Kataloge, Rezensionen

Daniel Tyrandellis/ Beate Hentschel/ Dirk Luckow (Hg.): Wunder. Kunst, Wissenschaft und Religion vom 4. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Snoeck Verlag 2011

»Wunder«, so betitelt sich die aktuelle Ausstellung in den renommierten Deichtorhallen Hamburg, deren Ausstellungskatalog hier zur Rezension vorliegt. Die Schau ist terminlich gekonnt rund um die Weihnachtszeit angelegt, die ja sozusagen bereits aus kalendarischen Gründen für das Wunderbare prädestiniert ist. Aber das Thema trifft zweifellos auch einen Nerv der Zeit. Ulrike Schuster hat den Katalog gelesen.

Das Wunder ist der ewige Widersacher des Rationalen. Trotzig behauptet es sich gegen das Diktat der Vernunft, nicht nur obwohl, sondern auch gerade weil die „Entzauberung der Welt“ unaufhaltsam voranschreitet. Wo alles vom Gang der Naturgesetze geregelt wird, repräsentiert das Wunder die Ausnahme von der Regel: es ist die ewige Verheißung, trägt aber auch ein anarchistisches Moment in sich, da es ja die Ordnung der Dinge aufzuheben vermag.

Der Begriff wird in der Alltagssprache freilich unpräzise verwendet, wie Daniel Tyrandellis einleitend feststellt: »Es gibt wunderbare Zufälle, wundersame Rettungen und wunderschöne Momente, es gibt Heilungswunder, Naturwunder, Wunderkerzen, Busenwunder, blaue Wunder, Wunderwaffen und allen voran das Wunder der Geburt…« Die Ausstellung hat sich somit einer großen Bandbreite verschrieben und untersucht das Phänomen des Wunders aus unterschiedlichsten Gesichtspunkten. Nicht zuletzt unter Einbezug der Gegenwartskunst, die sich des Themas gerne im ironisch-kritischen Blickwinkel bedient.

Damit ist ein vielversprechender Ansatz gefunden, der es den im Katalog versammelten Autorinnen und Autoren erlaubt, aus ihrer jeweiligen Perspektive Stellung zu nehmen. Allerdings sind einige der Texte sprachlich recht spröde ausgefallen. Wo Tyrandellis’ Vergleich zwischen Babylonischem Turmbau und Pfingstwunder oder Angelika Neuwirths Ausführungen über »Das Wunder des Korans« über weite Teile abstrakte theologische Fragestellungen verhandeln, ist man anderenorts, etwa im Beitrag von André Michels, mit einem hochtheoretischen Komplex aus Psychoanalyse und Strukturalismus konfrontiert.

Anderen Beiträgen gelingt es dennoch, ihr Thema profund und mit spielerischer Leichtigkeit darzustellen. Hier wären an erster Stelle die Aufsätze von Robert Pfaller und Zygmunt Baumann zu nennen, die, jeder auf seine Weise, tief in das Phänomen der subversiven Doppelbödigkeit des Wunders eindringen. Vanessa Offen erläutert die paradoxe Notwendigkeit für den »Beweis eines Wunders« aus katholischer Sicht. Peter Geimer führt in seinem Beitrag vor, wie ein Fundus von nüchternen Dokumentarfotografien, verfremdet durch die Intervention zweier junger Künstler, plötzlich in einer Aura des Mysteriösen erscheint. Karin Harrasser hat sich dem Begriff des technischen Wunders im frühen 20. Jahrhundert angenommen und die seinerzeitige Bild- und Textrhetorik untersucht. Über merkwürdige Geschichten von »paranormal produzierten Objekten« liest man wiederum im Beitrag von Eberhard Bauer und Andrea Fischer.

Wo in den ausführlichen schriftlichen Beiträgen nun manchmal ein zu viel des Guten besteht, herrscht im Abbildungsteil hingegen ein Mangel, denn die Erläuterungen zu den Exponaten der Ausstellung selbst sind doch etwas kärglich ausgefallen. Es mag ja angehen, die Abbildung einer Laterna Magica kommentarlos einzustellen und dabei Kenntnisse im Bereich der Allgemeinbildung vorauszusetzen. Doch nicht jedermann dürfte, beispielsweise, ohne weiteres mit einer Steiner’schen Römerfläche, den Lieberkühn’schen Wundergläsern oder den »Seherkindern von Marpingen« vertraut sein.

Das Manko setzt sich fort im Bereich der hochkarätigen Werke der Gegenwartskunst, die man doch sicherlich mit viel Mühe und Sorgfalt zusammengetragen hat, damit sie den geist- und witzreichen Kontrapunkt zur gleichfalls grandiosen Auswahl an „Wunderobjekten“ bilden. Doch darüber beziehungsweise über die subtilen inhaltlichen Zusammenhänge erfährt man nur sehr wenig. Dabei stellt gerade dieses Zusammenspiel an Kunst, Religion, Parapsychologie, Technik und Wissenschaft die große Stärke der Ausstellungskonzeption dar.

Immerhin: die Qualität der Bilder fasziniert auch ohne Lektüre. Sympathisch ist auch die Idee, drei Abschnitte mit Kommentaren von Kindern einzuräumen, deren Expertisen in Sachen Wunder die Ausstellung vor Ort als Subtext begleiten. Dem Anspruch des Katalogs, der Vielschichtigkeit und begrifflichen Dehnbarkeit des Wunders zu entsprechen, wird er trotz seiner genannten Schwachstellen gerecht und so dürfte er wahrscheinlich schon bald zu einem einschlägigen Nachschlagewerk zum Thema avancieren.

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