Ausstellungsbesprechungen

Das Museum als offenes System und durchlässiger Körper– »Transcorporealities« im Museum Ludwig, bis 19. Januar 2020

Ausgangspunkt der Ausstellung Transcorporealities ist das Konzept der Durchlässigkeit von Körpern, angewendet auf das Museum: In stetigen Stoffwechselprozessen fließen darin diverse soziale, biologische, technologische, wirtschaftliche und politische Realitäten ineinander. Sabrina Tesch war für PortalKunstgeschichte vor Ort.

 Wie sieht das Museum von heute aus und wie könnte es sich in der Zukunft entwickeln? Eine wichtige Frage, die das Museum Ludwig mit all seinen verschiedenen Aspekten in Ausstellungsexperimenten und zeitgenössischen Konzepten in der Serie »Hier und jetzt« beleuchtet. Die fünf Aufgaben des Museums – Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen und Vermitteln –, das Museum als Institution und das Programm werden hinterfragt, beleuchtet und neu aufgestellt. Die Konzeptreihe erfasst das Museum so als offene Struktur für experimentelle Formate und nicht nur als Ausstellungsgebäude. Der Raum, die Ideen, das Konzept sind hierbei nicht begrenzt und führen so den Museumsbesucher aus einer vertrauten Museumslandschaft hinaus in eine neue Museumswelt.

Jesse Darling: March of the Valedictorians, 2016 © Jesse Darling, Courtesy Jesse Darling und Arcadia Missa, London, Foto: Tim Bowditch
Jesse Darling: March of the Valedictorians, 2016 © Jesse Darling, Courtesy Jesse Darling und Arcadia Missa, London, Foto: Tim Bowditch

Transcorporealities ist die fünfte Ausstellung, die sich innerhalb dieser Projektreihe mit den Themen des Museums an sich auseinandersetzt. Gezeigt werden Werke von acht jungen Künstler*innen, die sich mit dem Konzept der Durchlässigkeit von Körpern als Ansatz im Rahmen dessen beschäftigen. Die Kuratorin Leonie Radine setzte die Werke von Jesse Darling, Flaka Haliti, Trajal Harrell, Paul Maheke, Nick Mauss, Park McArthur, Oscar Murillo und Sondra Perry zu einem Ganzen, einem Körper, zusammen. Trans bedeutet übersetzt zwischen, Corpo sind Körper. Der Titel der Ausstellung zeigt demnach bereits, um was es gehen soll: Realitäten bzw. Wirklichkeiten zwischen den Köpern, die Komplexität der Körperlichkeit.

Es gibt neue posthumanistische Theorien, die besagen, dass alle Körper (menschlich oder nicht), offene oder leicht zu öffnende Systeme sind und die sich im Austausch mit anderen Körpern, also weiteren offenen Systemen, und der Umwelt gegenseitig beeinflussen, durchdringen und auch ineinanderfließen. Diese Stoffwechselprozesse, diese »Transcorporalität« und die Idee dahinter lassen sich nunmehr auch auf das Museum übertragen. Anstelle einer institutionellen und intellektuellen Festung könnte man das Museum als durchlässigen Körper verstehen. Es soll ein lebendiger Organismus werden, der sich – durch die Einflüsse von außen – stetig weiterentwickelt und neu definiert. Wird diese These näher betrachtet, macht sie durchaus Sinn, auch wenn das Konzept sehr abstrakt daherkommt.

Flaka Haliti: What are they thinking that we thinking that they thinking we going to do next? #1, 2019 (Entwurf) © und courtesy Flaka Haliti
Flaka Haliti: What are they thinking that we thinking that they thinking we going to do next? #1, 2019 (Entwurf) © und courtesy Flaka Haliti

Bereits im Foyer des Museum Ludwig beginnt eine neue Welt: Installationen gestalten den Eintrittsraum so, dass er zu einem Transitraum wird. Transparenz statt sichtbarer Grenzen lautet das Motto, die ausgestellten Werke interagieren mit den Räumlichkeiten und loten diese als Zugänglichkeiten aus. Das Museum wird zu einer neuen Art Versammlungsraum. Eine Bühne mit menschenähnlichen Stoffpuppen. Der Besucher kann sich dazu setzen und selbst Teil des Kunstwerkes werden, oder er/sie bewegst sich gemeinsam mit den anderen im Fluss durch beschriftete Trennstoffe.

»Alle Werke verbindet die Auseinandersetzung mit körperlichen Transformationsprozessen und den durchlässigen Grenzen zwischen Natur und Kultur, Mensch und Maschine oder Individuum und Umwelt«, lautet es in einer Presse–Information des Museums Ludwig. 

Nick Mauss: Traktat über den Schleier, 2019, Museum Ludwig, Köln © Nick Mauss Foto: Nathan Ishar
Nick Mauss: Traktat über den Schleier, 2019, Museum Ludwig, Köln © Nick Mauss Foto: Nathan Ishar

In der gesamten Ausstellung werden Beziehungen untersucht: Beziehung der Menschen untereinander, aber auch ihre unterschiedlichen Verknüpfungen und Bindungen mit sozialen und gesellschaftlichen Gefügen, dem Museum und anderen Institutionen der Gegenwart.
Einfach ist das Konzept der Ausstellung sich nicht, auch nicht für jeden/jede sofort zugänglich. Doch eine tiefere Beschäftigung kann hier durchaus neue Blickwinkel auf gegebene Konstellationen und auch Betrachtungsweisen des Museums als Ausstellungsort.

Transcorporealities ist, wie schon der Titel vermuten lässt, eine intellektuelle Ausstellung mit philosophischem und kritischem Konzept. Zugänglich wird sie nur nach eingehender Befassung mit den Ideen dahinter. Und ganz im Sinne des Verständnisses der Ausstellungsreihe »Hier und jetzt« begreift Transcorporealities das Museum als offene Struktur und erlaubt, sich in eine etwas andere Museums–Welt mit neuen Gefügen und Spielregeln zu begeben. Den verschiedenen Kunstwerken kann man sich aber kaum entziehen. Fordernd zwischen die den Besucher schon im Eingangsbereich genauer hinzuschauen, sowie über und an ihnen vorbei das Museum zu betreten. Sie sind die Bühne des Museums, wir selbst: Betrachter und Akteure.

Oscar Murillo: Collective Conscience, 2015–2019, fortlaufend Installationsansicht HIER UND JETZT im Museum Ludwig. Transcorporealities Museum Ludwig, Köln 2019 Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln / Nina Siefke
Oscar Murillo: Collective Conscience, 2015–2019, fortlaufend Installationsansicht HIER UND JETZT im Museum Ludwig. Transcorporealities Museum Ludwig, Köln 2019 Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln / Nina Siefke

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