Ausstellungsbesprechungen

Damien Hirst, Tate Modern London, bis 9. September 2012

Hirst ist ein Künstler, der nicht leicht zu greifen ist. Von den Einen wird er bejubelt, von den Anderen als Scharlatan bezeichnet, der die Kunstwelt zu bluffen weiß. Seine Werke schwanken zwischen inspirierend und abstoßend – immer schwingt der Gedanke an Vanitas und Tod mit. Nun feiert er in der Londoner Tate Modern mit der Retrospektive seiner Arbeiten womöglich auch den Zenit seines Schaffens. Anett Göthe erklärt Ihnen warum.

Die Ausstellung beginnt mit dem Anfang seiner Karriere – als seine Arbeiten noch fast unschuldig waren. Im ersten Raum wird Hirsts frühes Werk »Boxes« aus den 80er Jahren gezeigt, das noch während seiner Studienzeit am Goldsmith College entstand und den Einfluss des amerikanischen Minimalismus erkennen lässt. Diese Arbeit setzt sich aus 81 mit buntem Haushaltslack bemalten Kartons unterschiedlicher Größe zusammen und lässt bereits die Idee seiner später entstandenen und präzise komponierten »Spot Paintings« erahnen.

Bereits im zweiten Raum finden sich dann seine allseits bekannten »Spot Paintings« aus den neunziger Jahren, die in ihrer Perfektion ungeheuer gesteigert wurden. Die Punkte haben exakt die gleiche Größe und den gleichen Abstand. Aber jeder Punkt trägt eine andere Farbe. Für Hirst ist es eine Art wissenschaftlicher Annäherung an die Malerei. Auf diese »Spot-Paintings« angesprochen, äußerte sich Hirst einmal sinngemäß, dass er die Struktur dieser Bilder benötige, um die Farbe und das Werk zu kontrollieren, bevor sie ihn kontrollieren. Das klingt ein bisschen nach einem Kampf, den sich Hirst mit der Malerei liefert.

Die Punkte-Raster ziehen sich – mal größer, mal kleiner – durch die gesamte Ausstellung. Assoziationen zu den Punkten in Bridget Riley’s Arbeiten oder zu Gerhard Richters Farb-Rastern kommen dem Betrachter in den Sinn. Doch drängt sich der Eindruck auf, dass Hirst mit seinen »Spot-Paintings« eine Art Markenzeichen schaffen will, dass jedoch in der Konzentration dieser Ausstellung zu einem hochpreisigen Dekor verkommt.

Die Idee der farbigen Punkte-Raster übertrug Hirst in seine medizinischen Kabinette. So zeigt »Lullaby, the Seasons« von 2002 ein buntes Sortiment aus originalgetreuen Kopien von Tabletten und Pillen – eingeordnet in makellos glänzenden Stahlkästen. Immer wieder greift er das Thema Ordnung auf und verweist damit auf Erinnerungen an seine Kindheit: Als er noch in Leeds lebte, besuchte er zahlreiche naturhistorische Ausstellungen im Stadtmuseum, die ihn wohl nachhaltig beeindruckten.

Eines der umstrittensten Kunstwerke dieser Ausstellung ist »A Thousand Years« von 1990. In einem großen gläsernen Kubus schwirren hunderte von Fliegen, die über einen am Boden liegenden abgetrennten Kopf einer Kuh krabbeln. Pflichtgemäß erfüllen sie ihr Schicksal – Essen, Brüten und Sterben. Der Mortalitätskreislauf wird extrem verdichtet und ist auf die Hälfte der Zeit verkürzt. Während der gläserne Kubus für die klare Geometrie des Minimalismus spricht, ist sein Inneres mit dem chaotischen Leben und Sterben eines künstlich geschaffenen Biotopes gefüllt.

Beim nächsten Ausstellungsobjekt, das gleich daneben wartet, geht es ähnlich traurig zu. In »Isolated Elements Swimming in the Same Direction for the Purpose of Understanding (Left) and (Right)« aus dem Jahre 1991 treiben Fische hoffnungslos in die gleiche Richtung: tot, konserviert und in Regalen verstaut. Sie gelangen mit ihren verschleierten und blinden Augen nie mehr irgendwohin. Es ist ein bisschen wie in einem Gruselkabinett. Auch hier drängt sich wieder der Bezug zu einem naturhistorischen Ordnungssystem auf.

Sterben, Tod, noch mehr Sterben, immer noch Tod: Das Ende nimmt kein Ende! Das Thema zieht sich durch die ganze Ausstellung. Die toten Fliegen verarbeitete Hirst noch einmal in einer Arbeit namens »Black Sun« aus dem Jahre 2004. Tausende von schwarzen toten Fliegen verkrusten die Oberfläche auf einer kolossalen runden Leinwand, die an eine riesige Reiswaffel erinnert. In dem Werk »Mother and Child Divided« von 1993 schwimmen eine halbierte Kuh und ein Kalb wie Geister in ihren Tanks voller Konservierungsmittel.

Doch am stärksten kommt Hirsts philosophischer Standpunkt über die Endlichkeit des Lebens in seinem 1991 entstandenen Werk »The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living« zum Ausdruck. In einer riesigen mit Formaldehyd gefüllten Glasvitrine schwebt bewegungslos und ruhig ein Hai, der von der Seite aus betrachtet, nicht wirklich beängstigend wirkt. Doch die Position Auge in Auge mit dem Tier und der Anblick des aufgerissenen Maules und der bedrohlich wirkenden Zähne erwecken tatsächlich Angstgefühle.

Der Hai in Formaldehyd ist Hirsts bekanntestes Werk und erzielte bereits in der Sammlung von Charles Saatchi, der Hirst mit der Schaffung dieser Arbeit beauftragte, große Aufmerksamkeit. Saatchi verkaufte den Hai im Jahre 2004 für etwa 9 Mio. Euro an den amerikanischen Hedge Fund Manager Steven A. Cohen, der das Hai-Präparat allerdings schon wenig später austauschen lassen musste, da es nicht optimal konserviert war. Infolgedessen entbrannte eine Diskussion über den Wert dieses Kunstwerkes. Mit all diesen Informationen im Hinterkopf kann man es beim besten Willen nicht mehr vorbehaltlos betrachten. Dem Hai geht es wie vielen anderen Arbeiten in dieser Schau: Das Wissen um Hirsts Prominenz, seine Finanzen, seine Marktdominanz und Medienpräsenz machen es fast unmöglich, seine Kunstwerke frisch und unvoreingenommen zu sehen.

Der Rundgang durch die aktuelle Tate-Show macht deutlich, dass Hirsts Werke über die Jahre immer schwülstiger wurden und der Künstler sich immer wieder selbst kopierte. Der vorletzte Raum der Ausstellung zeigt deutlich diese opulente, aber oberflächliche Steigerung seines Konzeptes. Alle Werke sind Wiederholungen, die jedoch in extravagantem Gold und funkelnden Diamanten ausgeführt wurden. Auch hier gibt es ein »Spot-Painting«, allerdings ist der Untergrund für das Punkteraster nicht weiß, sondern er schimmert golden. Auch hier wartet auf den Besucher ein Medizin-Kabinett. Aber die bunten Pillen wurden durch etwa 30.000 funkelnde Diamanten ersetzt. Die Wände dieses Raumes ziert eine Tapete, die als Dekor das Cover des Sotheby’s Sale Kataloges vom September 2008 zeigt. Auf dieser Auktion wagte Hirst etwas absolut Neues, indem er etwa 240 seiner neu geschaffenen Werke über ein Auktionshaus direkt auf den Markt brachte. In der Mitte des Raumes findet sich noch eine Vitrine, die noch einen Hai in Formaldehyd enthält. Auch dieser Hai hat sein Maul weit aufgerissen. Jedoch erscheint das Tier in seiner Konservierungslösung nicht mehr beängstigend, sondern nur noch bemitleidenswert.

Die Schau endet mit einem kleinen Raum, in dem nur zwei Objekte zu sehen sind. In der Arbeit »The Incomplete Truth« von 2006 schwebt in einer Vitrine eine weiße Taube. Die gespreizten Flügel und die geöffneten Augen erwecken den Eindruck, das Tier könnte jeden Augenblick davonfliegen. Leider ist es nur eine Illusion, denn die Taube wurde wie die anderen Tiere in Formaldehyd konserviert. Hirst spielt bewusst mit allen Assoziationsmöglichkeiten (Hoffnung, Heiliger Geist, Frieden) und lässt alles offen. Auch der Titel der Arbeit bleibt absichtlich mehrdeutig. Hirst sagte mal über seine Kunst: »In einem Kunstwerk versuche ich immer etwas auszudrücken, um es gleichzeitig zu leugnen«.

Die Ausstellung schließt mit einem »Spot-Painting«, das nun jedoch glänzend weiße Punkte auf weißem Grund zeigt. Es scheint, als ob der Künstler nach all der Steigerung und des Überflusses die Farbe, und somit seine Sprache, verloren hat. Das Bild ist mit einem Blattgoldrand versehen und trägt den bedeutungsvollen Titel »Remembrance«. Vielleicht ist es ein Gedenken an das erste »Spot-Painting«, als die Farben der frisch und ungezwungen wirkenden Punkte noch unschuldig ineinander liefen und eine Kraft und Idee transportierten, die den späteren Werken abhanden ging.

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