Ausstellungsbesprechungen

Claudia Hauptmann – Gesammelte Sammler, Galerie Artae, Leipzig, bis 22. Dezember

»Gesammelte Sammler« – unter diesem Titel präsentiert die Künstlerin Claudia Hauptmann nicht nur in altmeisterlicher Art gemalte Porträts von Leipziger Persönlichkeiten, sondern auch Geschichten und ihre Sammlerin aus dem Morgenland. Rowena Fuß hat die Werke erkundet.

Großartige illusionistische Malerei begegnet dem Besucher bei »Sheherazade«: In eine Burka gehüllt sitzt die Erzählerin aus 1001 Nacht auf einem Hocker. Hinter ihr türmt sich eine furchterregende dunkle Stadtsilhouette unter einem roten Himmel auf. Mit einem Boot, das sie über einen Bindfaden ziehen kann, führt die Strippenzieherin den Neugierigen in eine idyllische Berglandschaft, die sich zwischen ihren Beinen öffnet. Auf wunderbare Weise verwebt Hauptmann Märchengestalt und die Realität muslimischer Frauen.

Die Welt blickt seit dem Irakkrieg 2003 intensiver auf das Geschehen in den islamischen Ländern, versucht mit Sitten und Gebräuchen umzugehen, die so gar nicht der Moderne entstammen. Aber auch die Gegenseite probiert die Erneuerung. – Oder sollte man von Anpassung reden? Zeigt uns Sheherazade also eine Zukunftsvision, die neuen Lande, in die die islamische Welt segelt? Ob diese jedoch tatsächlich so friedlich und beschaulich sein werden, bleibt anzuzweifeln. Gleichwohl liegt das Vergangene abgeschoben im dunklen Hintergrund. Die Künstlerin unterstreicht mit dem barocken Jenseitsverweis die Präsenz des Jetzt und Hier.

Gegenüber von Sheherazade erblickt der Besucher zehn in altmeisterlicher Manier gemalte Porträts von Leipziger Persönlichkeiten. Diese sind eingeladen worden, sich speziell für diese Schau von Hauptmann porträtieren zu lassen. Ausgesuchte Attribute, verschiedenste Gesten, Haltungen oder Instrumente kennzeichnen die Personen. Siegfried Bülow, Leiter des Leipziger Porsche-Werks, erscheint beispielsweise wie die Mona Lisa vor dem Elbsandsteingebirge. Das Bildnis des Gynäkologen Prof. Dr. med. Renaldo Fabers erinnert ob seines strengen dunklen Pullovers mit weißem Hemdkragen an einen Richter.

Wie Sheherazade Geschichten gesammelt hat, um sie nach und nach zu erzählen, vereint auch die zehn Abgebildeten die Sammlerleidenschaft. Faber sammelt beispielsweise die genauen Daten ungeborener Kinder, Bülow vermutlich innovative Lösungen für die Zukunft von Porsche in Leipzig. Es sind Momentaufnahmen von Individuen, die Claudia Hauptmann auf die Leinwände bannt. Doch ist es nicht etwa eine 1:1-Kopie der Realität, sondern eine soziale, auf die sie abzielt. »Beim Porträt geht es mir um die Begegnung mit dem Menschen. Das persönliche Erleben der Person in Stimme, Geste und Ausdruck ist die Basis des Bildes. Wichtig ist es mir, den Menschen, der vor mir sitzt zu erforschen und seinem Wesen zu begegnen«, erklärt sie. Folglich bewegt sich ihre Malerei im Spannungsfeld von absoluter technischer Perfektion und rätselhaft religiösem Inhalt. Sie zeigt uns nicht nur klar Erkennbares, sie zeigt uns innerhalb des Realismus geradezu magische Momente, unterschiedliche Realitätsebenen werden vermittelt.

Vergänglichkeit und Ewigkeit umwehen die Werke gleichermaßen. Ganz deutlich wird dies an drei humorvollen in starken Hell-Dunkel-Kontrasten gemalten Bildern vom Verzehr eines Pfannkuchens. Stückweise verschwindet dieser, bis nur noch Krümel übrig sind. Doch wer hat ihn gegessen? Dieses Rätsel wird nicht gelöst.

Claudia Hauptmann lenkt uns von der ungemütlichen Frage ab, wie lange das eigene Leben wohl dauern wird oder wer es steuert. Einen so bezeichneten (Be)Sieger der Zeit gibt es immerhin: Es ist das Kasperle im letzten bzw. ersten Bild der Ausstellung gleich neben der Eingangstür. Auf dem gleichnamigen Bild ist er der Herr über einen Holzkopf, auf dem er frech grinsend sitzt – trotz des Krückstocks und des fehlenden rechten Arms. Wer ihn hinter den Kulissen gesteuert hat, bleibt unklar. Kasperle besitzt nämlich keine Schnüre, die ihn mit einem Marionettenspieler verbinden würden. Also warum Gedanken um die eigene Endlichkeit machen, wenn wir frei sein können. Frei in unseren Entscheidungen, Meinungsäußerungen oder der Wahl unseres Wohnortes, unserer Freunde, unserer Hobbys. Ich kann den Gang durch die Ausstellung daher nur wärmstens empfehlen!

Diese Seite teilen

Besuchen Sie uns