitierte. Zum Glück tat er dies nur im Zuge seiner raffinierten Bild-im-Bild Kompositionen.

Im Gegensatz dazu steht die Tugend der Erfindungskraft, die sich beispielsweise in den fantastischen, fast schon zum Zerrbild überhöhten Heroengestalten von Hendrick Goltzius widerspiegelt. Die Wiedergabe von atmosphärischen Stimmungen als vorrangiges Thema in der Landschaftsmalerei bildet einen weiteren Schwerpunkt. Weiter Kapitel drehen sich um den Kosmos der menschlichen Gefühlsregungen: das nach innen gekehrte Gemüt, die nach außen gekehrten Leidenschaften und Emotionen oder den Affekt der Bewunderung, den die Kunst im Betrachter auszulösen vermag.

Ausführlich wird der jeweilige Gegenstand aus der Sicht der Quellen kommentiert. Von unterschiedlichen Autorinnen und Autoren verfasst, wirkt dabei alles wie aus einem Guss, die einzelnen Beiträge sind klug konzipiert und großartig bebildert. Große Werke der Malerei stehen dabei in einem Dialog mit zeitgenössischen, naturwissenschaftlichen Publikationen, anatomischen Werken oder verblüffenden Raritäten wie etwa den Naturabgüssen zweier Eidechsen.

Hilfreich wäre es allenfalls gewesen, die Textpassagen der Originalzitate aus dem Niederländischen ins Deutsche zu übersetzen: Trotz der engen Sprachverwandtschaft gestaltet sich dadurch die Lektüre stellenweise etwas mühsam. Aber das ist zugleich auch schon der einzige Vorwurf, den man der Publikation machen kann.

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