Ausstellungsbesprechungen

Das Bauhaus in Kalkutta. Eine Begegnung kosmopolitischer Avantgarden, Stiftung Bauhaus Dessau, bis 30. Juni 2013

1922 waren Werke der Bauhauskünstler Paul Klee, Lyonel Feininger, Johannes Itten, Georg Muche und Wassily Kandinsky neben Arbeiten indischer Avantgardekünstler in Kalkutta zu sehen. Neunzig Jahre nach diesem folgenreichen Zusammentreffen bringt die Stiftung Bauhaus Dessau eine Auswahl der Werke zusammen, die damals gezeigt wurden. Rainer K. Wick über das frühe Beispiel eines globalen Kunstbetriebs und seine Hintergründe.

Ergebnislose Nachforschung

Im Rahmen meiner Recherchen im Bauhaus-Archiv in Berlin stieß ich vor Jahrzehnten auf einen interessanten Brief von Hans M. Wingler, dem Gründer und langjährigen Direktor dieses bedeutenden Forschungs- und Ausstellungsinstituts, den er an das Auswärtige Amt in Bonn gerichtet hatte und in dem er um Unterstützung bei der Suche nach Arbeiten von Bauhaus-Lehrern und -schülern bat, die 1922 in Kalkutta gezeigt worden aber nie nach Deutschland zurückgekehrt seien. Meines Wissens blieb diese Anfrage ergebnislos. Näheres über eine Bauhaus-Ausstellung in Indien war nicht zu erfahren, die fraglichen Arbeiten mussten als verschollen gelten.

Dies war auch die Überzeugung von Anneliese Itten, der zweiten Frau des Bauhaus-Künstlers Johannes Itten, die 1983 auf dem Symposium »Ist die Bauhaus-Pädagogik aktuell?« daran erinnerte, man habe »in großen Kisten die Arbeiten des Vorkurses«, also aus dem propädeutischen Bauhaus-Unterricht, nach Indien geschickt, »auch viele Arbeiten der Meister, unter anderem 23 Werke von Itten. [...] Bis heute scheint dies alles verloren und das ganze nicht mehr rekonstruierbar.« Ich habe mich ab und zu gefragt, ob dieses kleine, aber doch spannende Kapitel der Geschichte des frühen Bauhauses damit endgültig ad acta gelegt worden sei. Keineswegs, wie nun eine Sonderausstellung in Dessau zeigt.

Indien auf der Suche nach kultureller Identität

Im späten 19. Jahrhundert regten sich in Indien starke politische Kräfte, die für die Befreiung des Landes von der britischen Kolonialherrschaft eintraten. Schon während des Ersten Weltkriegs erklärte die britische Regierung, Indien den allmählichen Übergang zur Selbstregierung zu ermöglichen, doch dauerte es nochmals dreißig Jahre, bis das Land unabhängig wurde. In der Zwischenkriegszeit fanden nachhaltige Emanzipationsbemühungen der Inder statt, und zwar nicht nur auf politischer, sondern auch auf kultureller Ebene. Dazu gehörte die Gründung von Bildungseinrichtungen, die auf die Stärkung einer spezifisch indischen kulturellen Identität zielten. Eine derartige Einrichtung war die Internationale Universität Shantiniketan.

Ins Leben gerufen wurde sie 1919, also im Jahr der Bauhaus-Gründung in Weimar, auf Initiative des bengalischen Dichters, Philosophen, Malers, Komponisten und Musikers Rabindranath Tagore auf dessen Familienbesitz etwa 150 Kilometer nordwestlich von Kalkutta. Am Kunstinstitut von Shantiniketan, Kala Bhavana, wirkten Künstler, die der sog. Benagli School zugerechnet werden und mit ihrem progressiven Kunstunterricht so etwas wie ein „antikoloniales Labor“ bildeten. Ihnen ging es um die Überwindung des Naturalismus, wie er damals nach Vorbild der englischen Kolonialherren an den Akademien gelehrt wurde, ferner um eine spirituelle Vertiefung der Kunst und um die Verankerung des künstlerischen Tuns im lokalen Handwerk. Was hier als – durchaus politisch motivierter – Gegenentwurf zum Akademismus britischer Observanz erscheint, korrespondierte interessanterweise mit einigen Ideen, die auch für die Programmatik des anti-akademisch konzipierten frühen Bauhauses in Weimar bestimmend waren.

Kalkutta, Dezember 1922

Mag sein, dass Rabindranath Tagore auf seiner ausgedehnten Europareise des Jahres 1921 Kenntnis vom Bauhaus erhielt – persönlich ist er, entgegen mancher Legende, dort allerdings nicht gewesen. Tatsache ist aber, dass Tagore 1922 die junge Wiener Kunsthistorikerin Stella Kramrisch nach Shantiniketan einlud, um dort Vorträge zu halten. Kramrisch war 1919 durch den österreichischen Kunsthistoriker Josef Strzygowski mit der Arbeit »Untersuchungen zum Wesen der frühbuddhistischen Bildnerei Indiens« promoviert worden. Strzygowski gehörte zu jenen, die der Kunstgeschichte schon früh im Sinne einer »globalen Kunstforschung« neue Horizonte zu erschließen suchten und dabei den Blick, »von Europa ausgehend, auf Asien und im Prinzip auf das ganze der künstlerischen Erscheinungen des Erdkreises« zu erweitern suchten (so stand es im Arbeitsprogramm des von Strzygowski geleiteten Wiener Kunsthistorischen Instituts).

Geboren 1896, gestorben 1993, gilt Kramrisch als eine der bedeutendsten Kennerinnen indischer Kunst. Es darf als sicher angenommen werden, dass sie in Wien Johannes Itten kennengelernt hatte, der, bevor er als Lehrer an das neu gegründete Bauhaus in Weimar ging, in der österreichischen Hauptstadt von 1916 bis 1919 eine private Kunstschule unterhalten und 1917 am Lehrstuhl Strzygowskis einen Vortrag »Über Komposition« gehalten hatte. In Indien hatte Stella Kramrisch den Maler Abanindranath Tagore kennengelernt, der Vorsitzender der Indian Society of Oriental Art war. Diese Künstlervereinigung plante in Kalkutta eine internationale Gemeinschaftsausstellung progressiver zeitgenössischer Kunst. Im Mai 1922 schrieb Stella Kamrisch in ihrer Funktion als Kuratorin aus Indien einen Brief an Johannes Itten in Weimar, in dem sie ihn für diese Ausstellung um »Zeichnungen, Aquarelle, Lithographien oder auch Holzschnitte« bat, auch um Arbeiten, die »das gesamte Werk des Bauhauses darstellen, vor allem Arbeiten von Herrn Klee.« Und ergänzend: »Auch gute Schülerarbeiten wären sehr willkommen.«

Tatsächlich gingen 250 Arbeiten von Lehrern und Schülern des Bauhauses nach Indien, die im Dezember 1922 in den – heute nicht mehr existierenden – Räumen der Indian Society of Oriental Art in Kalkutta gezeigt wurden. Hier kam es zu einem denkwürdigen Dialog zwischen anti-akademisch orientierter indischer Kunst und den avantgardistischen künstlerischen Hervorbringungen von Bauhaus-Meistern und -Schülern. (Überaus merkwürdig ist die Tatsache, dass sich in den minutiös geführten Meisterrats-Protokollen des Staatlichen Bauhauses keinerlei Hinweis auf die Ausstellung in Kalkutta findet.) Zu dem kleinen, nur noch in Lahore in einem einzigen Exemplar erhaltenen Katalog der 14. Jahresausstellung der Indian Society of Oriental Art trug Stella Kramrisch den kurzen, aber überaus prägnanten Text »Exhibition of Continental Paintings and Graphic Arts« bei, in dem sie namentlich auf Kandinsky, Itten und Feininger einging. Sie hob die «geradezu religiöse Hingabe, mit der sie arbeiten«, hervor und schloss mit den Worten, dass »die indische Öffentlichkeit diese Ausstellung studieren» solle um zu »erfahren, dass europäische Kunst nicht gleichbedeutend mit Naturalismus ist«.

Indienbegeisterung am Bauhaus

Angesichts der Katastrophe des 1. Weltkriegs hatten sich in Deutschland nach 1918 Strömungen etabliert, die durch einen dezidiert anti-rationalistischen Affekt auffielen. Intellektuelle und Künstler waren von der utopischen Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft, ja eine bessere Menschheit, beseelt. Für sie war die Bereitschaft und Fähigkeit zur Besinnung, zur Umkehr, ja zur gezielten Regression die Bedingung der Möglichkeit von „Fortschritt“. Mystisches Schauen und Erleben, teilweise durch okkulte Lehren grundiert, sollten den Platz zweckrationaler Erkenntnis und positivistischen Denkens einnehmen; angestrebt war das, was Konrad Farner als »Heilung durch den Geist« beschrieben hat.

Derartige Tendenzen waren auch am frühen Bauhaus populär, einem Institut, das anfänglich keineswegs eine Kaderschmiede des Funktionalismus war, sondern Ort einer Neuen Spiritualität im Verein mit der Vision eines Neuen sozialen Humanismus. Im Jahr 1921 war im Utopia-Verlag Weimar eine Publikation mit dem Titel »Utopia. Dokumente der Wirklichkeit« erschienen, die geradezu als Programm dieser Sehnsucht nach Heilung durch den Geist gelesen werden kann. Neben dem zentralen Beitrag »Analysen alter Meister« von Johannes Itten enthält diese Publikation Materialien, die im Rückgriff auf die Weisheit und Welterkenntnis früherer Epochen, vor allem der Gotik, sowie außereuropäischer Kulturen, auf deren mystische Glaubenslehren, Denkfiguren und Bildvorstellungen, eine „Neue Geistigkeit“ beschwören sollten. Dazu gehörten unter anderem etwa der Schöpfungshymnus aus dem altindischen Rigveda ebenso wie die fotografische Aufnahme des indischen Grabtempels des Huth Sing in Ahmedabad. Dass es am frühen Bauhaus in Weimar eine regelrechte Indienbegeisterung gab, zeigt die Rede, die Walter Gropius im Mai 1919, also unmittelbar nach der Gründung der Schule, hielt und in der er staccatoartig ausrief: »Bauen! Gestalten! Gotik – Indien!«

Indien wurde manchem Bauhäusler zum – romantisch verklärten – Synonym für Ursprünglichkeit, zivilisatorischer Unverbrauchtheit und Spiritualität, und es ist kein Zufall, dass im Oktober 1921 der Inder Murshid Inayat Khan, Musiker, Dichter und Philosoph, am Bauhaus sang und sprach. Gleichwohl dauerte der „Indienkult“, wie Oskar Schlemmer bemerkte, nicht allzu lange an. Mit der Devise »Kunst und Technik – eine neue Einheit« vollzog Gropius 1923 den entscheidenden Kurswechsel weg vom spirituell und sozialutopisch orientierten Bauhaus der ersten Jahre hin zu einer pragmatisch und funktionalistisch agierenden Einrichtung, an der Prototypen für die Industrie entworfen und die Grundlagen dessen gelegt wurden, was heute allgemein als Design bezeichnet wird.

Globalisierter Kunstbetrieb

Die sorgfältig erarbeitete Dessauer Ausstellung unternimmt den ambitionierten Versuch, alles das, was soeben nur andeutungsweise skizziert werden konnte, anhand von umfangreichem dokumentarischen Material – Fotos, Filmen, Briefen, Zeitungen, Büchern – darzustellen und durch künstlerische Arbeiten sowohl der Bauhäusler als auch der Vertreter der Bengali School zu belegen, etwa von Shanta Devi, Sunayani Devi und Gaganendranath Tagore (letztere übrigens teilweise an die kristallinen Kompositionen Feiningers erinnernd). Dabei kann es nicht um eine gleichsam archäologische Rekonstruktion der Schau in Kalkutta gehen, zumal keine vollständigen Ausstellungslisten existieren und auch Fotografien, die die Hängung dokumentieren, fehlen.

Berücksichtigt man die Tatsache, dass 1923, ein Jahr nach Kalkutta, eine große Ausstellung moderner indischer Kunst der Bengali School im Kronprinzenpalais der Berliner Nationalgalerie stattfand, so wird im historischen Rückblick ein erstaunliches kulturelles Netzwerk zwischen Kalkutta, Wien, Weimar und Berlin sichtbar, das als frühes Beispiel des in Globalisierung begriffenen Kunstbetriebs gelten darf.

Übrigens, was die vermeintlich verschollenen, 1922 in Kalkutta gezeigten Arbeiten anbelangt: Einer Notiz der Sekretärin des Bauhauses, Lotte Hirschfeld, ist zu entnehmen, dass sie am 23.4.1923 aus Kalkutta zurückgekehrt sind – mit einer einzigen Ausnahme, nämlich einem Aquarell einer Bauhaus-Studierenden, das in Rabindranath Tagore seinen Käufer gefunden hatte.

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