Meldungen zum Kunstgeschehen

Das fremde Abendland? Orient begegnet Okzident von 1800 bis heute, Badische Landesbibliothek Karlsruhe, bis 9. Januar 2011

In Abgrenzung zur aktuellen Flut an Ausstellungen zum Thema Orientalismus und Orientrezeption weltweit beschäftigt sich diese Sonderausstellung mit dem umgekehrten Phänomen, der weniger bekannten Rezeption der westlichen Kultur im Osten. Eine Empfehlung von Günter Baumann.

Der westliche Blick auf das so genannte Morgenland inklusive dessen Bewertung hat eine lange Tradition – voller Klischees und Vorurteile, Sehnsüchte und Ängste (bis in die Gegenwart, man denke nur an den Ex-Senator Thilo Sarazzin, der noch die genetischen Veranlagungen im mittleren Osten zu kennen glaubt). Eine andere Tradition liegt im Blick zurück begründet, das heißt: im Blick auf das – auch so genannte – Abendland vom Osten her. Wie sahen die Menschen aus dem Orient die Europäer? Dass noch kaum jemand auf die Idee kam, eine solch anregende Ausstellung zu veranstalten, liegt wohl an der Europalastigkeit der hiesigen Bibliotheken. Um an iranische, türkische oder syrische Quellen zu kommen, muss man schon etliche Kilometer gereist sein und – bei dem speziellen Thema – auch in manchen Privathaushalten gewühlt haben, um an die Exponate zu kommen. Die Kuratorin Schoole Mostafawy, die neben Kunstgeschichte auch Vorderasiatische und Antike Archäologie studiert hatte, bevor sie an das Badische Landesmuseum kam, hat dabei wichtige Funde ausgegraben. Denn zu sehen sind nicht nur Artefakte aus Ländern, die offen mit dem Westen umgehen wie etwa die Türkei aus Atatürks Geiste, sondern aus allen Winkeln dieser Welt, die im weitesten Sinne zum Orient gehören – und das seit der Antike. So kam ein »Fremdes Abendland« zustande, das uns unter anderen Vorzeichen eigentlich allzu bekannt vorkommen müsste: 260 Gemälde, Plakate, Fotos gewähren Einblicke zuhauf in die Zeit seit etwa 1800, getragen – wie sollte es anders sein – oft genug von Unwissen und Halbschattigem. Die Bereiche der Schau heißen: »Begegnung«, »Kennenlernen‹, »Identifikation« und »Leben wie im Westen«. Insgesamt ein sehr gelungenes Experiment: sich hineinzufühlen in eine andere Kultur, gerade in Zeiten, in denen der eine oder andere Europäer denkt, er hätte anderen etwas voraus.

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