Ausstellungsbesprechungen

Corpus Christi, Christus Darstellungen in der Fotografie 1850 – 2001

Vor dem Eintreten in die nördliche Deichtorhalle musste man sich eines vollkommen klar machen: es handelt sich hierbei um eine Kunstausstellung. Es besteht und bestand in keinerlei Hinsicht die Absicht der Ausstellungsmacher, jemanden in seinem Glauben zu verletzten oder zu beleidigen. Rein der künstlerische Gehalt der ausgestellten Werke interessiert und die Geschichte der Thematik wurde versucht zu beschreiben.

Selbstverständlich ruft das Thema Glaube und Religion zur äußersten Vorsicht und besonders sensiblen und sorgfältigen Behandlung auf. Insbesondere ältere und streng religiöse Mitbürger können sich in ihrem Glauben angestoßen fühlen. Nicht selten sah man in der Ausstellung Menschen kopfschüttelnd, mit entgeisterten Gesichtsausdruck vor den Exponaten stehen. Andere wiederum lachten und schlugen sich auf die Oberschenkel. Und nicht selten stellte man sich die Frage, wie man auf einige Bilder zu reagieren hat. Denn, wie hat man auch auf ein Bild zu reagieren, auf dem ein Mann und eine Frau in akrobatischen Übungen das Geschlecht des anderen in den Mund nehmen und in ihrem Hintergrund, speist Christus ein letztes Mal mit seinen Jüngern, wie es die Collage „Das letzte Abendmahl“ (1934) des französischen Künstlers Georges Hugnets zeigt? Der Autor des Kataloges, Nissan N. Perez, gesteht, dass es sich dabei um ein weniger bemerkenswertes Beispiel aus der Zeit der Surrealisten handelt, es sei eine „provozierende und sogar gotteslästerliche Fotocollage ... [welche] für sich selbst spricht.“ (Seite 18), es gehöre aber zu den wenigen wirklich angreifenden und provozierenden Beispielen in der Ausstellung.  

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Erstmals in seiner über 150jährigen Geschichte widmet sich eine Ausstellung ausschließlich der Verwendung von christlichen Motiven in der Fotografie. Trotzdem das Thema heute eher selten im künstlerischen Mittelpunkt steht, ist die Zahl der Künstler, welche sich christlicher Motive bedienen und sich dem Thema zuwenden erstaunlich groß. Auch das Publikum beweist ein starkes Interesse, so dass man zu dem Schluss kommt, dass die Besonderheit der Thematik und womöglich die Angst davor bisher zu groß war, sich diesem zu widmen. Organisiert wird die Ausstellung von dem Israel Museum in Jerusalem. Möglicherweise schaffte gerade diese Position des Museums in Jerusalem, im Heiligen Land, welches vor 2000 Jahren Geburtsstätte des Christentums war, genau den einzigartigen Umstand, sich dem Thema zu widmen.

 

Es werden rund 150 Exponate von insgesamt 81 Künstlern, unter ihnen bekannte Photographen wie Man Ray, Robert Mapplethorpe oder Annie Leibovitz, ausgestellt. Der Einfluss religiöser Motive auf die abendländische Kunst wird reflektiert und dokumentiert. Die Allgegenwart von Religion wird sichtbar. Einige Künstler stellen sich selber als Christus dar oder inszenieren biblische Ereignisse und Passagen aus der Heiligen Schrift. Dabei folgt nicht jeder Künstler einem religiösem Konzept oder einer Idee, oftmals, wie bei der erwähnten Fotocollage Hugnets, geht es ausschließlich um die Provokation und das Banale. Ein weiteres Beispiel dafür ist die „Madonna at The Garage in Assumption on a Pneumatic“ von 1990. Der Künstler Orlan hat eine Madonna auf den Zylinder einer Hebebühne in einer Autowerkstatt gestellt, neben ihr scheint Weihrauch in einem Auffangbecken für Altöl zu qualmen.

 

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Die zeitgenössische Fotografie will vor allem subversive, kommerzielle und satirische Aussagen mit der Verwendung christlicher Symbolik schaffen. Duane Michaels bedient sich Christus und zeigt ihn als normalen Menschen in seiner Reihe Christ in New York von 1981, ohne dabei auf bestimmte Merkmale, wie den Heiligenschein zu verzichten und ihn damit klar zu identifizieren. In dem er sich einfachster Mittel bedient, präsentiert er uns auf bedrückende Art und Weise den gegenwärtigen Zustand des Menschen und den hilflosen Christus, der diesem Grauen gegenüber steht. Religion wird angezweifelt und stark kritisiert; kein Gebet kann den Hunger der Hundefutter essenden ukrainischen Frau in Brooklyn stillen. Am Ende ist selbst Christus sterblich und scheitert: „his second coming had occurred and no one noticed“ heißt es in der Bildunterschrift lapidar. Von Jugendlichen erschossen, liegt er auf der Strasse.

 

Die Ausstellung, welche als einzige Station in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen war, ebnet den Weg für eine aktuelle und überfällige Diskussion über Religion auf dem Gebiet der Kunst.

 

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