Ausstellungsbesprechungen

Das Ohr von Giacometti, Galerie Levy Hamburg, bis 18. Februar 2011

Die Hamburger Galerie Levy feiert ihr 40jähriges Bestehen – wenn man den rauen Wind berücksichtigt, der nicht nur im hohen Norden in der Musenlandschaft weht, ist das eine reife Leistung. Allerdings hat sich der Galeriegründer Thomas Levy im Lauf der Zeit nicht nur einen internationalen Ruf erarbeitet, sondern auch mit seinem weit in die Klassische Moderne, insbesondere auch in den Surrealismus ragenden Programm einen regen Austausch mit größeren Museen entwickelt. Günther Baumann hat sich die Schau zum gegenwärtig äußerst beliebten Thema "Surrealismus" für Sie angesehen.

Thomas Levy besitzt mit seiner Zweigstelle ein Standbein in Berlin, was ihn mit dem Puls des kulturellen Hauptstadtlebens verbindet. Zudem verwaltet er die Nachlassrechte von Meret Oppenheim, der Grande Dame des Surrealismus, die nun zum Vierzigsten eine wesentliche Rolle einnimmt: Ihre Bronze-Arbeit mit dem »Ohr von Giacometti« gibt der Schau auf die surrealistische Bewegung samt ihrer Nachwirkung den Titel und die Programmatik. Denn mit dem Ohr – beziehungsweise den Sinnen insgesamt – ist der Galerist ganz nah am gegenwärtigen Ausstellungsgeschehen: In Frankfurt hat jüngst eine große Surrealistenschau mit Objekten aller Art begonnen, und in Wolfsburg erfreut sich eine spektakuläre Giacometti-Ausstellung größter Beliebtheit.

Da eine Galerie jedoch die Fühler auch in die Gegenwart hinein ausstrecken muss, wirft, Belinda Grace Gardner, die die Ausstellung kuratiert, gleich etliche Fäden aus, sodass eine fast überbordende Parade bestechender Positionen im Geiste des Surrealismus zu entdecken ist. Die Liste der Künstlerinnen und Künstler ist überwältigend: Neben Oppenheim und Giacometti sei die Vielfalt nur angedeutet durch Namen wie Hans Arp, Marcel Duchamp und Man Ray einerseits, auf Joseph Beuys, Friedrich Meckseper und Rainer Kriester andrerseits (siehe hierzu die Liste im Anhang).

Allein von diesem Namenteppich ließe sich kreuz und quer ein Netz, wenn nicht ein Gestrüpp von Verbindungen ziehen und in der Tat bietet die Ausstellung allerlei Dialogangebote, die zeigen, wie lebhaft die Künstler unterschiedlichster Couleur mit dem oft gar nicht bewusst angetretenen Erbe umgehen. Neben Oppenheim ist Man Ray der stärkste Vertreter jener Verkünder des Un(ter)bewussten. Über Louise Bourgeois und Hans Bellmer sind die Linien in die zweite Jahrhunderthälfte schnell verlegt. Und mit Johannes Hüppi und Mariella Mosler ist der Betrachter auch schon ganz in der Jetztzeit angekommen. Ganz bewusst(!) hat die Galerie Levy die Vitrinen- und Wunderkammeridee einer alten Pariser Galerieausstellung bei Charles Ratton in den 1930er Jahren aufgegriffen, aber das ist offenbar nur die Bespiel-Vorrichtung für Objekte, die sich von der Fülle an herzerfrischenden Arbeiten scheinbar berauschen lassen, sei es, dass die Themen sich rückbezüglich positionieren wie die Masken von Mosler, sei es, dass sich ein vermeintlich dada-naher Auftritt des russischen Künstlers Vlad als gewitztes Lichtbildpanoptikum unserer – oder besser der russischen – Alltagsseele entpuppt. Der Augenweide ist ebenso viel Platz eingeräumt wie dem puren Witz, der auch mal ein haariges Gefühl hinterlässt, etwa wenn Gavin Turk mit einem großen Ei mit Fell paradiert, ein origineller Ersatz zur legendären Haartasse Oppenheims. Ganz nüchtern präsentiert sich die Biologische Forschungsstation Alster von Mark Dion. Irgendwo dazwischen, wo ästhetisches Vergnügen, mythisches Rätsel und schaurige Distanz sich treffen, begegnen uns die gehörnten Fabelwesen von Anette Streyl. Meret Oppenheim schrieb 1940, die irre Welt im Visier: »Die grünen Vögel zerreißen die Segel, und die große Sonne fällt ins Wasser«. Und weiter heißt es, als sei es auf die Galerienausstellung bei Levy gemünzt, »solange einer die Trommel rührt, kann die Nacht nicht sinken«.

Weitere in der Ausstellung vertretene Künstler:
Eva Aeppli, Horst Antes, Arman, Hans Bellmer, José Manuel Ballester, John von Bergen, Hubert Berke, Peter Blake, Louise Bourgeois, Victor Brauner, Uwe Bremer, Thorsten Brinkmann, Jürgen Brodwolf, James Brown, Michael Buthe, Marcel Broodtaers, César, Joseph Cronell, Salvador Dalí, Mathias Deutsch, Mark Dion, Oscar Dominguez, Friedrich Einhoff, May Ernst, Jan Fabre, Lucio Fontana, Rebecca Horn, Thomas Grünfeld, José de Guimaráes, Horst Hellinger, Volker Hildebrandt, Damien Hirst, Johannes Hüppi, Allen Jones, Wulf Kirschner, Jirí Kolár, Jannis Kounellis, Juul Kraijer, Gereon Krebber, Corinne von Lebusa, René Magritte, André Masson, Joan Miró, Igor Mitoraj, Sabine Mohr, Mariella Mosler, C.O. Paeffgen, Francis Picabia, Pablo Picasso, Jaume Plensa, Rolf Rose, Dieter Roth, Kurt Schwitters, Carolein Smit, Kiki Smith, Daniel Spoerri, Annette Streyl, Yves Tanguy, Ernesto Tatafiore, Jean Tinguely, Gavin Turk, Vlad, Paul Wunderlich, Unica Zürn.

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