Ausstellungsbesprechungen

Courbet - Ein Traum der Moderne, Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main, bis 30. Januar 2011

Der französische Maler Gustave Courbet (1819–1877) ist einer der faszinierendsten Künstler des 19. Jahrhunderts. Er gilt als bedeutendster Vorkämpfer einer politisch-realistischen Malerei und als Revolutionär der Pariser Commune. Courbet hat aber auch eine ganz andere Seite: Er war einer der großen Träumer der Geschichte. Die Schirn Kunsthalle versucht in ihrere Ausstellung genau diesen Courbet zu zeigen. Günther Baumann hat sich die Schau angesehen.

Manche Marke steht sich auch ’mal selbst im Weg und je berühmter sie ist, desto eher läuft sie Gefahr im Ruhm steckenzubleiben. Wir kennen das aus der Werbung: Eine gute Marke trägt sich im besten Fall selbst. Aber diese, aus welchen Gründen auch immer, zu ändern, ist mehr als mühsam. Nun kommen in der Kunst nicht so viele Marken vor: Im 20. Jahrhundert sind es sicher Picasso oder Beuys, die einigermaßen fest situiert sind. Am Bild dieser Größen zu drehen, ist ein weites Feld der Rezeptionsgeschichte, was mit ein paar Andeutungen klar wird. Picasso hat sich selbst einer Festlegung entzogen, ist insofern aus dem Schneider; Beuys wird zuweilen als Marke für oder gegen die Anthroposophie positioniert, wogegen er letztlich immun zu sein scheint; bei lebenden Künstlern bestimmt oft der Markt die Marke wie zum Beispiel bei Uecker, der so auf die Nägel festgelegt ist, dass er schlecht beraten wäre, etwas anderes zu ändern. Noch einmal anders liegt der Fall bei Künstlern wie Gustave Courbet, der in der Kiste der Kunstgeschichte schlummert und das nicht so schlecht: Er dürfte zu den zwei Handvoll Künstlernamen gehören, denen man in der Schulzeit begegnet und der ins Repertoire des „Abhakwissens“ gehört. Das ist nicht wenig, aber auf Gedeih und Verderb ruht er nun in der Kiste mit der Aufschrift „Realismus“, und selbst, wenn das Interesse tiefer geht, wird allenfalls die Ecke jener Kiste näher beschrieben und zwar als sozialer Realismus. Es ist auffallend, dass man sich für gewöhnlich gerade bei den bekannten Künstlern mit ein paar Werken begnügt, die – um im Bild zu bleiben – immer aus derselben Kiste stammen. Vielleicht steckt dahinter die Sorge, man könnte einen ganz anderen Menschen entdecken.

Die Frankfurter Schirn hat mehr als 80 Gemälde – dazu kommen noch etliche Zeichnungen und Briefe – von Gustave Courbet versammelt, um genau diesen anderen Gustave Courbet zu finden, um seine Marke »sozial-realistischer Maler« aus der Kiste zu kriegen und seinen Namen auf andere Kisten zu verteilen, an deren Etiketten dann schon „Romantik“ und „Symbolismus“ steht. Auch die »Realismus«-Aufschrift bleibt ihm zugestanden, allerdings magisch unterwandert, was die gängigen Schemata schon ins Wanken bringt. Ob es gelingen kann, Courbet gleich zum Modernen zu machen, darf man bezweifeln, wie es auch schwierig ist, einen Beziehungsfaden von Courbet in die Gegenwartskunst zu legen. Aber dennoch ist die Ausstellung ein Segen, weil sie endlich einmal in großem Stil einen Maler zeigt, dessen Name bekannter ist als sein Werk: Die Ausstellungsmacher haben ihn sozusagen vor der Versenkung bewahrt, indem sie den einfühlsamen Porträtisten, den sozial engagierten Beobachter, den Naturfreund, den Liebenden und den Verzweifelnden in den Exponaten in Szene setzt. Einmal spielt Courbet mit mythischen Themen, um erotische Szenen zu evozieren (Frau mit Papagei), einmal nimmt er Elemente des Impressionismus vorweg, um der Realität näher zu kommen (in der Felsenküste bei Etretat), einmal verbrüdert er sich im Geiste mit den Symbolisten (Bildnis einer Frau mit Dahlien), und ein anderes Mal geht der Schalk mit ihm durch (Selbstporträt in Gestalt einer Pfeife) usw. Wie er die Welt sah, war in seiner Zeit nicht nur formal revolutionär, sondern auch im Kontext des Marxismus. Aber sein Menschenbild ging tiefer, ließ sich nicht auf die politische Utopie festlegen. Seine Utopie war existenzieller Natur, von einer menschlichen Wärme, die bislang zumindest hierzulande noch nicht so deutlich spürbar wurde, wie in der Frankfurter Ausstellung – als Beispiel reicht ein Blick auf die Porträts, insbesondere das des Malers Paul Chenavard, der gänzlich konträre Auffassungen von der Malerei hatte wie Courbet. Und schließlich erschließt sich in der Schau ein Landschaftsmaler, der der Natur – vor allem dem Meer – so tief in ihr Zentrum sah, dass sein Realismus schon nicht mehr wirklich war. Wie heißt es doch bei Courbet: »Ich bringe selbst die Steine zum Denken«. Dazu bedarf es allerdings nicht unbedingt moderner Gewährsleute wie Beckmann, de Chirico oder Picasso, die wohl in Courbet einen Ahnherrn gesehen haben.

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