Ausstellungsbesprechungen

Dancing with myself. Selbstporträt und Selbsterfindung, Museum Folkwang, Essen, bis 15. Januar 2017

Das Ich und immer wieder das Ich – Künstler malen nicht nur ihre Umwelt, nein, sie stellen auch immer wieder die Frage nach ihrer eigenen Rolle darin, setzen sich in Szene, suchen in Selbstporträts nach der eigenen Person und spiegeln ihre Persönlichkeit natürlich auch in ihren Werken. Im Museum Folkwang bekommen sie daher nun ihren ganz großen Auftritt, mit einer Ausstellung, die sich ganz auf das Selbst des Künstlers konzentriert. Lotus Brinkmann hat eine spannende Schau entdeckt.

Maurizio Cattelan – We – 2010 – Detail © Maurizio Catellan – Foto Zeno Zotti.jpg
Maurizio Cattelan – We – 2010 – Detail © Maurizio Catellan – Foto Zeno Zotti.jpg

Im wörtlichen Sinne tanzt tatsächlich nur eine einzige Künstlerin in den Räumen des Museum Folkwang. Dabei referiert Lili Reynaud-Dewar keineswegs auf Billy Idols der Ausstellung ihren Namen borgende Hit-Single von 1980, sondern auf den Stil Josephine Bakers, einer Ikone der 1920er Jahre – und das auch noch ohne Ton. Gemeinsam ist den Selbstrepräsentationen der drei jedoch die Wechselbeziehung zwischen künstlerisch erschaffener Persona und Persönlichkeit. So handelt es sich bei Lili Reynaud-Dewar nicht um ein Selbstporträt im klassischen Sinne, bei dem ursprünglich die Wiedergabe der äußeren Erscheinung und sozialen Stellung sowie das persönliche (Selbst-)Verständnis im Vordergrund standen, vielmehr dient ihr Körper als Material, um komplexere Zusammenhänge darzustellen.

Wird also im wörtlichen Sinne nicht getanzt, verweist der Ausstellungstitel einzig auf die Nutzung des eigenen Körpers im Kunstkontext, so tanzen doch die Werke virtuos miteinander: Der größte Teil der gezeigten Arbeiten entstammt der in Venedig beheimateten Sammlung Pinault, diese werden von Stücken des gastgebenden Folkwangs komplementiert. Die neuen Kontexte eröffnen neue Deutungen – die beiden Selbstporträts Claude Cahuns vom Ende der 20er Jahre, eines aus Venedig, das andere aus Essen, ergänzen sich in einem intimen Pas de Deux und bilden gleichzeitig die Ouvertüre für das Corps de Ballet der sie umringenden Künstler der 70er Jahre und deren Rollenspiele. Wie in einen Reigen reihen sich die Essener Untitled Filmstills von Cindy Sherman in ihre jüngsten Fotografien aus der Pinault Collection und fragen nun nicht mehr nur nach den Metamorphosen durch eine Rolle, sondern auch nach denen durch das Alter.

Insgesamt fällt auf, wie häufig die Vertreter der Gegenwartskunst bei ihrer Auseinandersetzung mit dem Selbst die Medien Fotografie und Video/Film als vermeintlich authentischste Möglichkeit des Abbilds nutzen. Auch ohne Tanz und Musik ist vielen der Videos und Fotoserien ein Rhythmus eingeschrieben. So lässt sich Bruce Nauman in »Bouncing in the Corner« eine knappe Stunde lang immer wieder in eine Ecke seines Ateliers fallen und filmte sich bei dieser und anderen selbst gestellten Aufgaben. Die Verknüpfung des Körpers mit Regelmäßigkeit/Wiederkehr scheint Künstler zu beschäftigen, als manifestiere sich hierin die Erkenntnis, dass der Reproduktion des Lebens, dem Ausgangspunkt zur Erschaffung eines Selbst, rhythmische Bewegung vorausgeht.

Dem Verlauf des Lebens und seinem Entschwinden widmet sich insbesondere der erste Teil der in vier Kapitel gegliederten Ausstellung unter dem Titel »Melancholie«, spätestens seit Dürer ein mindestens genauso klassischer Künstlertopos wie das Selbstporträt. Hier changiert die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergänglichkeit zwischen Ironie und wissenschaftlicher Distanziertheit, Gegenständlichkeit und weitestgehender Reduktion des Selbst bis zur Abstraktion. Alighiero Boetti setzt sich mit seiner Gehirntumor-Diagnose mittels der dampfenden Bronzefigur »Selbstporträt. Mir raucht das Hirn« auseinander, während Félix González-Torres den Besucher mit seiner Aids-Erkrankung per Durchschreiten eines Perlenvorhangs bestehend aus roten und weißen Schnüren konfrontiert. Auf der anderen Seite gibt ein Diagramm über den täglichen, unweigerlichen Rückgang der T-Lymphozyten-Rate im Blut des Künstlers Auskunft.

Während bei González-Torres das Private eine politische Dimension gewinnt, ebenso wie bei Cindy Sherman die Befragung der Geschlechterverhältnisse und Rollenzuweisungen an die Frau im Kapitel »Identitätsspiele«, nutzt insbesondere eine jüngere Künstlergeneration den eigenen Körper explizit als Mittel der politischen Auseinandersetzung. LaToya Ruby Frazier thematisiert mit ihrer dokumentarischen Familienserie die (ökonomische) Situation der Schwarzen in den USA, und auch Paulo Nazareth setzt sich bei seiner fotografisch festgehaltenen Reise in Flip-Flops von Brasilien nach New York mit dem sozialen Gefälle zwischen Süd- und Nordamerika auseinander, während Abdel Abdessemed Gewalt und Grausamkeit der Welt per se in Szene setzt, wobei der Algerier auch auf konkrete Ereignisse wie den Arabischen Frühling Bezug nimmt.

Dient allen in der Ausstellung versammelten Künstlern der eigene Körper als »Rohmaterial« für ihre Arbeit, so zeigt das 4. Kapitel unter diesem Stichwort Werke, die den Leib verstärkt ins Skulpturale überführen. So stilisieren sich Gilbert & George als lebendes Gesamtkunstwerk – ihre Bilder sind mit den performenden Personen untrennbar verknüpft. Ihr Foto »In bed with Lorca«, das die beiden im Bett des spanischen Dichters zeigt, wiederum fungiert als Ausgangspunkt für Maurizio Cattelans Skulptur »We«, in der er Gilberts und Georges Antlitze gegen Wachsmasken der eigenen Gesichtszüge austauscht, sich somit verdoppelt. Alina Szapocznikow hingegen fragmentiert ihren Körper mittels Abdrücken einzelner Körperteile, die sie dann zu Plastiken zusammensetzt. Die dekorative »Sculpture Lampe IX«, bestehend aus der Abformung ihres Gesäßes und Mundes, setzt sich so mit der Dekonstruktion des weiblichen Körpers auseinander.

Ähnlich heiter dekonstruiert Martin Kippenberger am Ende des Rundgangs die Maler-Persona an sich. Seine Inszenierung als männlicher Künstlerstar wird in den Gemälden der Reihe »Lieber Maler, male mir«, die er von einem professionellen Plakatmaler nach Fotografien ausführen ließ, und die ihn, den großen Selbstdarsteller, darüber hinaus kaum erkennbar zeigen, ad absurdum geführt. So hinterfragen sie den Themenkomplex Autorenschaft und Künstlerkult. Besonders bei älteren Besuchern mag sich nun zur visuell-gedanklichen Auseinandersetzung ein musikalisches Element hinzugesellen, wenn sie beschwingt von Gus Backus' Ohrwurm von 1968, dessen Titel sich Kippenberger entliehen hat, allein oder in Gesellschaft aus dem Museum tänzeln.

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