Ausstellungsbesprechungen

Cranach in Weimar, Schiller-Museum Weimar, bis 28. Juni 2015 (verlängert)

Wer sich dieser Tage nach Weimar begibt, dem begegnen im Stadtbild immer wieder seltsame Gestalten. Sie sitzen auf Bänken, den Blick teils in die Ferne gerichtet, teils laden sie ein, sich zu ihnen zu gesellen. Es sind Gestalten aus den Bildern Cranachs und sie weisen auf den zweiten Teil der Thüringer Trilogie rund um die Cranach-Werkstatt damit auch auf eine besondere Cranach-Referenz in Weimar hin: Den Altar in der Stadtkirche St. Peter und Paul. Stefanie Handke hat Lucas Cranach und Co. in die Augen geschaut.

Unbestritten ist natürlich die Bedeutung des Weimarer Altars für die Ausstellung: Er wird nicht nur auf einem Spaziergang durch Weimar einbezogen, nein, er begrüßt den Besucher auch im Schillermuseum: Als hochauflösende digitale Darstellung lädt er dazu ein, Details zu erkunden vom Lamm bis zur Bevölkerung der Hölle. Das ist auf den ersten Blick eine schöne Spielerei; auf den zweiten Blick offenbart der Altar so seine ganze Brillanz, seinen Detailreichtum und die meisterliche Ausführung. Obendrein sind die Bildmotive mit Hintergrundinformationen versehen, die auf dem Bildschirm eingeblendet werden, während der gewählte Ausschnitt überlebensgroß an die Wand projiziert wird: Auge in Auge mit Luther, Cranach und Co. also.

Nach diesem Blick auf das Herzstück des Cranach’schen Weimars präsentiert man auch weiterhin vor allem Werke aus den eigenen Sammlungen; ergänzt wird das Ganze durch 20 hochkarätige Leihgaben, etwa das Porträt Lucas Cranachs d. Ä. aus den Uffizien in Florenz – geschaffen von seinem Nachfolger, dem es erst 1947 zugeordnet wurde, nachdem es lange Zeit als Selbstporträt gegolten hatte. Ein würdiger Herr blickt uns hier entgegen und schaut vielleicht auch ein wenig zurück auf sein Lebenswerk. Übrigens tut er das auch auf dem Altar; ja, man kann sogar davon ausgehen, dass beiden Darstellungen derselbe Entwurf zugrunde liegt. Bereits dieses Porträt zeigt, dass der Jüngere der beiden Cranachs weit mehr war als nur ein im Schatten des Vaters agierender Sohn: nämlich ein kompetenter und ambitionierter Künstler. Damit ist der erste Abschnitt der Ausstellung eingeleitet und bringt den Besucher ganz ins Thema »Cranach in Weimar«. Vor allem die Künstler als Dienstleister des Hofes stehen im Mittelpunkt der Ausstellung. Der erste Teil wirft Schlaglichter auf die Geschichte der Werkstatt und die Biografie des älteren Cranach. Hier fallen einige Porträts auf: Karl V. (1550/51), der Verwandte Christian Brück (1549) oder Gregor Brück (1557) offenbaren Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede im Schaffen von Vater und Sohn. Unvermeidlich mag der Komplex von »Gesetz und Gnade« sein, der im Gothaer Teil der Ausstellungstrilogie eine so große Rolle spielt, jedoch kann man ihm in Weimar vor allem als Motiv begegnen: In Entwürfen für Leuchter, als Titelrahmen und natürlich für Gemälde und Holzschnitte.

Auch dem Verhältnis der Cranach-Werkstatt zur Reformation widmet sich die Klassikstiftung: »Glaube und Reformator«. Die neuen Bildmotive rund um die lutherische Lehre, antike Themen im neuen Kontext und natürlich Bildpropaganda zur Reformation begegnen uns hier. Natürlich tummelt sich der Reformator Luther gleich mehrfach: In seiner berühmten Verkleidung als Junker Jörg (1521/22), als Mönch mit Doktorhut in mehreren Holzschnitten oder nach seiner Hochzeit als Halbfigur (1528). Ungleich bedeutender aber sind die zahlreichen Holzschnitte in Form von Illustrationen: Das »Passional Christi und Antichristi« verdankt seine Popularität nämlich nicht nur dem polemischen Inhalt, sondern auch den von Cranach d. Ä. geschaffenen, treffenden Illustrationen. Detailreich sind sie freilich, unmittelbar und emotionsgeladen, auch heute noch leicht zugänglich. Analog zum Text stellt der Künstler die Demut und Bescheidenheit Christi der Eitelkeit und Machtgier des katholischen Papstes gegenüber: Während Letzterer sich stets auf seinem Thron über andere erhebt und in prächtigen Räumen residiert, ist Christus auf einer Höhe mit seinen Mitmenschen und hält sich in einfachen Verhältnissen auf. Ein regelrechter Affront ist dabei ein Holzschnitt, auf dem sich Herrscher und Adelige dem Papst in dienender Haltung nähern und ihm die Füße zu küssen haben – konfrontiert mit einem Jesus Christus, der Petrus die Füße wäscht.

Bei aller lutherischen Programmatik, war Lucas Cranach d. Ä. vor allem Hofmaler, immerhin kann die Ausstellung ja auch seinen Bestallungsvertrag vorweisen. Da dürfen die Fürsten, denen er diente, natürlich nicht fehlen. Ein regelrechtes Tryptichon aus Friedrich dem Weisen, Johann dem Beständigen und Johann Friedrich dem Großmütigen blickt auf den Betrachter herab. Zwischen 1540 und 1545 schuf der Künstler dieses kursächsische Dreigestirn der Reformation. In vollem Ornat samt Kurhut, Hermelin und Erzmarschallschwert bildete er die Fürsten ab. Die beiden Vorfahren Friedrich II. der Sanftmütige und Ernst von Sachsen fehlten spätestens seit dem 19.Jh., doch die drei noch vorhandenen Fürsten illustrieren die Arbeit der Cranach-Werkstatt bestens: die Kleidung und der neutrale Hintergrund sind standardisiert, damit schnell und einfach zu produzieren und die Porträts entscheiden sich vor allem aufgrund der Köpfe, die aus dem Ornat ragen und der Art und Weise wie die Schwerter geschultert werden.

Individualistischer sind da natürlich die Porträts Johann Friedrichs und dessen späterer Braut Sybille von Jülich-Cleve. Sie gehören zweifellos zu den bekanntesten Porträts Cranachs und dürfen in einer Weimarer Ausstellung keinesfalls fehlen. Die fast sphärische, damals 14-jährige Braut ist mit offenem Haar dargestellt, das Cranach stets für jungfräuliche Prinzessinnen und Heilige reservierte – die Reinheit in Person. Das Brautpaar ist dank Federschmuck und farblich abgestimmter Kleidung aufeinander bezogen, die Abgebildeten einander zugewandt, auch wenn sie keinen Blickkontakt aufnehmen. Nicht Teil dieser Gruppe, wohl aber zur selben Zeit entstanden, ist das Porträt Johanns des Beständigen.

Nicht vergessen werden dürfen in einer Besprechung die in die Ausstellung eingebauten Exkurse: Unvermeidlich natürlich Goethe und das Bauhaus, aber noch zwei andere Räume thematisieren den Umgang mit Cranach seit dem 18. Jahrhundert: »Der klassizistische Blick« und die »Verlorene Venus«. Die Zeit der Weimarer Klassik ist dabei zwar zweimal Thema, aber langweilig ist das noch lange nicht: Studien, Cranachbüsten und -bilder sowie weniger bekannte Holzschnitte Cranachs zeugen von der Auseinandersetzung Goethes und Co. mit dem Künstler der Reformationszeit. Natürlich ist damals auch die erste umfassendere Studie zum Cranach-Altar in Weimar entstanden: 1813 von Johann Heinrich Meyer verfasst, misst sie insbesondere den Bildnissen Cranachs und Luthers entscheidende Bedeutung zu und gibt den Bildinhalt in Kupferstichen wieder. Auch Carl Wilhelm Lieber beschäftigte sich im Rahmen der Restaurierung erstmals mit den Bildern Cranachs und nahm sie sich auch später wieder vor. Goethe dagegen hatte eher die Grafiken und Zeichnungen im Blick; Einblattholzschnitte und Holzschnittfolgen, je ein Kupferstich und eine vermeintliche Zeichnung Cranachs befanden sich in seinem Besitz. Die davon ausgestellten Werke stammen zum großen Teil aus den ersten Jahren des 16.Jh. und weisen noch nicht den typischen Stil eines Cranach auf, geben aber bereits die Richtung der späteren Darstellungsformen vor: ausdrucksstarke Gesten und wenige, aber unmittelbar erfahrbare Figuren.

Statt Bildinhalten waren im Bauhaus eher Formen und Rhythmen interessant: verschiedene Studien der Bauhaus-Schüler sind hier zu sehen. Insbesondere die theoretische Beschäftigung mit der Cranach-Werkstatt fällt dabei auf: Schriften Bruno Adlers und die darin enthaltenen Studien Ittens illustrieren, dass Cranach für Übungen herhalten musste und insbesondere seine Schwünge, Rhythmen und Formen studiert wurden. Auch einige Grafiken Lyonel Feiningers zeugen eher vom indirekten Einfluss der mitteldeutschen Meister.

Die »Verlorene Venus« erzählt dagegen von zwei Verlusten, die die Cranach-Sammlung in Weimar zu verbuchen hat. Beide sind quasi durch Diebstähle verloren gegangen; die »Venus mit Cupido als Honigdieb« (1530) ging in den Nachkriegswirren 1945 verloren, eine andere Venus wurde 1939 Adolf Hitler geschenkt und ist ebenfalls verschollen. Briefe und Fotografien der Bilder dokumentieren ihre Geschichte, zwei leere Wände mit Tafeln weisen eindrucksvoll auf diese herben Verluste hin.

Natürlich hat die Schau auch andere schöne Körper zu bieten, denn während der Reformationszeit interessierte sich die Hofkunst mehr und mehr für den menschlichen Körper. Entsprechend sind Venusdarstellungen und Abbildungen Adams und Evas ausgestellt – und natürlich dir reizende »Caritas« (1537) Cranachs d. J. Ein Kind an ihrer rechten Brust stillend, nur mit einem Schleier bekleidet, lässt sie verschiedene Deutungen offen: als kreative Variante einer Gottesmutter Maria, auf die die Darstellung mit Apfelbäumchen (Äpfel als Christusattribut) in einem hortus conclusus, prächtigem Schmuck und als stillende Dame hinweist oder – nach einer neueren Deutung Michael Wiemers – als eine der drei Chariten und damit in enger Verbindung zu anderen Venusbildern.

Mit dem Abschluss durch Venus und Co. schafft es die Ausstellung in Weimar, das ganze Spektrum des Cranachschen Schaffens zu umspannen und zugleich unbekanntere Werke ansprechend zu präsentieren; vom Holzschnitt bis zum Design-Entwurf, vom lutherischen Lehrbild bis zum schönen Körper, vom höfischen Porträt bis zum Altarbild findet sich hier alles. Referenzwerk bleibt dabei der Cranach-Altar. Dank neuester Technik können die Besucher diesen aus nächster Nähe erleben – auch wenn sie den Gang in die Herderkirche dennoch nicht scheuen sollten! Vor allem die »Exkurse« bieten spannende Einblicke in Rezeption und Umgang mit den altmeisterlichen Werken der mitteldeutschen Künstlerwerkstatt und machen sie zu einer echten Bereicherung!

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