Ausstellungsbesprechungen

Cy Twombly – States of Mind. Malerei, Skulptur, Fotografie, Zeichnung. Museum Moderner Kunst, Wien, bis 11. Oktober 2009

Wenn es heute noch einen lebendigen Umgang mit dem Mythos gibt, muss er so aussehen wie die skriptorale Malerei eines Cy Twombly – dieses Werk und sein Schöpfer scheinen darüber keinen Zweifel zuzulassen. Wie kaum ein anderer – lebender – Künstler genießt er Kultstatus.

Cy Twombly, Empire of Flora, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Sammlung Marx, Foto: Jochen Littkemann, © Cy Twombly und bpk / Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Sammlung Marx, SMB
Cy Twombly, Empire of Flora, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Sammlung Marx, Foto: Jochen Littkemann, © Cy Twombly und bpk / Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Sammlung Marx, SMB

Zur Eröffnung der Wiener Mammutschau wehte er durchs Mumok, und bevor er wahrgenommen wurde, war er auch schon wieder verschwunden. Der über 80jährige Twombly hat sich in seinem Werk eingerichtet; dass er in Rom, Bassano, Gaeta wohnt und wirkt, hat an sich eine symbolische, wenn nicht mythische Qualität. Tatsächlich kommt sein grandioses Werk ohne Vita aus, er macht kein Aufsehen darum, obwohl sie durchaus etwas hermacht. Der 12jährige Cy – den Kurznamen erbt Edwin Parker Twombly von seinem Vater – kopiert Picasso, liest in der Folge Bücher über expressive Positionen in der Kunst, lernt Beckmann und Kokoschka, Rauschenberg und Motherwell kennen, verfolgt aufmerksam das Schaffen von Kollegen von Corinth über Soutine bis hin zu Kline, de Kooning, Newman, Pollock sowie Morris und Flavin, liest Mallarmé und Rilke, lässt sich inspirieren von der Musik John Cages, bereist Ägypten und Griechenland. Aber all das sind letztlich farblose Stationen, die sich erst über das ganz eigenständige epochale Werk zur sinnvollen Kulisse aufbauen.

Die Tragweite des Twomblyschen Schaffens wurde selten so umfassend gezeigt wie in Wien. Unter dem Motto »States of Minds« und dem Untertitel »Sensations of the Moment« präsentiert das Mumok Gemälde, Zeichnungen, Plastiken und Fotografien, die im Wechselspiel neue Einblicke auf das künstlerische Werk zulassen. Twomblys Malerei ist über weite Strecken gezeichnet, seine Zeichnungen selbst entpuppen sich als Schriftzüge oder bekommen durch ihr verhaltenes Pathos malerische Dimensionen, wie auch die farbig gefassten oder geweißten Plastiken der Malerei verpflichtet sind, und die Fotos reflektieren die Arbeit im Ganzen. Vordergründig sind die charakteristischen Zeichen, unbeholfene Kritzeleien, bei vertiefter Betrachtung lassen sie sich aber entziffern als gestische Reaktionen oder besser Kommentare auf literarische und mythische Bilder. Dabei ist es faszinierend, mit welch simplen Mitteln Twombly den Blick des Betrachters auf die Arbeiten zu bannen versteht. Zunächst glaubt man – den scheinbar flüchtigen Krakel- und Geschmierspuren folgend – überdimensioniertes Konzeptpapier vor sich zu sehen. Aber in Wirklichkeit handelt es sich um Leinwände, auf denen der Künstler drauflos zeichnet, übermalt, verwirft, Farbe mal klecksend, mal schlierig aufträgt, von Bleistift auf den Pinsel und umgekehrt wechselt, Wortfetzen memoriert – die dann meist den Titel markieren oder thematisieren – , Zahlenreihen notiert, Hintergrund und Vordergrund gegeneinander ausspielt. Dabei geht es um hehre Dinge. Die »Schule von Athen«, Inbegriff der Philosophie, oder die »Schule von Fontainebleau«, Inbegriff der Malerei, werden evoziert, das »Reich der Flora«, stellvertretend für die mythische Welt, wird beschworen. Betrachtet man die Fragilität der »Orpheus«-Bilder, mit der Twombly einen Weg von Rilkes berühmtem lyrischen Zyklus in die halb gemalte, halb gezeichnete Welt der Kunst bahnt, stockt einem leicht der Atem. Welch Wagnis muss es sein, hier einen Buchstaben, ein Wort anzudeuten, dort – und das heißt: über eine größere Fläche – das Weiß des Untergrunds zu belassen! Freilich, nicht jedem mag diese Kunst zugänglich sein, wer jedoch ein Sensorium für die Zartheit des Gedankens in seiner Entstehung, für das Zusammenspiel von Schriftzeichen und malerischer Spur hat, dem erschließt sich ein Jahrhundertwerk. Die rund 200 Arbeiten der Wiener Ausstellung, der man die diversen Jubiläumspräsentationen zum 80. Geburtstag des Künstlers oder auch die zauberhafte Twombly-Etage im (relativ) neuen Brandhorst-Museum in München zur Seite stellen kann, machen dies deutlich. Nicht zuletzt die Fotodokumente, die teils eigenständige Kunstwerke, teils Werk- bzw. Atelierbeobachtungen, teils metaphorisch-meditative Stillleben und Selbstporträts sind, machen die Ausstellung zu einem Erlebnis.

Eine Großtat ist zudem der Katalog, den der Verlag Schirmer-Mosel vorgelegt hat. Die sensible Strichwelt Cy Twomblys in Reproduktionen wiederzugeben, ist außerordentlich schwer – der üppig bebilderte Band hat sich dieser Herausforderung mit Bravour gestellt. Überdurchschnittlich sind auch die essayistischen Beiträge, die den Blick auf das Werk en détail, aber auch im Ganzen lenkt und leitet. Die Textbeiträge stammen von Edelbert Köb, Achim Hochdörfer, Johanna Burton, Peter Geimer und Gregor Stemmrich, Künstlerbeiträge von Jeff Wall und Franz West bereichern den Band quasi als Dessert, und die fotografische Hommage von Tacita Dean ist das Sahnehäubchen obendrauf.

Weitere Informationen

Öffnungszeiten:
Mo-So 10.00-18.00 Uhr
Do 10.00-21.00 Uhr 

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